Eisbären und Pinguine, Tiger und Geparden, Kängurus und Gorillas: Welche Kinderstube haben sie? Bucher Verlag und GEO geben die Antwort darauf in einem neuen Buch, dessen Vorwort wir Ihnen hier vorstellen möchten. Verfasst hat es GEO-Fotochefin Ruth Eichhorn.
"Kennen Sie Annie Leibowitz? Nein? Macht nichts. Sie ist nicht nur die berühmteste Fotografin der Welt, sie ist auch die einflussreichste. Wenn sie einfliegt, machen die Berühmten dieser Erde ausnahmslos alles, was sie für andere Fotografen nicht machen würden.
Kennen Sie Knut? Dumme Frage. Selbstverständlich kennen Sie den kleinen knuddeligen Eisbären aus dem Berliner Zoo. Er ist mittlerweile auf allen Kontinenten ein Star. Und das wiederum liegt an Annie Leibowitz. Sie hat ihn in Berlin für ein amerikanisches Magazin fotografiert. Und nun schmückt er dessen Titelbild und himmelt Leonardo de Caprio an. Und süß sieht er aus - der kleine Knut.
Von seinem internationalen Ruhm weiß das Eisbärenkind nichts. Es lebt weiter im Berliner Zoo, während seine Fotos
um die um die Welt gehen. Denn nicht nur Annie Leibowitz hat Knut abgelichtet, sondern unzählige Zeitungen und Fernsehsendungen haben sein Bild verbreitet. Inzwischen ist Knut ein eingetragenes Markenzeichen geworden und gibt dem Klimaschutz-Gedanken ein Gesicht. Ein Gesicht, das so sympathisch ist, dass Knut es vielleicht schaffen könnte, endlich auch jene zu erhitzen, die die Erderwärmung bislang völlig kalt gelassen hat.
Soviel Macht haben Tierkinder, wenn Bilder ihnen diese Macht verleihen und an unsere Beschützerinstinkte appellieren.
Wie dieser Fotoband zeigt, hat die Natur außer knuddeligen Knuts noch viele niedliche Tierkinder zu bieten, deren Anblick uns zu Herzen geht, deren Schicksal unser Mitgefühl weckt. Wie in einer Wildlife-Soap-Opera sehen wir ihrer Entwicklung ergriffen zu, bangen wir um ihr Überleben, wünschen wir, dass sie durchkommen, verfolgen wir gebannt, wie hilflos-tollpatschige Tierbabys, von ihren Eltern behütet, heranwachsen.
Wir erleben das nicht live wie der Fotograf Thorsten Milse. Wir sind nicht den polaren Kältegraden und beißenden Winden ausgesetzt, nicht der tropischen Schwüle, nicht der Dürre und Weißglut der Sonne. Anders als Milse hören wir nicht das Geschrei, riechen wir nicht den Gestank, sehen wir kein Blut, keine Leichen. Milses Bilder ersparen uns die Brutalität, mit der die Wildnis aufräumt unter den Jüngsten und Schwächsten. So können wir uns beim Betrachten seiner Bilder ganz dem Charme einer wilden, aber behüteten Kindheit hingeben. Wir können staunen, wie Eltern sich aufopfern, und wie sie sich einsetzen, um ihre Kleinen durchzubringen. Den vielen Gefahren zum Trotz.
Thorsten Milses Begeisterung für wilde Tiere, sein Talent, den richtigen Augenblick abzuwarten und zu erkennen, sein Blick für die Zähigkeit und Zärtlichkeit des animalischen Alltags knüpft ein Band zwischen uns, den Betrachtern in unserer urbanen, technisch kontrollierten Welt, und den tierischen Populationen in der Welt der Wildnis.
Milses Tierkinder sind, ähnlich wie Knut, Botschafter der Natur. Sie wenden sich an unser Gefühl. Und vielleicht schaffen sie es sogar, uns Menschen zu rühren und eine Fürsorge in uns zu wecken, die nicht nur den abgebildeten Tierkindern gilt, sondern auch den Originalen in der realen Wildnis."