Einst strahlten Wände und Decke des ägyptischen Tempels von Esna, 60 Kilometer südlich von Luxor am Nil gelegen, in prachtvollen Farben. Hier huldigten Priester vor rund 2000 Jahren ihren Gottheiten, führten geheimnisvolle religiöse Rituale und Zeremonien durch. Doch nach dem Untergang der altägyptischen Zivilisation verlor auch der Tempel an Bedeutung: Mehr als ein Jahrtausend diente seine Vorhalle den Menschen lediglich als geschützter Feuerplatz, Ruß und Dreck überdeckten die farbenfrohen Wand- und Säulendekorationen. Der zentrale Teil des Heiligtums wurde abgetragen. Die 37 Meter lange und 20 Meter breite Vorhalle aus Sandstein aber blieb vollständig erhalten – und galt bereits zu Napoleons Zeit als Idealbeispiel altägyptischer Tempelarchitektur.

Fachleute aus Ägypten und Deutschland haben es sich seit 2018 zur Aufgabe gemacht, die Halle zu restaurieren. Die Arbeiten an der mit astronomischen Darstellungen bemalten Decke sowie der 18 inneren Säulen sind bereits abgeschlossen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hatten 30 Restauratorinnen und Restauratoren unter Leitung von Ahmed Emam mehrere Hundert Figuren von Schmutz befreit und so in den ursprünglichen Farben wieder sichtbar gemacht. "Mit dem Abschluss der Deckenrestaurierung hat das Projekt sein erstes und vielleicht wichtigstes Etappenziel erreicht", sagte Professor Christian Leitz vom Institut für die Kulturen des Alten Orients an der Universität Tübingen.
Die farbenprächtigen Deckenreliefs zeigen Gottheiten, mythologische Figuren und Darstellungen von Sonne, Mond, Sternbildern und unterschiedlichsten astronomischen Konstellationen. Bei der Restaurierung kamen neben den Farben auch fast 200 Tintenaufschriften zutage, die vorher komplett unbekannt waren. Mit ihrer Hilfe konnten zahlreiche Abbilder erstmals identifiziert werden.
Unter den Bildnissen findet sich beispielsweise die Darstellung eines Gottes mit vier Widderköpfen, möglicherweise ein Sonnengott:
"Die thematische Breite der Darstellungen unterstreicht die große Bedeutung, die der Astronomie im alten Ägypten zukam", sagte der Tübinger Ägyptologe Dr. Daniel von Recklinghausen. Die Decke ist in insgesamt sieben Abschnitte aufgeteilt, die unterschiedliche Themen behandeln. Dazu gehören beispielsweise der tägliche Lauf der Sonne, die Mondphasen, die Nachtstunden oder auch der Neujahrstag. "Im zuletzt freigelegten Abschnitt spielt die Darstellung der Gottheiten Orion, Sothis und Anukis eine wichtige Rolle", erklärte von Recklinghausen. Das zeigt auch der Vorher-nachher-Vergleich:
Orion steht stellvertretend für das gleichnamige Sternbild. Neben ihm dargestellt wird Sothis, was die altägyptische Bezeichnung des Sternbildes Sirius ist. "Sirius ist im Jahresverlauf 70 Tage lang am Sternenhimmel unsichtbar, bis er im Osten wieder aufgeht", erläuterte Leitz: "Dieser Zeitpunkt war im alten Ägypten der Neujahrstag und kündigte zugleich den Beginn der jährlichen Nilüberschwemmung an." Die dritte Göttin Anukis war im Verständnis der Ägypter hingegen verantwortlich für den Rückgang der Nilflut rund 100 Tage später.
Zum Vorschein kam auch eine Darstellung des Südwindes als Löwe mit vier Flügeln und einem Widderkopf:
Mit der abgeschlossenen Deckenrestaurierung besitzt Ägypten nun zwei herausragend erhaltene astronomische Tempeldecken. Die eine befindet sich im Heiligtum von Dendera rund 60 Kilometer nördlich von Luxor, hier sind die dominanten Farben Weiß und Hellblau. Im Tempel von Esna sind die Themen teilweise ähnlich, aber die Farbgebung ist völlig anders, die dominanten Töne sind hier vor allem Gelb und Rot. Diese zeigen sich auch in der Darstellung von Figuren des Gottes Ptah auf dem Rücken einer Schlange:
2024 hat nun eine neue Phase der Restaurierungsarbeiten begonnen. Den Restauratoren gelang es bereits, die südliche Innenwand sowie den südlichen Teil der westlichen Rückwand der Halle fertigzustellen und die ursprünglichen Farben mit den dominierenden gelben und roten Pigmenten zum Vorschein zu bringen. Das Hauptziel für den kommenden Winter ist die Restaurierung des äußeren Teils der sechs vorderen Säulen des Tempels, eine Arbeit, die im Sommer wegen der großen Hitze nicht durchgeführt werden kann.
(alle Fotos: Ahmed Amin im Auftrag des Ministry of Tourism and Antiquities)