Ein Hightechbauernhof als Touristenziel - in Korea ganz normal. "Einmal die Woche kommen gut ein Dutzend Besucher", erklärt Choi Kyu-hong. Der Agrarwissenschaftler ist der Leiter der experimentellen Vertical Farm im südkoreanischen Suwon, etwa 25 Kilometer südlich der Hauptstadt Seoul.
In einem dreistöckigen Gebäude auf dem Gelände der Rural Development Administration, kurz RDA, wird mitten in der Stadt Gemüse angebaut - ganz ohne Pestizide, vollautomatisch und inmitten von 20 Millionen Menschen. Das ganze Jahr über kann unabhängig von Schlechtwetter und Umweltkatastrophen geerntet werden, und zwar um ein Vielfaches ertragreicher als ein in einem vergleichbar großen herkömmlichen Gewächshaus.
Das Interesse an dem Projekt ist riesig. Dicht gedrängt schauen die Besucher durch eine Fensterscheibe in Koreas erste, wissenschaftliche "Vertical Farm". Von innen sieht es ein wenig aus wie in einer Ikea-Lagerhalle. Statt "Billy" liegt aber Blattsalat in den Regalen. Die in mehreren Schichten aufgereihten Pflanzen werden mit weißem, blauem und violetten Licht aus Light Edmitting Diods, kurz LEDs, bestrahlt. Bei voller Auslastung sollen auf den insgesamt 446 Quadratmetern pro Tag 125 Blattsalatköpfe erzeugt werden.
Wissenschaftler Choi kontrolliert immer wieder Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Auch die Lichtwellenlänge der hocheffizienten Leuchtdioden muss genau stimmen. Je nach Pflanze hängt das Wachstum genau davon ab. Passt die Wellenlänge nicht, wachsen die Salatköpfe nur langsam. Beim Vertical Farming darf nichts dem Zufall überlassen bleiben. Die Koreaner wollen mit ihrem Projekt in absehbarer Zeit in den regulären Handel, da muss die Experimentierphase erfolgreich verlaufen. Bald sollen in Koreas Supermärkten Tomaten, Erdbeeren und Kartoffeln aus dem Hochhausanbau erhältlich sein.
Die Rural Development Administration hat mit ihrer Vertical Farm auf das Konzept von Dickson Despommier zurückgegriffen. Der emeritierte Professor für Umweltgesundheit an der New Yorker Columbia University hat es in dieser Form 1999 gemeinsam mit seinen Studenten entwickelt. Erste Veröffentlichungen zum vertikalen Pflanzenanbau finden sich aber bereits 1915.
Angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung wird die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung zu einem drängenden Problem. Die UNO prognostiziert gut neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 - und Ackerflächen sind nur begrenzt vorhanden, viele von kontinuierlicher Bewirtschaftung in den vergangenen 60 Jahren ausgelaugt. Die vielen leer stehenden Hochhäuser in Manhattan inspirierten den Wissenschaftler Despommmier und seine Studenten: "Wir wissen ja, wie man Pflanzen indoor anbaut und bewässert - wieso tun wir's nicht einfach?", grinst Despommier heute, zwölf Jahre und zahlreiche Projekte später. Er will nichts Geringeres als mit seiner Idee die Landwirtschaft revolutionieren. Auch in Ländern, in denen Landwirtschaft gar nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, soll das Konzept für Nahrungsmittelsicherheit sorgen.
Kritiker halten Vertical Farming allerdings für eine utopische Spielerei. Als Hauptproblem benennen sie den Energiehunger der vertikalen Bauernhöfe. Das Sonnenlicht muss vollständig durch Leuchtdioden ersetzt werden. Der Strom dafür soll aber nicht etwa aus Atomkraftwerken kommen. Despommier stellt sich eine Komplettversorgung aus erneuerbaren Energien vor. Der Agrarforscher Stan Cox vom Kansas Land Institute hat Despommiers Vision auf seine Umsetzbarkeit hin untersucht. Das Ergebnis ist wenig berauschend: Sollte die jährliche Weizenernte der USA nur mittels Vertical Farming und erneuerbarer Energien produziert werden, müsste der Sektor für erneuerbare Energien um das 400fache gesteigert werden.
In Suwon sollen solche Probleme bald gelöst sein. Choi sieht sein Team auf dem richtigen Weg: "Wir nutzen Fernwärme, um die Vertical Farm zu klimatisieren. Für die Lichtversorgung verwenden wir Solarzellen. Trotzdem speisen wir noch 50 Prozent des Gesamtenergieverbauchs zusätzlich ein." Wie hoch der Energieverbrauch der Vertical Farm in Suwon genau ist, wird erst Ende des Jahres feststehen. Erst einmal wird fieberhaft weiter geforscht.
"In fünf Jahren", meint Chois Kollegin Lee Hye-jin, "ist unsere Farm reif für den freien Markt". Für Südkorea ist der Erfolg des Projekts ausgesprochen wichtig. Das Land am Han-Fluss importiert heute den größten Teil seiner Lebensmittel. Deren Preise befinden sich nach Angaben der Vereinten Nationen auf einem Allzeithoch. Nach einer OECD Studie aus dem Jahr 2005 rangiert Südkorea auf dem fünftletzten Platz, wenn es um die Nahrungsmittel-Versorgungssicherheit in den OECD-Ländern geht.