Das Festmahl, so berichtet der Zeuge, beginnt mit einem Mord. Zuerst erschlagen die Männer einen Gefangenen, "dass ihm das Hirn herausspritzt". Dann "nehmen Frauen den Toten, ziehen ihn über das Feuer, kratzen ihm die Haut ab".
Anschließend trennen die Leute Arme und Beine vom Körper des Opfers, schneiden den Rücken auf, entnehmen die Eingeweide und sieden die Organe. "Und mit der Brühe machen sie einen dünnen Brei, den sie und die Kinder schlürfen", heißt es in dem Bericht weiter. "Das Eingeweide essen sie, ebenso wie das Fleisch vom Kopf." Hirn und Zunge seien für die Kinder bestimmt.
So schildert der hessische Landsknecht Hans Staden das, was er fern seiner Heimat in Brasilien beim Volk der Tupinambá gesehen haben will. Seine "Wahrhafftige Historia und Beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschenfresser-Leuthen, in der Newenwelt America gelegen" aus dem Jahr 1557 zählt zu den berühmtesten Erzählungen über kannibalische Praktiken. Seine Beschreibungen entwickelten sich in der Frühen Neuzeit zum Verkaufsschlager – und prägten das europäische Bild von der indigenen Bevölkerung Südamerikas über Jahrhunderte.
"Keine glaubwürdigen Augenzeugenberichte über Kannibalismus"
Nur: Stimmen Stadens Schilderungen überhaupt? Und was ist von all den anderen Schreckensberichten europäischer Reisender und Missionare über Völker in Südamerika und Ozeanien zu halten, die angeblich genüsslich Menschenfleisch verspeisen würden? Gab es überhaupt Kulturen, die Kannibalismus im großen Stil praktizierten – oder sind Menschenfresser nur ein Mythos?
Die Archäologin Prof. Heidi Peter-Röcher von der Universität Würzburg ist überzeugt: "Der Kannibale ist nicht mehr als eine Vorstellung, die von unserer Fantasie im Laufe der Zeit immer detaillierter ausgeschmückt wurde."
Der Kannibale: ein Fantasieprodukt?