
Arcillo Sepúlveda schultert einen Mehlsack von der Ladefläche des Pick-ups und schafft ihn zu der kleinen Wellblech-Hütte. Seine sechs Beagles bellen aufgeregt, sie reißen an den Leinen, mit denen sie vor ihren Holzhäuschen angebunden sind. Hinter einer Reihe hochgewachsener Pappeln rauscht der Chacabuco-Fluss durch sein sandiges Bett. Sepúlveda öffnet die Tür und lässt den Mehlsack auf den Küchentisch plumpsen, es ist ein Teil seines Vorrats für die nächsten Wochen. Hier, in diesem einsam gelegenen puesto, in dem nicht viel mehr steht als ein Tisch, ein Bett und ein Holzofen, lebt er die meiste Zeit des Jahres allein. Ein kleiner Mann mit wettergegerbter Haut und den O-Beinen eines Gaucho, der sein halbes Leben auf dem Pferd verbracht hat. An der Wand hängt eine lange schwarze Kondorfeder neben einem Foto, auf dem seine Hunde einen Puma in eine Felsspalte drängen.
Viele Jahre hat der 57-Jährige als leonero gearbeitet – als Pumajäger. Er arbeitete für die Besitzer der riesigen Schaffarm, die sich hier im Chacabuco-Tal 40 Kilometer südlich des General Carrera-Sees bis 2004 befand. "Wir haben die Pumas mit Hunden und Pferden aufgespürt und erschossen, weil sie die Schafe reißen", sagt Sepúlveda. "Als Douglas Tompkins das Land dann übernommen hat, haben sie mich gefragt, ob ich helfen möchte, die Pumas zu schützen, statt sie zu töten, es war eine ziemliche Umstellung für mich, aber ich habe mich daran gewöhnt."
Der im Dezember 2015 verstorbene Öko-Philanthrop Douglas Tompkins, kam 1995 zum ersten Mal ins Chacabuco-Tal. Gemeinsam mit seiner Frau Kristine McDivitt Tompkins beschloss er, das Farmland aufzukaufen. Der Verkauf ihrer Modelabels hatte sie reich gemacht und sie wollten es in den Erhalt der Natur Patagoniens investieren. Sie veräußerten die 25.000 Schafe und 3800 Rinder, ließen Zäune einreißen und das überweidete Tal renaturieren.
So entstand ein 81.000 Hektar großes privates Reservat, das ein bedrohtes Ökosystem schützen soll: die patagonische Steppe. Der Patagonia-Park ist ein wichtiger biologischer Korridor, der im Norden an das nationale Naturreservat Lago Jeinimeni stößt und im Süden an das Naturreservat Tamango. Seit Oktober 2014 ist er offiziell auch für Touristen geöffnet. Von der legendären Schotterpiste Carretera Austral muss man auf die gewundene Nebenstraße X-83 in Richtung Argentinien abbiegen und fährt dann durch ein weites, gewelltes Tal. Es gibt mehr als 110 Kilometer Wanderwege, Zeltplätze und eine monumentale Luxus-Lodge mit einem Gourmet-Restaurant.
Statt Schafen sieht man heute vor allem Guanakos links und rechts der Straße grasen. Mehr als 2500 der grazilen Tiere leben im Park, mancherorts ist es schwierig, ein Foto ohne sie zu machen. Auch seltene Südandenhirsche kommen wieder vermehrt im Chacabuco-Tal vor, straußenähnliche Nandus, Kleinfleckkatzen, Kondore, Flamingos und Pumas.
Puma-Jäger Sepúlveda hilft heute der Parkveraltung dabei, Pumas aufzuspüren, um die Population zu überwachen. Er trainiert seine Hunde noch so, wie einst für die Puma-Jagd: Sie lernen den Puma zu wittern und seinen Spuren zu folgen. Haben sie ihn aufgespürt, umzingeln sie ihn und treiben ihn in eine Ecke oder auf einen Baum. "Ein Veterinär betäubt das Tier dann mit einem Pfeil und bringt einen GPS-Sender an, damit wir es fortan orten können", sagt Sepúlveda. 25 Tiere haben sie auf diese Weise schon markiert, sie folgen ihnen quer durch den Park und beobachten ihr Verhalten. "Früher habe ich kaum etwas über das Leben der Pumas gewusst, aber mittlerweile weiß ich, wo sie ihre Jungen aufziehen oder wie viele von ihnen durchkommen."

Der Patagonia-Park ist eines von mehreren privaten Schutzgebieten, die das Ehepaar Tompkins in Südamerika geschaffen hat. Seit beide vor 25 Jahren aus der Mode-Industrie ausgestiegen und nach Südamerika gegangen sind, haben sie insgesamt rund 800.000 Hektar Land in Chile und Argentinien aufgekauft.
Die Einkaufstouren der Nordamerikaner stießen in Chile und Argentinien anfangs auf große Skepsis. Vorwürfe wurden laut, sie würden das Land nur kaufen, um sich natürliche Ressourcen anzueignen, etwa die Wasserressourcen des argentinischen Sumpfgebiets Iberá an der Grenze zu Brasilien. Doch durch Landspenden haben die Tompkins immer wieder bewiesen, dass es ihnen tatsächlich um den Schutz der Natur geht. In Chile haben sie 2005 rund 85.000 Hektar zur Gründung des staatlichen Corcovado Nationalpark beigesteuert, 2014 wiederum 39.000 Hektar zum Yendegaia Nationalpark auf der Hauptinsel des Feuerland-Archipels. Auch die erfolgreiche Kampagne gegen das Staudammprojekt Hidroaisén, das unberührte Flüsse in Patagonien zerstört hätte, unterstützten die Tompkins tatkräftig.
Jetzt, fast zwei Monate später, setzte seine Witwe Kristine McDivitt Tompkins allen Spekulationen ein Ende: Bei einem Gespräch mit Präsidentin Michelle Bachelet Ende Januar bestätigte sie eine bereits im letzten Jahr angekündigte Spende von rund 410.000 Hektar Land an den chilenischen Staat. Das entspricht grob der eineinhalbfachen Fläche des Saarlandes. Unter den Ländereien befindet sich der südöstlich von Puerto Montt gelegene Pumalín-Park, der Patagonia-Park, 27.000 Hektar in der Magallanes-Region und mehrere kleine Flächen. Auch die bereits geschaffene Infrastruktur soll übergeben werden – im Patagonia-Park etwa das im Bau befindliche Museum, das Verwaltungsgebäude und die Luxus-Lodge mit Restaurant. Insgesamt 65 Millionen Dollar haben die Tompkins allein in diesen Park investiert.
Bedingung für die großzügige Spende ist, dass der Staat mit dem Land neue Nationalparks schafft und für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Laut Hernán Maldinic, dem Geschäftsführer des Pumalín-Parks, der die Gespräche mit der Regierung führt, ist ein weiteres Verhandlungsziel, dass zusätzlich etwa eine Million Hektar angrenzendes Staatsland unter Schutz gestellt wird.

Unklar bleibt, wann die Übergabe an den Staat rechtsgültig sein wird. Die Verhandlungen könnten mehrere Jahre andauern. Präsidentin Bachelet hat indessen angekündigt, dass es noch vor Ende ihrer Amtszeit 2018 zu einer Einigung kommen werde. Auch die von Douglas Tompkins vorgeschlagene touristische Nationalparkroute, die 17 Nationalparks in Patagonien miteinander verbinden würde, werde von der Regierung umgesetzt. "Jetzt, nach seinem Tod, schauen die Chilenen endlich nicht mehr nur auf seine Person, sondern darauf, was er wirklich geleistet hat", sagt Mladinic. "Er als Ausländer hat uns gelehrt, dass wir Patagonien schützen müssen."
Der Tod von Douglas Tompkins kam unverhofft. Der 72-jährige verunglückte bei einem Kajakunfall auf dem General Carrera-See, etwa 40 Kilometer nördlich des Patagonia-Parks. Ein plötzlicher starker Wind und hohe Wellen ließen ihn kentern, seine Begleiter konnten ihn nicht retten, er starb an Unterkühlung.
Tompkins ist auf einem kleinen Friedhof der ehemaligen Schaffarm im Chacabuco-Tal begraben worden. In einem seiner letzten Interviews mit dem amerikanischen Magazin Outside sagte er: "Ich weiß, dass nicht jeder meine Mittel hat, aber ich sage, das macht nichts, unternimm’ etwas nach deinen Möglichkeiten, du wirst es als lohnenswert und wertvoll empfinden und bezahlst damit die Miete für dein Leben auf diesem Planeten. Tu es einfach."
