Anzeige
Anzeige

Zwangsbejagung Warum auch auf Grundstücken von Tierfreunden gejagt werden darf - und was sie dagegen tun können

Enten werden im Flug erschossen. Eine unbekannte Anzahl von ihnen erleidet dabei nur Streif- oder Steckschüsse
Enten werden im Flug erschossen. Eine unbekannte Anzahl von ihnen erleidet dabei nur Streif- oder Steckschüsse
© Freeograph/Shutterstock
In Deutschland darf außerhalb geschlossener Ortschaften fast überall geschossen werden. Auch auf den Grundstücken von Veganern und anderen Gegnern der Jagd. Erst seit 2013 ist es möglich, sich dagegen zu wehren

Eine Oase des Lebens sollte es werden: Als Til Macke 1989 das etwa vier Fußballfelder messende Gelände einer früheren Tongrube in der Nähe von Bonn erwarb, schwebte ihm ein Refugium, eine Arche für seltene Tier- und Pflanzenarten vor. Mitten in einer ausgeräumten Agrar- und Kulturlandschaft. Bald locken die aufwändig renaturierten Ufersäume um den verschwiegenen See Prachtlibellen und Stockenten an. Und Jäger.

Was der Biologe, Unternehmer und Enkel des Malers August Macke nicht wusste: Mit dem Kauf des Grundstücks war er Zwangsmitglied in einer Jagdgenossenschaft geworden. Und auf dem Grund und Boden von Mitgliedern darf gejagt werden – selbst wenn der Eigentümer das nicht will.

Das Recht zur Ausübung der Jagd gilt außerhalb geschlossener Ortschaften – auch in Naturschutzgebieten und Nationalparks – fast überall in Deutschland. Ausgenommen sind nur sogenannte befriedete Bezirke, etwa Spielplätze und Friedhöfe. Anders wäre eine Jagdstrecke, wie sie der Deutsche Jagdverband auflistet, kaum zu bewerkstelligen. Weit über vier Millionen Tiere sterben jedes Jahr durch Schrot oder Kugel, "wildernde" Katzen und Hunde nicht eingerechnet, hinzu kommen ungezählte Tiere, die nur angeschossen werden und verenden.

Einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand zu Wohngebäuden gibt es bei der Jagd nicht; beim Schießen müssen Jäger lediglich darauf achten, keine Personen zu gefährden und Häuser nicht zu beschädigen.

Schlecht getroffene Enten starben qualvoll

Als eines Tages sechs Männer mit Hunden und geladenen Flinten den Zaun zu Mackes Naturparadies übersteigen, ist der Vogelliebhaber entsetzt. "Enten dürfen nur im Flug geschossen werden, also werden einige von dem Bleischrot getroffen, andere nur verletzt", berichtet Macke, „und sterben dann qualvoll an einer Bleivergiftung". Das wollte und konnte er nicht dulden. Der promovierte Biologe zweifelt darüber hinaus an einem zentralen Argument für die Jagd: dass die Tierzahlen "reguliert" werden müssten. "Wenn man die Jagd komplett einstellte", sagt Macke, "würden sich die Tierzahlen in der Natur vielleicht auf natürliche Weise regulieren."

Zweimal wandte sich Macke an die Untere Jagdbehörde, mit der Bitte, sein Grundstück aus der Bejagung herauszunehmen. Zweimal lehnte die Behörde ab.

Auf dem Gelände einer ehemaligen Tongrube entstand ein Naturparadies: die Arche Lütz
Auf dem Gelände einer ehemaligen Tongrube entstand ein Naturparadies: die Arche Lütz
© Macke-Stiftung Arche Lütz

Erst im Jahr 2012 änderte sich die Lage. Genauer: die Rechtslage. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, es sei Eigentümern nicht zuzumuten, die Jagd auf ihrem Grundstück zu dulden, wenn sie das Töten von Wildtieren aus ethischen Gründen ablehnen. Die Mitgliedsländer der EU mussten nun ihre Gesetzgebung entsprechend anpassen.

Mit neuer Hoffnung stellte Til Macke im Jahr 2013 wieder einen Antrag - mittlerweile den dritten –, der wieder abgelehnt wurde. Er zog vor das Kölner Verwaltungsgericht. Und bekam im Jahr 2015 Recht – nun auf der Grundlage des neuen Paragrafen 6a des deutschen Jagdgesetzes. Sein Grund und Boden, die "Arche Lütz", wurde 2017, nach einer großzügig bemessenen Übergangsfrist, ein sogenannter befriedeter Bezirk.

Dutzende Grundeigentümer folgten Mackes Beispiel

In Nordrhein-Westfalen betrat Macke damit Neuland. Doch seither haben bundesweit Dutzende Land- und Waldbesitzer eine Befriedung ihres Grundbesitzes beantragt. Die meisten von ihnen waren damit erfolgreich. Seit es den neuen Paragrafen und zahlreiche Präzedenzfälle gibt, stehen die Chancen für tierliebe Grundbesitzer gut.

Mit einem Klick erledigt ist die Befriedung gleichwohl nicht. Im Antrag an die zuständige Behörde muss nicht nur die ethische Gesinnung des Antragstellers glaubhaft gemacht werden. Zudem listet das Gesetz zahlreiche Gründe auf, die gegen eine Befriedung sprechen können. Etwa wenn Waldschäden durch Verbiss zu befürchten sind oder Tierseuchen grassieren. Viele, die gerne einen Antrag stellen würden, dürften auch die bis zu vierstelligen Verwaltungsgebühren abschrecken, die die Behörden in Rechnung stellen.

"Akt der Entsolidarisierung"

Aus Sicht der Jägerschaft ist die neu geschaffene Möglichkeit der Befriedung aus ethischen Gründen ein zweifelhafter Erfolg. So befürchtet man beim Deutschen Jagdverband einen Flickenteppich aus Gebieten, in denen gejagt und solchen, in denen nicht gejagt werden darf. Die individuelle Gewissensentscheidung kritisiert der Verband als einen "Akt der Entsolidarisierung".

Aus der Perspektive von Tierschützern wiederum ist das Befriedungs-Potenzial enorm: Schließlich ist rund die Hälfte des deutschen Waldes in der Hand von Privatbesitzern. In Deutschland könnte im Lauf von Jahrzehnten ein dichtes Netz aus befriedeten Bezirken entstehen. Ein Verbund von Ruhe-Oasen, in denen – außer etwa im Fall von Tierseuchen – nicht getötet werden darf. In denen Wildtiere wie Füchse, Rehe und Hasen sich nicht verstecken müssen und Menschen gegenüber zutraulich sein können.

Til Macke, elf Jahre lang Vorsitzender der NABU-Kreisgruppe Bonn und seit 2006 Träger des Bundesverdienstkreuzes, ist heute über 80. Er würde seine Arche gerne der NABU-Stiftung Naturerbe Nordrhein-Westfalen überlassen. Aber damit wartet er lieber noch. Denn sobald das kleine Paradies seinen Besitzer wechselt, erlischt die Befriedung. Auch das regelt der Paragraf 6a.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel