Zum Inhalt springen
Abo testen Login

Persönlichkeitsentwicklung Das Erbe der Familie: Wie unsere Eltern uns prägen

Unserer Herkunft können wir nicht entfliehen, sie bestimmt einen großen Teil unserer Persönlichkeit und beeinflusst unsere Beziehung zu Freunden, Partnern und Kindern. Der Psychologe Klaus Schneewind erklärt, weshalb die Familie so mächtig ist – aber nicht allmächtig
Mutter mit Kind vor einem felsigen Hintergrund
Besondere Beziehung: Mütter sind oft die wichtigsten Bezugspersonen im Leben von Kindern
© Mihaela Noroc

GEOplus: Herr Professor Schneewind, spricht man über die Bedeutung von Verwandtschaft für das eigene Leben, fällt häufig der Satz "Blut ist dicker als Wasser". Wie kommt das?

Prof. Klaus Schneewind: Ver­wandt­schaft­liche Blutsbande übertrum­pfen letztendlich alle freundschaftlichen Bindungen, vor allem in Notlagen. Aus Sicht von Biologen liegt die Ursache dafür in den Genen. Statistisch gesehen teilen wir mit unseren Eltern und Geschwistern 50 Prozent des Erbguts, mit unseren Neffen und Enkeln 25 Prozent und mit unseren Cousins 12,5 Prozent. Wenn wir das Überleben eines Verwandten sichern, ihm helfen und ihn unterstützen, können wir also einen Teil unseres eigenen Erbguts für die nächste Generation bewahren. Diese Theorie lässt sich durch Beobachtungen tatsächlich stützen: Je näher Menschen miteinander verwandt sind, desto mehr helfen sie einander.

Stimmen Sie dem als Psychologe zu?

Ja. Wir machen von klein auf die Erfahrung, dass die Familie uns schützt. Geschwister, Großeltern, Verwandte und vor allem die Eltern sichern unser Überleben. Und auch wenn sie uns vielleicht nicht immer das ideale Umfeld bieten, bedeutet allein die Tatsache, dass wir noch leben, dass sie vieles richtig gemacht haben. Diese existenzielle Abhängigkeit lässt in uns das Gefühl tiefer Verpflichtung reifen. Vor diesem Hintergrund können Kinder gar nicht anders, als Mutter und Vater zu lieben. Und die Eltern, die über Jahre sehr viel Zeit und Mühe in ihre Nachkommen investieren, erwidern diese Liebe in der Regel.

Portrait von Prof. Dr. Klaus Schneewind, Blick zur Seite
Der Psychologe Prof. Dr. Klaus Schneewind hat lange an der Universität München gelehrt. Er ist Autor eines Lehrbuchs über Familienpsycho­logie und arbeitet als Paar- und Familientherapeut
© Armin Smailovic

Und doch lösen sich die meisten irgendwann etwas von der Familie und werden zu unabhängigen Menschen.

In der Tat sorgt ein wirkungsvolles Instrument der Natur dafür, dass wir eigenständig werden und nicht unser ganzes Leben unter den Fittichen unserer Eltern verbringen: die Pubertät. In dieser Phase brechen wir als Jugendliche aus der Obhut der Familie aus. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt für Neues öffnen, fremde Menschen kennenlernen. Würden wir immerzu nur der Familie verhaftet bleiben, gäbe es wohl keine Entwicklung – sondern vornehmlich Stillstand.

Viele Menschen neigen dazu, ihre familiäre Herkunft für Glück und Unglück verantwortlich zu machen. Wie viel Macht hat die Familie wirklich über unser Leben?