Der Abdruck, den er hinterlässt, ist größer als der von Hund oder Puma, deutlich breiter als lang. Ein Auftritt so kräftig wie das Tier, von dem er stammt: Panthera onca, der Jaguar. Er ist gefleckt, manchmal schwarz, drittgrößte Großkatze nach Tiger und Löwe, die größte Amerikas, verbreitet von Mexiko bis in den Norden Argentiniens. Aber nur hier, im brasilianischen Pantanal, trifft man auf Männchen von 150 Kilogramm Gewicht, deutlich schwerer als jene, die Amazonasregion und Zentralamerika durchstreifen. Nirgendwo soll der Jaguar häufiger vorkommen als hier, in einem der größten Feuchtgebiete der Erde. Und doch lebt er hier besonders gefährlich.
Im Pantanal befinden sich 95 Prozent des Landes in Privatbesitz. Rund 2500 Farmen besetzen eine Fläche, die größer als Griechenland ist. Beweidet wird sie von knapp acht Millionen Rindern, die für den Jaguar leichte Beute sind. Ihn wiederum lassen die hiesigen Cowboys, die Vaqueiros, für Verluste ihres Viehs bezahlen: Sie schießen ihn ab.
Wer den Jaguar im Pantanal schützen will, der muss diesen jahrhundertealten Konflikt zwischen Mensch und Tier schlichten. Die im Jahr 2006 gegründete Tierschutzorganisation Panthera hat sich dieser komplizierten Friedensmission angenommen. Ein schwieriges Unterfangen. Im Pantanal kreisen zwar zahllose Geschichten um den Jaguar und seine Vorliebe für Vieh. Doch Fakten sind rar. Wann und wo schlägt die Großkatze bevorzugt zu? Und wie schwer wiegt der wirtschaftliche Schaden, den sie tatsächlich anrichtet?
Über die Jagdgewohnheiten des Jaguars weiß die Wissenschaft wenig. Überhaupt ist sein Verhalten kaum erforscht. Denn anders als beispielsweise Löwen pflegen Jaguare kein ausgeprägtes Sozialleben in einer gut einsehbaren Savannenlandschaft. Sie streifen als Einzelgänger durch ihre Reviere, oft durch schwer zugängliche Wälder, häufig nachts - und sind entsprechend schwierig zu beobachten.
Schlaglichter auf das verborgene Dasein der Jaguare werfen die Studien der Biologin Sandra Cavalcanti, die viele Jahre im Pantanal forschte. Dort haben sie und ihr Team zehn Tiere besendert - fünf Männchen und vier Weibchen sowie ein Jungtier. Zwölfmal täglich ermitteln und speichern Halsbänder mit GPS-Empfängern die Standortdaten ihrer Träger, über Jahre hinweg. Insgesamt hat Cavalcanti pro Tier 3000 Daten gesammelt und ausgewertet. "Fast alles, was wir über den Jaguar zu
wissen glaubten, erwies sich als falsch", sagt sie. Weder töte die Großkatze bevorzugt an Waldrändern und in Wassernähe, noch schlage sie besonders häufig in der Dunkelheit zu. "Ein Riss um die Mittagszeit", sagt Cavalcanti, "kommt sogar häufiger vor als einer um Mitternacht."
Wann immer ein Tier sich länger an einem Ort aufhielt, suchte Cavalcanti diesen auf. Sie entdeckte so 438 Skelette von Beutetieren, darunter Kaimane, Ameisenbären, Wasserschweine, Anakondas, Rinder. Der Anteil, den das Nutzvieh unter der Beute ausmacht, schwankt mit den Jahreszeiten. Jedes Jahr zur Regenzeit fließen Milliarden Liter Wasser in die Tiefebene des Pantanal. Da der Paraguay-Fluss dort sehr langsam fließt, kann er längst nicht alles davon aufnehmen, vier Fünftel des Landes werden überschwemmt. In dieser Phase ernährt sich der Jaguar vor allem von im Wasser lebenden Tieren. In der Trockenzeit aber greift er Rinder an, sie machen dann über 50 Prozent seiner Beute aus.
Anders als vermutet, stieß Cavalcanti bei ihren Studien auf keine sogenannten Problemtiere: Katzen, die früh auf das Jagen von Rindern geprägt wurden und keine andere Beute mehr fassen. Nicht einmal Weibchen mit Nachwuchs, berichtet die Forscherin, bevorzugten Vieh. Auch töteten die beobachteten Jaguare nie um des Tötens willen: Zwischen jedem Jagdakt lagen drei bis sechs Tage - und jedes Opfer wurde bis auf den letzten Bissen verzehrt.
Der Jaguar ist besser als sein Ruf
Seine Rolle als Viehräuber halten Forscher wie Cavalcanti deshalb für überschätzt - Fehlgeburten und Infektionen richteten in den Herden weit größeren Schaden an.
Diese Botschaft an den Mann zu bringen versucht Rafael Hoogesteijn, ein Veterinär, der Jaguare in seiner Heimat Venezuela studierte. Inzwischen arbeitet er in Brasilien für Panthera. Die Organisation hat Ende 2007 im Pantanal eine Fazenda erworben, mehr als 20 000 Hektar Land, Tausende Rinder: São Bento. Modellhaft soll Hoogesteijn den Vaqueiros hier beibringen, wie man das Vieh vor den Angriffen eines Jaguars schützt, ohne diesen zu erschießen. Doch mit einigen seiner Ideen stößt er auf Skepsis.
Zwar sind die Muttertiere und deren Kälber mittlerweile in der Nähe der Fazenda versammelt, wie der Forscher es vorschlägt. Aber mit seinem Einfall, in der Nacht einen Vaqueiro mit dem Traktor die Herde umrunden zu lassen und etwa sich anschleichende Jaguare mit Leuchtraketen zu vertreiben, ist Hoogesteijn gescheitert: Kein Vaqueiro will die Nacht draußen verbringen.
Mit Erfolg dagegen hat er andernorts schon die Methode getestet, Wasserbüffel in die Herden zu mischen, die sich gegen Jaguarattacken zu wehren wissen. Auf São Bento hat er sie noch nicht durchsetzen können.
"Am schwierigsten ist es", sagt Hoogesteijn, "althergebrachte Mentalitäten zu ändern." Seit 200 Jahren verstehen sich die Menschen im Pantanal als Vorposten der Zivilisation, nur den Gesetzen unterworfen, die sich im Kampf gegen die Natur herausgebildet haben. Auch der Jaguar gilt als Feind, aber anders als die Fluten ist er bezwingbar. Im Kampf gegen ihn beweisen die Männer des Pantanal ihren Mut - und mit Erzählungen von der Jagd auf den Jäger vertreiben sie sich an langen Abenden die Langeweile.
Immerhin: Einige Fazendeiros im Pantanal zeigen sich mittlerweile aufgeschlossen gegenüber dem Gedanken, den Jaguar zu schützen. Sie haben den Tourismus als Geschäft erkannt und bieten Unterkunft und Führungen in die Wildnis an. Forscher haben 665 Vogel-, 263 Fisch- und 123 Säugetierarten in dieser für Menschen schwer zugänglichen Landschaft gezählt. Hauptattraktion für Naturbeobachter: der Jaguar.