Claudio Pizarro rast. Nach links, da war doch eine Lücke, nein, ist längst weg, zurück nach rechts, zack zwischen zwei Bussen hindurch, ein Hinterrad hängt für einige wahnwitzige Momente in der Luft, setzt wieder auf. Pizarro lacht sein berühmtes, strahlendes Pizarro-Lachen. Dazu reckt er die linke Faust in einen unnatürlich blauen Himmel, während er durch das Chaos von Lima braust und schließlich vom Verkehr verschluckt wird. Dass der peruanische Bundesliga-Stürmer – früher Bremen, heute Köln – gutgelaunt durch die Hauptstadt Perus brettert, während sein aktueller Verein gegen den Abstieg kämpft, ist weder Arbeitsverweigerung noch Zauberei. Hier in Lima rast tatsächlich nur eine sehr kunstvolle Pizarro-Illustration auf drei Rädern durch den Stadtverkehr. Das Bild des früheren Nationalspielers und ewigen Sportidols ziert lebensgroß das Heck eines ansonsten knallroten Moto-Taxis.
Moto – das ist eine Büchse auf drei Rädern, halb Mofa, halb Auto. Motos sind vor allem das Rückgrat des peruanischen Nahverkehrs, das peruanische Äquivalent zu den thailändischen Tuk-Tuks und den indischen Motor-Rikschas. Es gibt die offene Pick-up-Variante, die tatsächlich einem Motorrad mit angebauter Ladefläche samt Sitzbänken gleicht. Und das klassische, ebenfalls dreirädrige Kabinen-Taxi. Gefühlt Millionen davon brummen und summen wie ein Schwarm hysterischer Hummeln jeden Tag durch Peru. Vor allem durch Lima: Die Millionenmetropole liegt in der Wüstenregion am Pazifik. Das bedeutet, es ist selten kalt und regnet eigentlich nie. Und das ist von großem Vorteil für Fahrer und Passagiere in einem halboffenen Taxi ohne Türen. Weil es eben so viele Motos auf den Straßen des lateinamerikanischen Landes gibt und kaum eines über mehr als zehn PS verfügt und schneller als rund 60 Stundenkilometer fährt, unterscheidet man sich halt in der Gestaltung der Karosserie aus Plastik und Blech. Fast jedes Moto ist ein rollendes Folklore-Mobil und meist verwegen geschmückt: mit großflächigen Bildern von Fußballern, Superhelden oder Lamas, mit bunten Bommeln, Lichterketten und Jesus-Figuren. Manchmal auch mit Aufklebern von deutschen Tuning-Unternehmen wie Eibach oder AMG, die aber garantiert noch nie Hand an eines der minimalistischen Taxis gelegt haben.

Eine Moto-Fahrt ist nichts für schwache Nerven
Gebaut werden die kleinen Dreiräder in Indien vom Hersteller Bajaj, der auf seiner Webseite die "ideale Mischung aus Funktionalität und Belastbarkeit" und den "kompakten Körper" der Motos rühmt, sie seien einfach zu parken und vor allem leicht zu manövrieren. Sie bieten einem Fahrer auf einer Art Motorradsitz und hinten auf der Rücksitzbank drei Passagieren Platz – offiziell. Tatsächlich aber wird alles mit Motos transportiert, das von A nach B will: Großfamilien, Kühlschränke, meterlange, auf dem Großmarkt erstandene Fische aus dem Amazonasbecken, kistenweise lebende Meerschweinchen für das typische peruanische Grillfest… Dass Motos leicht zu manövrieren seien, scheint zu stimmen – bietet aber auch den Fahren Freiheiten, die man als Passagier aus fremden Landen vielleicht gar nicht wertschätzen mag. Jedenfalls sollte man sich zweimal überlegen, ob man sich auf der Rücksitzbank eines Motos – ab Werk ohne Sicherheitsgurt und Knautschzone – dem täglichen Chaos auf Perus Straßen aussetzen mag. Rote Ampeln, Fahrbahnbegrenzungen, Vorfahrtsregeln etwa sind Konzepte, die nicht jedem Moto-Kamikaze-Fahrer vertraut scheinen.

Alternativ gibt es mehr Möglichkeiten, sich durch Peru zu bewegen. In den Großstädten bieten unzählige Taxiunternehmen ihre Dienste an, deren Wagen sich meist in Bordsteinkantennähe durch den Verkehr schieben, in der Hoffnung, Passanten als Passagiere zu gewinnen. Die zur Anwerbung gerne und oft bis ständig genutzte Hupe erzeugt eine fröhlich-nervende 24-Stunden-Kakophonie, der allgegenwärtige Sound des urbanen Perus. Dazu steuern im Übrigen auch die landestypischen Micros ihren Teil bei, die peruanischen Micro- oder Minibusse privater Transportunternehmer: Kleinbusse mit bis zu rund 20 Sitzplätzen, die innerstädtisch meist eine Hauptstraße hinauf- und hinabdüsen. Aus der geöffneten Seitentür hängt immer ein Anwerber, der unablässig das Fahrziel seiner Tour hinausbrüllt. Diese Position vereint auch das Amt des Kassierers in der meist zweiköpfigen Besatzung, während der Fahrer vollauf damit beschäftig ist, aus dem laufenden Verkehr aus- und wieder einzufädeln. Und zu hupen. Microbusse fahren im Übrigen auch lange Strecken über Land, meist vollgepackt mit doppelt so vielen Passagieren wie vorhandenen Sitzen, mit Ziegen, Lämmern, Meerschweinchen… Wem auch das zu folkloristisch erscheint, der bucht lieber ein Ticket bei einer der großen öffentlichen Busunternehmen. Diese Reisebusse sind meist klimatisiert, und sie fahren einigermaßen nach Fahrplan. Vom erhabenen Sitz aus kann man dann den Wechsel der vielfältigen Landschaften draußen an sich vorbeiziehen lassen – und bei der Durchfahrt einer Stadt auf die bunten Motos hinabschauen, die mit Claudio Pizarro am Heck oder einem fliegenden Drachen an der Seite erregt brummend und summend von links nach rechts und zurück zischen, immer auf der Suche nach der einen, nach der kleinen Lücke im Verkehr.