Klimaforscher gingen bislang davon aus, dass der kilometerdicke Eispanzer Grönlands fast drei Millionen Jahre alt ist. Neueste Analysen zeigen: Möglicherweise war ein großer Teil der Insel noch vor wenigen hunderttausend Jahren eisfrei – und von einem borealen Nadelwald bedeckt, wie er heute aus der Tundra bekannt ist.
Den entscheidenden Hinweis lieferte ein Eis-Bohrkern aus dem Jahr 1966, der im Rahmen einer streng geheimen Forschungsmission gewonnen wurde.
Ursprünglich ging es bei dem Projekt „Iceworm“ darum, Möglichkeiten zu erkunden, unter dem Eis Hunderte atomare Sprengkörper zu lagern – in Reichweite der Sowjetunion. Der Ort der Bohrung war das „Camp Century“, ein ebenso geheimer Stützpunkt der US-Army im Nordwesten Grönlands.
Späte Entdeckung
Was die Stationierung von Atomwaffen anbelangt, erwies sich „Iceworm“ als Rohrkrepierer. Die Arbeiten wurden 1967 eingestellt, das Camp sich selbst überlassen. Übrig blieb unter anderem ein 3,4 Meter langes Stück Bohrkern. Die eisige Fracht gelangte zunächst nach Buffalo, in einen Kühlraum der State University of New York, später nach Kopenhagen an das Niels-Bohr-Institut.
Dort wurde im Jahr 2017 der Kurator Jørgen Peder Steffensen auf das skurrile Archivstück aufmerksam. Was eine genauere Untersuchung lohnenswert erscheinen ließ: Der Bohrkern ist das untere Ende einer 1368 Meter tiefen Bohrung in den Eisschild. Ein etwa zehn Zentimeter langes Stück des mineralischen Untergrunds förderte der Bohrer mit dem Eis zu Tage. vielleicht mit organischem Material, das Aufschlüsse über die Geschichte der Eisbedeckung enthielt?
Der Geologe Andrew Christ von der University of Vermont sah sich das Material genauer an. Als er und seine Kollegen die Krümel in Wasser auflösten und unter dem Mikroskop betrachteten, fanden sie im einst gefrorenen Sediment winzige Ästchen und Blätter. Im Wasser, so berichtet Christ, sei das Pflanzenmaterial aufgequollen und habe ausgesehen, als sei es „erst gestern abgestorben“.
Wie die Forscher in ihrer in der Fachzeitschrift PNAS erschienen Studie berichten, können solche Pflanzen nur zu einer Zeit gewachsen sein, als Grönland weitgehend eisfrei war. Etwa in einem borealen Nadelwald.
Grönlands Eispanzer weniger stabil als gedacht
Die eigentliche Sensation jedoch kam mit der Altersbestimmung: Eine Isotopenanalyse ergab, dass die „gefriergetrockneten“ Pflanzenteile und Mineralien nur wenige hunderttausend bis maximal eine Million Jahre alt sein können. Die bisherige Annahme, der Eispanzer Grönlands bestehe in seiner heutigen Ausdehnung schon seit rund 2,6 Millionen Jahren, ist damit hinfällig. Ebenso wie die Vorstellungen von der Stabilität des kilometerdicken Eispanzers im Klimawandel.
Experten warnen, dass der grönländische Eisschild auf der Kippe steht: Schon in wenigen Jahrzehnten könnte sein Abschmelzen unumkehrbar voranschreiten. Mit gewaltigen Folgen für alle Küstenregionen: Allein das Abschmelzen des grönländischen Inlandseises würde zu einem Meeresspiegelanstieg von etwa sieben Metern führen. „Das würde große Teile der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde überfluten“, sagte Christ gegenüber Live Science.