Seit Anbeginn der Wissenschaft versucht der Mensch zu verstehen, wie die Welt beschaffen ist. Wir wissen darüber heute mehr als je zuvor, doch die Unendlichkeit birgt noch viele Geheimnisse. GEO geht in der Ausgabe „Die 7 großen Rätsel des Universums“ den wichtigsten Fragen auf den Grund – und hat sich dafür mit sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an den Grenzen der Begreiflichkeit forschen. Einer davon ist Kosmologe Andrew H. Jaffe, der am Imperial College London die Struktur des Universums erforscht.
GEO: Seit der Antike fragen sich die Menschen, ob der Kosmos irgendwo endet. Wie viel näher sind wir der Antwort gekommen?
Andrew H. Jaffe: Ein großes Stück. Erstens wissen wir nun, was überhaupt gemeint ist, wenn wir sagen, das Universum sei endlich. Zweitens sind unsere Teleskope zum ersten Mal in der Geschichte so präzise, dass wir in den Messdaten nach Hinweisen auf ein endliches Universum fahnden können.
Und was ist gemeint mit „endlich“?
Kosmologen glauben jedenfalls nicht, dass zum Beispiel irgendwo eine Feuerwand kommt. Denn das würde sofort die nächste Frage aufwerfen: Was verbirgt sich dahinter? In der Mathematik kann ein Raum endlich sein, ohne dass er eine Grenze hat. Vielleicht erinnern Sie sich noch an „Asteroids“, eines der ersten Computerspiele. In diesem Spiel steuern Sie ein Raumschiff und schießen auf Asteroiden. Wenn das Schiff am Rand des Bildschirms ankommt, prallt es nicht ab, sondern taucht auf der anderen Seite wieder auf. So ähnlich könnte unser Universum beschaffen sein.
Wie würde es sich anfühlen, wenn wir diesen „Rand“ überquerten?
Das Verrückte ist: Sie würden es gar nicht bemerken. Man kann sich das so vorstellen: Rollt man eine Ebene auf und fügt die Enden zusammen, erhält man die Form eines Donuts. Wer sich auf der Oberfläche dieses Donuts bewegt, kommt irgendwann wie von selbst wieder in der Nähe des Ausgangsorts an – egal, in welche Richtung er geht.
Aber wir leben doch nicht in zwei Dimensionen!
Stimmt, deshalb ist das Bild auch sehr vereinfacht. Sie müssen sich im Grunde einen dreidimensionalen Raum vorstellen, der an allen Seiten miteinander verbunden ist.
Das kann ich aber nicht. Wie soll das gehen?
Niemand kann sich davon ein Bild machen, auch ich nicht. Wir können aber die Gleichungen für verschiedene Formen aufstellen, etwa für den Donut. Wir nennen diese Formen ↑Topologien.
Das klingt für mich nach einer mathematischen Spielerei.
Nein, ganz und gar nicht. Es ist keineswegs ein Gedankenspiel ohne Bezug zur Wirklichkeit. Denn wir können unsere Hypothesen überprüfen. Wir können herausfinden, welche Topologie unser Universum hat.
Wie genau machen Sie das?
Wir benutzen dafür eine einzigartige Datenquelle, ein Überbleibsel aus der frühen Zeit des Universums: die kosmische ↑Hintergrundstrahlung. Sie entstand etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall, als sich die geladenen Protonen und Elektronen zu elektrisch neutralen Atomen zusammenfügten. Die Lichtteilchen, die Photonen, wurden nun nicht mehr andauernd abgelenkt. Seitdem fliegen sie frei durch das Universum. Anfang dieses Jahrzehnts hat das Planck-Weltraumteleskop die Hintergrundstrahlung sehr präzise aufgenommen. Es hat sozusagen das älteste Bild vom Universum geschossen.
Wonach suchen Sie auf dem Bild?
Schon damals war die Materie im Universum nicht gleichmäßig verteilt. An manchen Stellen war sie dichter als an anderen, es hatten sich hellere kosmische Klumpen geformt. Wenn das Universum endlich ist, dann müssten wir diese Klumpen mehrfach auf unserem Bild sehen. Verstehen Sie?
Nein, das müssen Sie mir erklären.
Denken Sie zurück an den Donut! Die Photonen, die von einem hellen Klumpen stammen, sind damals in sämtliche Richtungen geflogen. Sie müssten uns heute also auf verschiedenen Wegen erreichen. Wir müssten daher den gleichen Klumpen an verschiedenen Stellen auf dem Bild erkennen können. Mit dem bloßen Auge kann ich solche Muster in der Hintergrundstrahlung nicht erkennen, doch ein Computer spürt sie in den Daten auf. Er kann daraus sogar die exakte Form des Universums berechnen.
Sind Sie fündig geworden?
Bisher leider noch nicht. Vor 14 Jahren schien es einen Durchbruch zu geben. Damals stießen Wissenschaftler aus Frankreich und den USA in älteren Daten der Hintergrundstrahlung auf eine bestimmte Form: einen zwölfseitigen Körper. Mit meinem Forschungsteam habe ich allerdings gezeigt, dass diese Form lediglich mit einem Teil der Daten übereinstimmt, nicht mit allen.
Werden wir jemals wissen, wie unser Universum beschaffen ist?
Wir werden die Hintergrundstrahlung noch genauer vermessen, und wir werden unsere Analysen verbessern. Aber vielleicht werden wir das Rätsel nie lösen. Denn wir haben ein fundamentales Problem: Wir können unsere Daten nur nach Hinweisen auf ein endliches Universum durchsuchen. Die Unendlichkeit hinterlässt keine Spuren.
Als der Mensch begriff, dass die Erde eine Kugel ist, änderte sich sein Weltbild radikal. Worin besteht für uns der Unterschied, ob das Universum endlich oder unendlich ist?
Für die Raumfahrt spielt das keine Rolle. Denn wir würden nie zu den Grenzen vordringen; sie sind viel zu weit entfernt. Aber die Antwort hilft, unseren Platz im Universum zu verstehen. Wenn es wirklich unendlich sein sollte und in allen Richtungen gleich aussähe, dann würde dieses Gespräch genau in diesem Moment unendlich oft stattfinden. Diese Vorstellung ist doch irre.