Diese Erkenntnisse dürften Erkennung, Vorbeugung und Behandlung von Borreliose (auch Lyme-Borreliose genannt) verbessern: In einem Großprojekt hat ein Forschungsteam die Genome aller weltweit bekannten 23 Arten von Lyme-Borrelien vollständig entschlüsselt. Darunter sind auch jene Arten, die beim Menschen Borreliose verursachen, die häufigste durch Zecken übertragene Krankheit. Insgesamt sequenzierte das Forschungsteam 47 weltweit gesammelte Proben der Mikroorganismen.
"Durch das Verständnis davon, wie sich diese Bakterien entwickeln und genetisches Material austauschen, sind wir besser dazu in der Lage, ihre Ausbreitung zu verfolgen und auf ihre Fähigkeit zu reagieren, Krankheiten bei Menschen zu verursachen", wird Erstautor Weigang Qiu von der City University of New York (CUNY) in einer Mitteilung der Hochschule zitiert.
Bis zu 200 000 Menschen erkranken in Deutschland pro Jahr
Weltweit gibt es mehr als 40 Borrelien-Arten – darunter neben den Erregern der Borreliose auch die Verursacher des Rückfallfiebers. In Europa und Asien sind vier Arten der Lyme-Borrelien für das Gros der Erkrankungen verantwortlich:
- B. burgdorferi
- B. afzelii
- B. bavariensis
- B. garinii
"Die Lyme-Krankheit, in Europa Lyme-Borreliose genannt, ist die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung in den USA und Europa", schreibt die Gruppe. Allein in Deutschland erkrankten daran pro Jahr Schätzungen zufolge 60 000 bis 200 000 Menschen, sagte Ko-Autor Volker Fingerle, der Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien in Oberschleißheim bei München.
Mit Abstand häufigstes Symptom ist eine wachsende Hautrötung um den Zeckenstich, die sogenannte Wanderröte (Erythema migrans). Borrelien können je nach Ort des befallenen Gewebes verschiedenste Probleme hervorrufen, die von Gelenkbeschwerden über Fieber und Abgeschlagenheit bis zu Kopfschmerzen reichen. Sie können auch das Herz oder das Zentrale Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen und schwere Komplikationen verursachen. Die Therapie setzt auf Antibiotika.
Neue Ansatzpunkte für eine Impfstoffentwicklung
Die Studie könnte nun dazu beitragen, zu klären, ob bestimmte Arten von Borrelien die Symptomatik beeinflussen: So wird die Hauterkrankung Akrodermatitis chronica atrophicans – auch Pergamenthaut genannt – tendenziell eher mit B. afzelii in Verbindung gebracht, die Gelenkentzündung Lyme-Arthritis mit B. burgdorferi und die Neuroborreliose mit B. bavariensis. Letztere Art findet sich Fingerle zufolge in Deutschland in weniger als 5 Prozent der mit Borrelien infizierten Zecken, aber bei mehr als 20 Prozent der Fälle von Neuroborreliose.
Warum bestimmte Borrelien-Arten eher Probleme an bestimmten Organen verursachen, ist bislang ein Rätsel. Dies könnte die Studie in den kommenden Jahren möglicherweise klären helfen. Die nun öffentlich vorliegenden Daten zeigen bereits auf, für welche Proteine die einzelnen Gensequenzen zuständig sind. So sind etwa die OspA- und OspC-Proteine, die von den verschiedenen Borrelien-Arten gebildet werden, gute Ansatzpunkte für einen Impfstoff zum Schutz vor Borreliose.
Borrellien plagten bereits den Superkontinent Pangaea
Zudem dürfte das detailliertere Wissen um die jeweiligen Arten möglicherweise Diagnostik, Prophylaxe und Therapie verbessern. "Diese bahnbrechende Studie bietet Forschern Daten und Werkzeuge, um bessere Behandlungen gegen alle Ursachen der Lyme-Borreliose zu entwickeln", sagte Ko-Autor Benjamin Luft von der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York. "Das bietet einen Rahmen für ähnliche Ansätze gegen andere Infektionskrankheiten."
Die Genome erklären auch, wie diese Mikroorganismen durch die sogenannte Rekombination Erbgut-Sequenzen untereinander austauschen und sich so rasch an unterschiedliche Umgebungen anpassen können. "Durch das Entfernen schädlicher Mutationen und die Schaffung neuer adaptierter Genotypen ist Rekombination eine machtvolle beschleunigende Kraft für die Anpassung dieser Arten", schreibt die Gruppe.
Aus den Erbgut-Vergleichen rekonstruiert das Team anhand der geschätzten Mutationsraten auch die weit zurückreichende Entstehungsgeschichte der Bakterien: Der letzte gemeinsame Vorläufer der heutigen Stämme lebte demnach wohl schon auf dem Superkontinent Pangaea vor grob 117 Millionen Jahren. Das könnte die weite heutige Verbreitung erklären.