In vielen Ländern, nicht nur in Südkorea, gehören überlange Arbeitstage zum Alltag, besonders im Gesundheitswesen. Wer ständig Überstunden macht, gefährdet auf Dauer seine Gesundheit, das ist durch zahlreiche Studien belegt. Doch was passiert im Gehirn, wenn Menschen Woche für Woche mehr als 52 Stunden arbeiten?
Erste Hinweise auf messbare Veränderungen
Eine neue Pilotstudie aus Südkorea hat jetzt Hinweise darauf gefunden, dass sich das Gehirn unter Dauerbelastung sogar sichtbar verändern kann, zumindest bei Beschäftigten im Gesundheitswesen. Forschende der Chung Ang Universität in Seoul haben MRT-Aufnahmen von 110 Angestellten ausgewertet und festgestellt: Bei jenen, die regelmäßig über 52 Stunden pro Woche arbeiteten, waren bestimmte Hirnareale vergrößert – vor allem solche, die für die Regulation von Gefühlen und exekutive Funktionen wie Planung oder Entscheidungsfindung zuständig sind.
Besonders deutlich zeigte sich dies im Gyrus frontalis medius, einer Region im Stirnhirn, die bei Vielarbeitenden um rund 19 Prozent größer war als bei Personen mit normalen Arbeitszeiten. Auch die sogenannte Inselrinde und Bereiche des temporalen Cortex zeigten bei der Voxel-basierten Analyse ein größeres Volumen. Solche Areale sind beteiligt an Emotionsverarbeitung, Impulskontrolle und flexibler Anpassung an neue Situationen.
Anpassung oder Überlastung?
Was bedeutet das? Denkbar wäre, dass sich das Gehirn den erhöhten Anforderungen anpasst – vergleichbar mit einem Muskel, der bei Belastung wächst. Doch die Forschenden geben zu Bedenken: Die Veränderungen könnten auch ein Frühzeichen von Überlastung sein. Frühere Studien legen nahe, dass chronischer Stress langfristig mit einem Abbau kognitiver Fähigkeiten und einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen verbunden ist.
Was die Forschung bislang weiß
Auch andere Forschungsteams hatten in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt, dass lange Arbeitszeiten und mentale Gesundheit eng zusammenhängen. Eine groß angelegte Metaanalyse im Fachjournal The Lancet etwa fand bereits 2015 ein erhöhtes Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko bei Menschen, die regelmäßig über 55 Stunden pro Woche arbeiten. Auch Depressionen, Angststörungen und Schlafprobleme treten bei Dauerüberlastung signifikant häufiger auf. Neu ist nun, dass eine strukturelle Veränderung im Gehirn sichtbar wird – wenn auch bislang nur in einer kleinen Stichprobe.
Noch viele offene Fragen
Da es sich bei der aktuellen Studie um eine Querschnittsanalyse mit begrenzter Teilnehmerzahl handelt, lassen sich weder Kausalitäten ableiten noch allgemeingültige Aussagen treffen. Die Ergebnisse sind deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Dennoch werfen sie wichtige Fragen auf – etwa, ob sich gesundheitliche Belastung durch Überstunden womöglich auch im Gehirn abbilden lässt. Und ob gesetzliche Arbeitszeitgrenzen, wie sie auch in Südkorea existieren, ausreichend greifen.
Die Studienautor*innen fordern nun weitere Untersuchungen mit größeren Kohorten und längerer Beobachtungsdauer. Klar ist: Das Thema Arbeitszeit und Gesundheit bleibt nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich hochrelevant.