"Zum ersten Mal nach New York zu kommen, beschert ein Déjà-vu-Erlebnis und den Eindruck, in die Kulissen eines bereits hundertfach gesehenen Films einzutauchen. Dagegen liefern manche Relikte der Sowjetunion das Setting von Filmen, die nie gedreht wurden. Eine Ansammlung von üppigen Dekors, oszillierend zwischen Wagemut und Wahnsinn", schreibt der französische Essayist und Fotograf Frédéric Chaubin. Gemeint sind nicht die "offiziellen" Bauten der sowjetischen Saatsarchitektur. Sondern utopisch anmutende Entwürfe, ausgeführt zwischen dem Ende der Ära Breschnew und dem Ende der Sowjetunion.
Chaubin stieß durch Zufall auf die Spur dieser fast vergessenen Epoche der Sowjetarchitektur. Er hatte in Tiflis ein Buch über die Architekturgeschichte der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien gekauft und darin die Fotos von zwei baulichen Kuriosiäten entdeckt. Er suchte sie auf und fotografierte sie. Beeindruckt von ihrer Kühnheit abseits des Konformismus der sowjetischen Staatsarchitektur suchte er gezielt weiter.
Chaubin durchstreifte die ehemalige UdSSR und wurde fündig - vor allem an den Rändern des zerbröckelnden Imperiums: im kasachischen Almaty, im tadschikischen Duschanbe, im armenischen Jerewan, in Jalta, Vilnius und Tallinn. Hier fand er die ungewöhnlichen Werke teils namenloser Architekten, die - so eine These Chaubins - in ihrer radikalen Ästhetik nur denkbar waren, weil die offizielle Doktrin Risse bekommen hatte. Allen diesen Bauwerken sei gemeinsam, dass sie "Futurismus und Monumentalität" in sich vereinen. Ihre Wirkung auf den Betrachter: "verstörend, wie der Blick in einen Zerrspiegel."

Taschen Verlag 2011