Das gleißende Weiß zieht sich bis zum Horizont und weiter. Ohne Sonnenbrille ist es kaum möglich, in die Ferne zu sehen. Abertausende fünfeckige Salzwaben formen den Salar de Uyuni in Bolivien, den größten Salzsee der Welt. Er erstreckt sich über den gesamten Südwesten des Andenstaates bis hin zur chilenischen Grenze auf einer Höhe von 3600 Metern. Entstanden ist die mehr als 10.000 Quadratkilometer umfassende Fläche, als der See Tauca über Jahrmillionen langsam austrocknete. Umrahmt ist die Ebene von einer kargen, windzerfressenen Landschaft, geformt aus Vulkanriesen, fauchenden Geysirbecken und farbenreichen Lagunen – surreal und fast ohne jegliches Leben.
Aber eben nur fast. Salzarbeiter und ihre Familien leben am Rande der Ebene ein einfaches, einsames Leben. Rund 10 Milliarden Tonnen Salz soll der Salar beherbergen, 25.000 davon bauen die Arbeiter jährlich ab. Doch inzwischen ist es nicht mehr das Salz, das den Salar zum größten Schatz Boliviens macht, sondern das Lithium. Benötigt für die Herstellung von Batterien, Elektroautos, Laptops und Handys, ist es ein gefragter Rohstoff. Unter der sieben Meter dicken Salzkruste soll die Hälfte des Weltvorkommens lagern. Ausländische Firmen stehen Schlange, um endlich mit dem Abbau beginnen zu können. Das würde Bolivien mit einem Schlag vom ärmsten zu einem der reichsten Staaten Südamerikas machen. Doch trotz bitterer Armut vergibt die Regierung keine Lizenzen ins Ausland, das Geld soll in Bolivien bleiben. Zu groß ist die Angst, erneut ausgebeutet zu werden - wie unter den spanischen Kolonialherren - sowie die Geld bringenden Touristen zu verlieren. Denn die kommen in Scharen und bilden praktisch die zweite Bevölkerungsgruppe im bolivianischen Niemandsland.
Sie kommen, um sich in der kristallinen Landschaft zu verlieren und den perfekten Moment zu erleben: aus Ruhe, einem Blick in die Weite und einem tiefen Atemzug der klaren Höhenluft. Startpunkt der Jeeps ist der Ort Uyuni, ein trostloses, windgeschundenes Kaff, das sich ganz auf die Besucher aus aller Welt eingestellt hat. Die Bolivianer backen Pizza, kochen gegen ihr Verständnis vegetarisch und bieten kostengünstig Telefonate nach Deutschland, Schweden oder Spanien an, um den Weitgereisten den Aufenthalt in der Einöde zu versüßen. Dennoch bleibt Uyuni ein Ort der Durchreise. Sechs Besucher passen in einen Jeep, das Gepäck und die Versorgung werden auf dem Dach befestigt, ein Einheimischer sitzt hinterm Steuer, denn hier sollte man sich auskennen. Im endlosen Weiß stehen keine Schilder; viele, die es auf eigene Faust versuchten, bezahlten am Ende mit ihrem Leben.
Der Fahrer ist der Schlüssel
Jaime, gerade einmal 25 Jahre jung, ist unser Fahrer. Seitdem er offiziell Auto fahren darf, zeigt er Touristen seinen Hinterhof, wie er sagt, den Salar de Uyuni. Hinter verspiegelter Sonnenbrille und sonnengegerbter Haut verbirgt sich ein ruhiges Gemüt, das wir bei dem einen oder anderen Fahrmanöver schätzen lernen. Auf den Sitzen hinter Jaime drängen sich Besucher aus Spanien, Italien, Irland und Deutschland. Es ist Nebensaison, deshalb verlassen wir Uyuni an diesem Morgen nur mit 25 anderen Jeeps, in der Hauptsaison sind es täglich rund 60. Während der Fahrt verlieren sich die Wagen, einzig aufgewirbelte Salzfahnen am Horizont geben Hinweise auf andere Jeeps. An den markanten Stellen wie der Isla Incahuasi verdichten sich die Salzfahnen dann wieder. Die Kakteeninsel präsentiert sich zuerst als flimmernde Fata Morgana, doch als wir näher kommen, verschwindet sie nicht. Das Lavagestein zeichnet sich klar gegen das grelle Weiß des Salzes ab. Skurril geformte und meterhohe Kakteen recken ihre Köpfe dem Blau des Himmels entgegen. Ihr Grün komplementiert die Farbpalette des Salar.
Während wir die stachligen Riesen bestaunen und die optische Täuschung für Fotos nutzen, bleibt Jaime am Auto. Der Geländewagen benötigt bei diesen harschen Witterungen besonders viel Pflege. Er checkt, wie der Motor das Salz verträgt, und füllt Wasser nach. Im Gegensatz zu manch anderen Gruppen haben wir Glück mit Wagen und Fahrer. Immer wieder verbreiten sich Geschichten unter Reisenden, die mit einem klapprigen Jeep in der Einöde liegen bleiben. Eine durchaus gefährliche Situation, denn während die Sonne tagsüber gnadenlos ist, fallen die Temperaturen mit Sonnenuntergang bis auf minus 20 Grad. Auch wir spüren die heranschleichende Kälte und fahren in der Abenddämmerung, die dem Salar einen Blaustich verleiht, zu einer kleinen Siedlung am Rand der Ebene. Die Häuseransammlung ist so klein, dass sie keinen Namen hat. Vier Gehöfte, eine kleine Kirche, drei streunende Hunde und eine Unterkunft für Touristen. Die Besucher sind eine willkommene Abwechslung für die Menschen hier, die Tag ein, Tag aus in der Abgeschiedenheit leben. Die Herberge besteht komplett aus Salz. Kristalline Blöcke formen Wände, Betten, Tische und Stühle. Gegen die schlechte Isolation und die allgegenwärtige Kälte helfen Decken aus Lamafell.

Bolivien: Von Lagunen und Geysiren
Trotz strahlender Sonne ist es kühl am nächsten Morgen. Nach ein paar Kilometern gleitet der Jeep von der steinernen Salzkruste in eine sandige Fahrspur. Allmählich verändert sich die Landschaft, sie bleibt karg, aus Salz wird Sand, in der Ferne der perfekte Kegel eines Vulkans, schneebestäubt. Massive Felsbrocken liegen mitten in der Ebene, eine Gruppe Vikunjas hat sich darauf dekorativ verteilt. Der Jeep erklimmt langsam die nächste sandige Kuppe, und erneut glauben wir, einer Fata Morgana aufgesessen zu sein. Eine tiefblaue Lagune, die Laguna Cañapa, bildet das dahinterliegende Tal, gespickt mit Sprinklern in Zartrosa. Die perfekte Mischung aus Mineralien und Salz lässt den Salar zum Nistzentrum für drei südamerikanische Flamingo-Arten werden.
Während die Kameraauslöser unermüdlich betätigt werden, ahnt Jaime bereits, welchem Rausch wir uns am nächsten Tag an der Laguna Colorada hingeben werden. Algen lassen das Wasser rot erscheinen, darunter mischen sich weiße Borax-Inseln und das Zartrosa der Flamingos, die durch das blutrote Wasser staksen, Plankton picken, schnattern. Umrandet ist die 60 Quadratkilometer große Lagune von Lavagestein und Steppengras. Sämtliche Gruppen, die Jaime in seinen sechs Jahren hierher gebracht hat, verfallen demselben Muster: Stille, Andacht, Euphorie. Und auch wir tanzen nicht aus der Reihe.
Je mehr wir in die Einöde vordringen, desto rudimentärer wird das Leben. Während am Rande der Salzebene noch vereinzelt Häuser zu sehen waren, ist hier keine menschliche Zivilisation mehr zu erkennen. Einziges Bauwerk: eine Herberge für die Reisenden. Der abendliche Wind peitscht über die flache Ebene und rüttelt an den Fenstern, als wir eintreten. Ein Ofen, so groß wie ein Schuhkarton, erwärmt den Aufenthaltsraum, in dem sich die Insassen der vier Jeeps dicht gedrängt um den Suppentopf scharen. Wortfetzen in Italienisch, Englisch und Spanisch schwirren durch den kargen Raum. Duschen gibt es nicht, für Männer und Frauen jeweils nur eine Toilette. Murren hört man darüber kaum, wer den Salar und die Hochebene Altiplano erleben möchte, der macht diese Abstriche gern. Die Nacht ist kurz. Grund dafür sind die Geysire, deren wahre Pracht nur in den Morgenstunden zum Vorschein kommt, wenn sich die heiße Luft aus dem Erdinneren aufgrund der Kälte noch klar gegen den strahlend blauen Himmel abzeichnet. Die Erde faucht und speit heiße Luft, es riecht nach Schwefel, überall brodelt und blubbert es. Eine grau-bräunliche Mineralienmischung bahnt sich ihren Weg an die Oberfläche.
Hinter jeder Ecke, jeder Kuppe hält das bolivianische Hochland eine andere natürliche Schönheit bereit. Und so enttäuscht uns auch die letzte Biegung nicht. Das türkisgrün schimmernde Wasser der Laguna Verde spiegelt die perfekte Silhouette des mächtigen, aber inaktiven Vulkans Licancabur. Den „Berg der Völker“ wie er übersetzt heißt, teilen Bolivien und Chile. Am Fuß des Vulkans setzen wir zur letzten Etappe an. Jaime holt ein letztes Mal unser Gepäck vom Dach des Jeeps. Wir laufen über die steinige Grenze nach Chile. Alle Augenpaare, in die wir schauen, spiegeln das berauschende Gefühl, etwas gesehen zu haben, auf das man schon lange gewartet hat. Und das haben wir, nur dass die wenigsten wohl damit gerechnet hatten, es in der bolivianischen Einöde zu finden.