Im Winter 1995 ging nach dreieinhalb Jahren der Bosnienkrieg zu Ende, einer der bewaffneten Konflikte nach dem Zerfall Jugoslawiens. Fast 30 Jahre später scheint der Frieden noch immer brüchig, die Völker des Balkans zerstritten. Der Historiker Ulf Brunnbauer erklärt die Ursachen der wiederkehrenden Konflikte – und zeigt einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma auf
GEO: Herr Brunnbauer, wenn es auf dem Balkan zu Auseinandersetzungen kommt, ist häufig vom "uralten Hass" zwischen den Völkern die Rede. Gibt es diesen Hass und wenn ja, wie lange schon?
Prof. Ulf Brunnbauer: Für einen uralten Hass sehe ich keine Belege. Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, desto weniger klare Befunde haben wir natürlich. Es existieren keine soziologischen Umfragen aus dem 18. Jahrhundert. Aber wenn ich mir als Historiker die Alltagsbeziehungen zwischen den Ethnien und Religionen auf dem Balkan anschaue, sehe ich lange Zeit eher ein Muster der Koexistenz, keine durchgehende Konfliktgeschichte. Wir finden viele Belege für die Mischung von Glaubenspraktiken, Muslime feierten christliche Feiertage und andersherum.