Hunderte Millionen Tiere werden jedes Jahr in Deutschland getötet. Sie sterben in Schlachthöfen, in Laboren, im Wald. Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich heißt es im Tierschutzgesetz, Paragraf 1: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Wer ein Tier tötet, braucht also einen vernünftigen Grund. Immer. Sonst macht er, macht sie sich strafbar.
Aber was ist eigentlich ein "vernünftiger Grund"? Für Tierfreundinnen und ethische Veganer ist ein im weitesten Sinne vernünftiger, also nachvollziehbarer oder triftiger Grund etwas anderes als für die Leitung eines Tierversuchslabors oder den Vorstand eines Fleischkonzerns.
Mit dieser Frage haben sich nun Juristinnen und Juristen beschäftigt. Endlich, muss man hinzufügen. Denn aus Tierschutzsicht galt bislang fast jedes kommerzielle Interesse als "vernünftiger Grund". Ihr im Auftrag der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" erstelltes Rechtsgutachten bietet einigen Sprengstoff. Denn in dem Papier steht nichts anderes als: Für das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken gibt es in Deutschland keinen vernünftigen Grund. Anders gesagt: Es könnte verboten werden.
Die Argumentation: Neben dem millionenfachen Leid, das das Töten von Tieren mit sich bringt – jeden Tag sterben in Deutschland mehr als zwei Millionen Tiere durch Bolzenschussgeräte, in Elektrobädern oder CO2-Gondeln –, trägt die Tierproduktion erheblich zum Klimagasausstoß bei, Grundwasser wird durch Gülle verpestet. Zudem begünstigt der Einsatz von Antibiotika in der massenhaften Tierproduktion die Entstehung von resistenten Keimen.
Leid könnte vermieden werden, und Fleischalternativen sind verfügbar
Auf der anderen Seite sind längst tierleidfreie Alternativen verfügbar – etwa aus Soja, Seitan oder anderen Pflanzeneiweißen. Auch "echtes" Fleisch aus dem Bioreaktor könnte schon bald günstig und in großen Mengen auf den Markt kommen.
Nicht zuletzt ist der Staat durch Artikel 20a des Grundgesetzes verpflichtet, Tiere zu schützen. Und das schon seit 30 Jahren. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als eine Neubewertung der Rechtslage, in die neue Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung ebenso einfließen wie beispielsweise der gesellschaftliche Trend, Tieren eigene Rechte zuzuerkennen.
Wollen die uns nun auch noch den Weihnachtsbraten verbieten? Eher nicht. Oder: noch nicht. Aber die Juristinnen weisen völlig zu Recht darauf hin, dass das Töten von Tieren kein "in Stein gemeißeltes Recht des Menschen" sei: Die äußerste Gewalt gegen Tiere bedarf der Legitimation. Sie zu hinterfragen gibt es heute mehr als einen vernünftigen Grund.