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Kitebuggying: Im Bann des Drachen

Ein tiefergelegtes Dreirad, ein eigensinniges Fluggerät, ein endloser Strand - das sind die Zutaten für Kitebuggying. Im Nordseebad Sankt Peter-Ording kann man den neuen Sport in zwei Tagen lernen. Heißt es. Marc Hasse hat sich reingehängt

Wie ein zerknittertes, rotes Badehandtuch liegt er auf dem Sand: ein "3er", ein Anfänger-Drache, drei Quadratmeter groß. Es gibt auch fünf Mal so große kites, Lenkdrachen. Entsprechend gelassen beginne ich den ersten Versuch: Mit dem Winzling werde ich schon fertig! Ich greife die Leinen mit beiden Händen, gehe langsam rückwärts und ziehe kräftig, um das rote Tuch in den Wind zu heben.

Nichts geht ohne Zuversicht

St. Peter-Ording ist das optimale Revier für Kitebuggy-Fahrer
St. Peter-Ording ist das optimale Revier für Kitebuggy-Fahrer
© Michael Amme

Nichts passiert. Noch mal ziehen. Wieder nichts. Und noch mal - da schießt plötzlich Leben in den Drachen: Mit einem lauten Plopp bläht er sich auf und springt in die Luft; die Leinen spannen sich, reißen meine Arme und Schultern nach vorn und zerren mich über den Strand. Vergeblich versuche ich, die Beine in den Sand zu stemmen. Es fühlt sich an, als würden zwei Doggen ohne Vorwarnung losrennen. Neben mir kämpft Verena mit ihrem Drachen, den Körper weit zurückgelehnt wie eine Surferin. Beruflich bändigt die 36-jährige Management-Trainerin Führungskräfte. Als ich ihr schilderte, dass ich mich bei meinen ersten Versuchen angesichts der Zugkräfte wie ein 20-Kilo- Leichtgewicht gefühlt hätte, antwortete sie lach end: "Eben darum mache ich das hier - ich will das Gefühl haben, nur 20 Kilo zu wiegen." Humor ist eine Form der Zuversicht. Und Zuversicht brauchen wir bei diesem Kurs. Am zweiten Tag schon sollen wir unseren Drachen nicht nur sicher lenken, sondern uns von ihm auch in einem Buggy, einer Art tiefergelegtem Dreirad, über den Strand ziehen lassen. Bei 30 Stundenkilometern - "ganz entspannt", wie es unser Lehrmeister Horst Nebbe formuliert.

Ein kühler Wind hat die Nebelwolken aufs Meer hinausgetrieben, die Sonne taucht einen der spektakulärsten Strände Deutschlands in weißes Licht. Eine gewaltige Fläche, zwölf Kilometer lang und bis zu zwei Kilometer breit. Hier parken Autos, Reiter galoppieren mit ihren Pferden bis zum Horizont, Restaurants und Toilettenhäuschen stehen auf meterhohen Stelzen, damit Sturmfluten darunter hindurchtoben können, und seit neuestem wird getestet, ob sich in den Strandkörben drahtloses Internet empfangen lässt.

Schon kleine Drachen zerren mit der Kraft eines Kampfhundegespanns
Schon kleine Drachen zerren mit der Kraft eines Kampfhundegespanns
© Michael Amme

Die meisten kommen wegen des Platzes

Aber nicht deswegen kommen die meisten Besucher, sondern wegen des Platzes: Freiraum für Familien, Badende, Jogger, Strandsegler - und eben für die Kitebuggy- Fahrer. Die Könner unter ihnen schaffen 80 Stundenkilometer Spitzentempo. Im April fand hier die zweite Deutsche Meisterschaft statt. Auch Horst Nebbe, den alle "Hossi" nennen, war am Start. Der 39- jährige IT-Experte - blauer Kapuzenpulli, orangefarbene Sportbrille mit violett verspiegelten Gläsern - klemmt sich seit Ende der neunziger Jahre in die Buggys, "zur Entspannung", wie er behauptet. In Zwei-Tage-Kursen bringt er Neulingen die Technik bei. Eine der ersten Fragen aller Novizen lautet: Wie gefährlich ist Kitebuggyfahren? "Nicht gefährlicher, als in Sankt Peter-Ording zur Hauptsaison shoppen zu gehen", antwortet Hossi. Schließlich herrscht strenge Helmpflicht. Wie beruhigend.

Erste Lektion: "Ihr dürft nicht verkrampfen, keine hektischen Bewegungen machen", mahnt Nebbe und demonstriert, wie der Kite zu lenken ist: Linke Leine behutsam zum Körper ziehen - der Drache fliegt nach links. Rechte Leine ziehen - der Drache dreht in die Gegenrichtung. Zum Bremsen drückt man die Griffe nach vorn, das nimmt die Spannung aus dem Flieger. Sieht einfach aus. Und tatsächlich: Nach zwei Stunden und vielen Abstürzen sind alle Drachenschüler "flugfähig". Unsere Arme sind zwar schwer geworden, Hände und Ellbogen schmerzen, doch aufhören will keiner. Erst eine längere Flaute treibt uns in die Mittagspause.

Theoriestunde im Sand

Die Krönung: Mit dem Wind über den Sand flitzen
Die Krönung: Mit dem Wind über den Sand flitzen
© Michael Amme

Theoriestunde: Während wir in die Sitze der Buggys plumpsen, die im Halbkreis vor Nebbes rotem Kleinbus stehen, zeichnet der Trainer mit einer Schaufel eine Linie in den Sand und darüber einen Halbkreis. Die Linie markiert die Fahrtrichtung, der Halbkreis das so genannte Windfenster - jenen Bereich, in dem der Kite vom Wind erfasst wird. Um Vortrieb zu erzeugen, muss der Drache im Winkel von etwa 45 Grad zum Fahrer im vorderen Teil des Windfensters wellenförmig auf und ab fliegen. Dreht er in den hinteren Teil, reißt er den Piloten herum, der Buggy schleudert oder fährt sogar rückwärts. Ich ahne, dass alles, was wir bisher gelernt haben, ein Kinderspiel ist im Vergleich zur Kunst, den spitzen Winkel im Fenster zu treffen.

Erst einmal aber bleibt das Fenster geschlossen. Nicht genug Wind. "Damit muss man rechnen. Der Wind ist launisch", sagt Hossi. Zeit also für eine Ortsbesichtigung. Bis vor kurzem lag die Patina der sechziger Jahre wie ein Häkeldeckchen auf dem kleinen Nordseebad. Doch jetzt wird durchgelüftet: Die Promenade im Ortsteil Bad erhält für sechs Millionen Euro einen neuen Auftritt, das kantig-schwarze Design- Hotel "Strandgut" hat kürzlich eröffnet, und die Seebrücke reckt sich in kühnen Wellen dem Meer entgegen. Nun entdecken junge Familien, Sportler und einige Prominente den verträumten Ort hinter den Salz wiesen und haben ihm bereits ein hippes Kürzel verpasst: Eingeweihte fahren nun nach "SPO" - das einst beschauliche Seebad ist en vogue.

Der akrobatische Abflug ist nur etwas für Könner
Der akrobatische Abflug ist nur etwas für Könner
© Michael Amme

Die Euphorie überwiegt

Der nächste Morgen. 20 Minuten vor der vereinbarten Zeit stehen vier von acht Kites am Himmel. "Wann kriegen wir denn endlich die Buggys?", fragt Mathias ungeduldig. "Eine Übung noch vor dem freien Fahren", sagt Nebbe. Wir sollen mit dem Buggy zwischen zwei Fahnen hin und her fahren, um das Wenden zu üben, als Zweierteam: Einer fährt, der andere hilft, stellt den Buggy in die richtige Position und entwirrt gegebenenfalls die Leinen. Der Wind weht kräftig, zerrt an den Kleidern. "Möchtest du zuerst?", frage ich Mathias. "Klar", entgegnet er. Mathias zieht seinen gelben Kite in die Luft, tappt langsam gegen den Wind und lässt sich in den Sitz fallen, der nur eine Handbreit über dem Boden hängt. Sofort rollt der Buggy los. "Genau, richtig so", brüllt Nebbe ihm hinterher, "hoch mit dem Kite und runter, hoooooch und ruuuuunter." Ruckzuck hat Mathias die Fahne erreicht, lenkt mit den Füßen den Vorderreifen in die Kurve, da zieht der Kite blitzschnell in die Gegenrichtung - zu schnell für den Piloten. Mathias stöhnt auf, Nebbe brüllt "bremsen, bremsen". Mathias drückt die Griffe nach vorne, der Drachen fällt in sich zusammen und sinkt wie ein zerknülltes Stück Papier zu Boden. Jetzt bin ich dran. Gemächlich rolle ich auf die Fahne zu. Geht doch. Euphorie steigt in mir auf wie bei meiner ersten Autofahrstunde. Plötzlich stößt eine Böe in den Drachen, reißt den Buggy nach vorn. Ich lenke ihn zu schnell in die Gegenrichtung, während der Drache noch geradeaus fliegt. Es reißt mir die Schultern herum, die gespannten Leinen schrappen über Arme und Hals nach hinten. Der Buggy steht, der Drache stürzt.

Es folgen mühsame Trainingsstunden. Kites sinken zu Boden, Leinen verheddern sich, Buggys bleiben stecken. Doch dann kommt für uns alle der Moment, in dem wir das Windfenster finden und endlich über die Weite des Strandes rollen. Mein Buggy fährt wie auf Schienen. Und der Drache? Tut erst zahm, lässt mir noch ein paar Sekunden. Dann zerrt er mein Dreirad wieder aus der Spur und verschnürt mich in seinen Leinen. So schnell gibt er sich doch nicht geschlagen.

Info

KITEBUGGY-KURS:

Kitebuggy Fahrschule St. Peter-Ording, Horst Nebbe, www.buggyfahrschule.de;

Auf Wunsch und bei ausreichenden Fertigkeiten kann man nach dem Kurs die Abschlussprüfung

ablegen; damit erwirbt man die Lizenz der German Parakart Association (GPA). Lizenz und Mitgliedschaft in der GPA sind nötig, um in Sankt Peter-Ording und auf Spiekeroog Kitebuggy fahren zu dürfen. Informationen zu Ausrüstung, Fahrgebieten und Buggy-Lizenz unter www.gpa.de

WOHNEN

Ferienwohnungen und Campingplatz Silbermöwe

Im Stadtteil Böhl, direkt an den Dünen gelegen. Drei-Sterne-Apartments mit Pantryküche und Sat-TV. Böhler Landstr. 179, www.silbermoewe.de;

Casa del Norte

Zehn Gehminuten vom Kite buggy-Strand. Gemütliche Zimmer mit Balkon oder Terrasse. Friesenstr. 5-7

ESSEN UND TRINKEN

Die Seekiste Für seine Fisch- und Krabbengerichte bekanntes Pfahlrestaurant am Böhler Strand, kürzlich vergrößert; eine Glaswand gegen den Wind umgibt nun die Sonnenterrasse. Geöffnet April-Oktober

Am Kamin Elegantes Restaurant in einem über 250 Jahre alten Reetdachhaus. Dorfstr. 12, www.am-kamin.stpeterording.de;

WELLNESS

Dünen-Therme Großes Gesundheitsund Wellnesszentrum. Hier erholt sich der Buggy pilot. Internet wie Tourismus-Zentrale

AUSKUNFT

Tourismus-Zentrale Sankt Peter-Ording St. Peter-Bad, Maleens Knoll 2, www.st.peter-ording.de

GEO SAISON Nr. 08/2007 - Island

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