Blumen strotzen vor Erotik. Leuchtende Farben, betäubende Düfte sollen Neugierige anlocken, die dann den Pollen der (männlichen) Staubblätter auf die (weibliche) Narbe einer anderen Pflanze übertragen. "Befruchte mich! Es soll dein Schaden nicht sein! Auch du wirst durch mich fruchtbarer!", lautet die Botschaft.
Orchideen haben diese Versprechen zu einem System pflanzlicher Hypnose perfektioniert, in dem willige Helfer, betäubt von den Verheißungen attraktiver Kelche, wohldosierte Pollenpäckchen an ihre Bestimmungsorte tragen. Manche Vertreter dieser Pflanzengattung wirken zwar wie unschuldige Lilien - andere aber haben labyrinthartige Blüten entwickelt, durch die ein Bestäuber taumelt wie die Kugel beim Flipperspiel, bis er bepackt entkommt. Es gibt sogar Orchideen, die blühen fast unsichtbar unter der Erde und lassen ihre Fortpflanzung wahrscheinlich von Ameisen erledigen. All das sind Vermehrungsstrategien einer Pflanzengruppe, welche als eine der artenreichsten der Erde gilt. Auch weil der Mensch ebenfalls auf die Botanik der Begierde fliegt: Zu den etwa 25.000 bekannten Orchideen sind heute über 100.000 Züchtungen gekommen, mit denen Homo sapiens, sozusagen als Mega-Bestäuber, den evolutionären Erfolg dieser Pflanzenfamilie vervielfacht hat.
Zwar macht die Mehrzahl der verführerischen Blumen ihren Besuchern ein solides Tauschangebot - sie belohnen die Insekten für die Bestäubung mit Nektar. Aber mehr als ein Drittel bietet ihren Besuchern nicht Nahrung als Gegenleistung für die Bestäubung an, sondern lockt sie mit süßen Verheißungen in ihre Dienste - und beutet sie dann ordentlich aus.
So erhalten Euglossa-Bienen die aphrodisierenden Aromen der Coryanthes nur, wenn sie einiges in Kauf nehmen. Immer wieder rutscht einer der berauschten Freier auf der Blütenlippe ab und platscht in die Flüssigkeit darunter. Die triefenden Insekten haben mit nassen Flügeln keine Chance, nach oben zu entkommen. Sie müssen sich durch eine enge Spalte ins Freie zwängen. Dabei bleiben zwei leuchtend gelbe Pollensäcke an ihrem Rücken hängen wie die Pressluftflaschen eines Tauchers. Wenn diese Biene in der nächsten Blüte erneut baden geht und sich durch den Tunnel quetscht, verfangen sich die Pollenpakete an winzigen Haken - fertig ist die Befruchtung.
Andere Vertreter der Pflanzenfamilie gehen noch ruchloser vor: Die australische Caladenia cairnsiana etwa verströmt ein Aroma, das die Pheromone der Weibchen einer Wespenart imitiert. Deren Männchen, vom Duft willenlos gemacht, stürzen sich mit dem Hinterleib voran auf die Blütenlippe und beginnen, mit der Orchidee zu kopulieren. Statt ein Weibchen befruchtet zu haben, zieht das düpierte Insekt schließlich mit zwei an sein Abdomen gehefteten Pollenpäckchen ab. Aber damit ist der Betrug noch nicht vollendet: Wegen des Samenklaus der Orchidee bleibt ein Teil der echten Wespen- Weibchen unbefruchtet. Und diese legen Eier, aus denen ausschließlich Männchen schlüpfen - neue Partner für die botanische Geschlechtsattrappe.
Ist all das noch Symbiose, wie zwischen Blümchen und Bienchen allgemein üblich? Kaum. Manche Orchideen, meint der belgische Botaniker Nicolas Vereecken, lassen sich eher als Parasiten verstehen, unter denen ihre hoffnungsfrohen Besucher leiden wie sonst unter Milben und Nematoden. Mit der Haltung von Lustsklaven aus dem Insektenreich, die oft auf eine einzige Blütenart fixiert sind, könnte den erotischen Gewächsen ein besonders smarter evolutionärer Schachzug gelungen sein. Denn wer einen treuen Bestäuber hat, der geht sicher, dass sein Pollen garantiert auf einer Blüte der eigenen Art landet - und nicht im Nirgendwo floraler Vielfalt verfliegt.