Das Kratzen einer Gabel auf dem Teller oder Kaugeräusche beim Essen rufen bei manchen Menschen ausgeprägtes Unwohlsein hervor. Die starke Abneigung gegen Geräusche, wissenschaftlich als Misophonie bezeichnet, wird in Fachkreisen zunehmend als eigene psychische Störung beschrieben und kann ernsthaft krank machen. Schätzungsweise fünf Prozent der Bevölkerung leiden hierzulande daran. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift "Frontiers in Neuroscience" veröffentlichte Studie untersuchte nun die genetischen Faktoren, die mit Misophonie im Zusammenhang stehen. Forschende der Universität Amsterdam fanden dabei heraus, dass Misophonie erhebliche genetische Überschneidungen mit Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) aufweist.
Professor Damiaan Denys und sein Team verwendeten Daten von mehr als 80.000 Studienteilnehmenden, die laut eigenen Angaben an einem Hauptsymptom von Misophonie litten: Kaugeräusche anderer Menschen machten sie sehr wütend. Dabei untersuchten die Forschenden das gesamte Genom der Studienteilnehmenden, um genetische Gemeinsamkeiten zu identifizieren und es mit anderen Krankheitsbildern oder bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu vergleichen.
Bei Misophonie-Leidenden fanden sich oft Veränderungen auf einem Genabschnitt, der unter anderem bei der Entwicklung des Gehirns beteiligt ist. "Misophonie hat also möglicherweise auch eine genetische Veranlagung", schlussfolgerten die Autorinnen und Autoren. Außerdem zeigte sich eine Korrelation zwischen Misophonie und anderen psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere mit Angststörungen und PTBS. Daher könnten die Krankheiten ähnliche Risikofaktoren haben. Das bedeutet: Genveränderungen, die beispielsweise die Sensibilität für Angststörungen erhöhen, könnten auch die Wahrscheinlichkeit steigern, an Misophonie zu erkranken. Dies bedeutet aber nicht, dass Misophonie und korrelierende Erkrankungen auch gemeinsame Krankheitsmechanismen haben müssen. Ein genetischer Zusammenhang mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Zwangsstörungen oder Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) wurde nicht gefunden. Weiterhin litten Personen mit einer genetischen Veranlagung zu Misophonie auch häufiger an Schuldgefühlen, Reizbarkeit Überempfindlichkeit oder einer verminderten Emotionskontrolle.
Misophonie ist bislang wenig erforscht
Generell beschäftigten sich bisher nur wenige Studien wissenschaftlich mit Misophonie. Größere Aufmerksamkeit bekam das Phänomen, als Damiaan Denys für seinen Beitrag zur Misophonie-Forschung 2020 den satirisch angesehenen Ig-Nobelpreis gewann. Er begründet die Grundlage der Störung auch durch Erfahrungen der Betroffenen in der Kindheit. So könnten Konflikte in der Familie, die am Küchentisch ausgetragen wurden, mit einem bestimmten Geräusch beim Essen verknüpft worden sein. Hören die Betroffenen das gleiche Geräusch im Erwachsenenalter erneut, könnte das auch das ursprünglich negativ verknüpfte Gefühl auslösen. Zu den für Misoponie-Leidende unangenehmsten Geräuschen zählen entsprechend Schlürfen, Schlucken, Schmatzen, aber auch Atemgeräusche.
Der Leidensdruck von Menschen mit Misophonie kann enorm sein. Sie versuchen oft, die verhassten Töne unbedingt zu vermeiden. Das kann zu zunehmender Isolation führen: Mahlzeiten werden nur noch allein eingenommen und soziale Kontakte gemieden. Was also tun? Einen Lösungsansatz bietet beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie: Betroffene werden vorsichtig mit den verabscheuten Klängen konfrontiert, während geschultes Fachpersonal dabei hilft, mit der Situation besser umzugehen.