Herr Hösl, welche Menschen kommen zu Ihnen?
Andreas Hösl: Es sind sowohl Manager als auch Angestellte, Selbstständige und Arbeitslose. Männer wie Frauen, vom Alter her eher ab 40 aufwärts bis hin zu über 70-Jährigen. Die meisten von ihnen befinden sich in einer Sinnkrise, suchen nach Antworten bei Lebenskrisen, Krankheit, Schicksalsschlägen. Andere brauchen einfach eine neue Vision.
Wieso Coaching in der Natur?
Die Natur ist wie ein Spiegel für uns. Sie gibt uns Hinweise darauf, wie wir unser eigenes Leben leben können. Sie lehrt uns im Herbst das Loslassen, zeigt uns, dass manches Zeit braucht, manchmal aber auch ein einziger Sturm alles Laub vom Baum fegen kann. Wir kommen immer wieder an Weggabelungen, müssen uns entscheiden, welchen Weg wir weitergehen wollen - ganz praktisch vor Ort, oder auch in unserem eigenen Leben. In der Natur wirken Kräfte, die uns, wenn wir wirklich bereit sind, mit ihnen in Kontakt zu kommen, so gut unterstützen, wie es kaum ein Therapeut kann.
Brauchen wir wirklich einen Coach, um diesen Kontakt herzustellen?
Oftmals leider schon. Denn viele von uns haben die natürliche Verbindung zur Natur verloren. In unserer Sprache ist ihre Bedeutung für unser eigenes Leben zwar noch vorhanden - so sagen wir beispielsweise "Ich muss mal frische Luft schnappen" oder "mir die Füße vertreten". Dennoch weiß kaum mehr jemand, wie er die Natur mit all ihren Elementen in schwierigen Zeiten für sich nutzen kann.
Ein Spaziergang am Bach entlang oder eine Bergwanderung - wie hilft das in Krisenzeiten weiter?
Achtzig Prozent aller kreativen Ideen und Problemlösungen entstehen außerhalb des normalen Denkprozesses. Zum Beispiel beim Spazierengehen, beim Sport, im Auto, unter der Dusche oder auf der Toilette. Daher sind meine Angebote bewusst eine Mischung aus Wanderung und Coaching. Denn in Bewegung zeigen sich uns andere, kreative, unerwartete Lösungen und Möglichkeiten. Auf die wären wir, zurückgezogen in unser Kämmerlein, verwickelt in endlose Gedankenschlaufen, gar nicht gekommen. Rauszukommen aus dem Nachdenken, das sich im Kreise dreht, um wieder einen Überblick über die Gesamtsituation zu bekommen und klarer sehen zu können: Darum geht es.
Auf Ihren Wanderungen besuchen Sie mit Ihren Coaching-Teilnehmern auch so genannte Kraftplätze ...
Das sind Orte, die einen inneren Prozess unterstützen. Auf einer Wanderung im Tessin beispielsweise haben sich an einem bestimmten, von Felsen rundherum geschützten Platz, plötzlich alle Teilnehmenden auf die Erde gelegt, ohne dass ich überhaupt etwas in der Richtung gesagt hatte. Selbst ein Teilnehmer, der vorher mit drei Handys gleichzeitig telefoniert hatte, wurde auf einmal ganz ruhig.
Wie läuft so ein Naturcoaching ab?
Das könnte zum Beispiel so aussehen: Ein Klient mit einem Burnout meldet sich bei mir, und wir treffen uns an einem vereinbarten Ort. Bevor wir gemütlich loswandern, verbinden wir uns mit einem Ritual mit der Natur und den Kräften des Ortes. Ich lasse den Klienten von sich erzählen und stelle gezielt Fragen. Auslöser seines Burnouts sind Versagensängste. Gegen die Fließrichtung des Flusses erreichen wir einen Tobel, ein trichterförmiges Tal, und steigen weiter auf zu einer Pilgerstätte. Wir überwinden also nacheinander den Wiederstand des Flusses, die Enge des Tals und meistern gemeinsam den mühsamen Aufstieg voller Probleme und Lasten. Angekommen an der kleinen Kapelle, lasse ich dem Klienten Raum und bin einfach nur da. Der Ort bewirkt durch seine ganz eigene Energie eine Erleichterung oder einen Gefühlsausbruch. Bevor wir zurückgehen, lade ich ihn ein, alle Hindernisse in seinem Leben zu notieren. Auf einer Brücke bitte ich den Klienten dann, alle aufgeschriebenen Hindernisse vorzulesen und zu sagen "Ich lasse ... los". Danach zerreißt er das Blatt und wirft es in den Fluss. Abschließend bitte ich ihn, sich für das Positive zu öffnen und sich vorzustellen, dass die Natur, der Fluss und der Wind, ihn mit dem dafür Notwendigen versorgen.
"Kraftorte", "Energie" - gibt es für das, was Sie beschreiben, auch wissenschaftliche Erklärungen?
Während eines Naturcoachings bewegen wir uns auf der gesamten Tonleiter des Gehirnwellenspektrums: Die Betawellen unseres Wachbewusstseins sind für logisches, prüfendes und bewusstes Denken zuständig, die Alphawellen treten in entspannter Atmosphäre auf - wie beim Gehen in der Natur - und gewähren uns Zugang zu Tagträumen und Visionen. Die Thetawellen treten vor allem im Traum oder in einem meditativen Zustand auf. Hier zeigen sich unbewusste Blockaden und der Klient erfährt verstärkt Zugang zu seinem kreativen Potenzial. Die Natur unterstützt dabei den Suchenden, hilft eine Ebene zu finden, die kraftvoll, klar und unbelastet ist und begleitet auf diese Weise die Heilung.
Wie sind Sie selbst zum Naturcoaching gekommen?
Auch bei mir war es eine Krise, die Krankheit und der Tod meiner ersten Ehefrau, die mich wieder in Verbindung mit der Natur gebracht hat. Damals lösten sich bei einer Bergwanderung so viele Fragen, aber auch eine tiefe Verzweiflung. Das hat meinem Leben eine neue Richtung verpasst. Damals habe ich selbst erfahren: Die Natur ist die beste Heilerin.
Die Homepage von Andreas Hösl: www.geh-spräche.de
Die Homepage des "Netzwerks Bewegendes Coaching": www.bewegendes-coaching.de