Ein Geruch von Reinigungsmitteln liegt in der Luft. Ein geschlossener Juwelier, ein geschlossener Technikshop, ein Café – natürlich geschlossen. Absolut nichts an diesem Flughafengate strahlt Frohsinn aus. Auch nicht die Uhrzeit: Es ist 1:08 Uhr. Noch 40 Minuten bis zum Weiterflug nach Tel Aviv.
Um eine rothaarige Mitfünfzigerin, die sich an ein herumstehendes Klavier gesetzt hat, hat sich ein Halbkreis gebildet. Eine blonde Frau in Jeansjacke, ein Herr mit Dreiviertelhose, ein grell gekleidetes Mädchen, eine ältere Dame mit Kopftuch und eine junge Frau, die ebenfalls ihre Haare bedeckt trägt, klatschen und singen hebräische Lieder. Mit ihnen schunkelt, lauscht, lacht schon bald ein Großteil der Wartenden. Tel Aviv wird seinem Ruf als Hauptstadt der Leichtigkeit und Lebensfreude schon vor der Ankunft gerecht.
In Jerusalem wird gebetet, in Haifa gearbeitet und in Tel Aviv gelebt, sagen die Israelis. Und auch die Stadt selbst scheint zu leben. Alles ist in Bewegung: Die Hochauskräne, die Wolkenkratzer um Wolkenkratzer bauen. Die Menschen, die auf E-Bikes und E-Scootern durch die Straßen surren. Das Meer, auf dem sich, wann immer es Wind und Wellen zulassen, Kiter und Surfer vergnügen. Die Tanzflächen, die längst Feierwütige aus der ganzen Welt anziehen.
Tel Aviv ist eine Stadt unter Volldampf, wie geschaffen dafür, den Eurovision Song Contest 2019 mit einer gigantischen Party zu feiern. Einerseits. Andererseits lässt sich die Metropole am Mittelmeer auch völlig entspannt erleben.
Ausgehen am Rothschild Boulevard

Und entspannter kann ein Tag kaum beginnen als an einem Kaffee-Kiosk auf dem Rothschild Boulevard. Die Allee mit ihren oft aufwendig renovierten Bauhausgebäuden erstreckt sich vom Nationaltheater Habima im Norden bis zum szenigen Gründungsviertel Neve Tzedek. Sie ist Tel Avivs Prachtstraße und Ausgehmeile. Letzteres in doppeltem Sinne.
Nachts dröhnen hier die Bässe aus den Clubs, Bars und Autofenstern. Tagsüber flanieren auf dem Rothschild, wie ihn Einheimische nennen, junge Eltern mit dem Kinderwagen. Man trifft Rabbis beim Zeitunglesen und Hipster auf dem Longboard. Die Kioske inmitten des Boulevards sind dann Orte der Gemütlichkeit. Es wird geplauscht, gespielt, gechillt und gestillt.
Durch die Weiße Stadt zum Carmel Market

Gestärkt mit einem cremigen Hafuch, Israels Antwort auf den Cappuccino, kann es weiter gehen: Am besten mit großzügigen Umwegen kreuz und quer durch die "Weiße Stadt", wie der Bauhaus-Stadtkern von Tel Aviv seit 2003 offiziell heißt, hin zur nächsten Ruheoase in der Großstadtwüste aus Beton und Glas. Zwischen Hundeauslauffläche im Osten und Kinderspielplatz im Westen bietet der Gan Meir Park viel Platz zum Rasten, bevor einen auf dem nicht einmal zehn Minuten Fußweg entfernten Carmel Market (Shuk Ha’Carmel) erneut das Getümmel erfasst.
Auch wenn Einheimische inzwischen den Levinsky Market im Stadtteil Florentin bevorzugen, ist der Carmel doch eine Institution, die in Sachen Vielfalt in Tel Aviv ihres Gleichen sucht. Hat man sich – vom am Nordeingang kommend – erst einmal an Souvenir-Kitsch und Klamotten vorbeigeschoben, erwarten einen sündhaft süße Berge aus Halva, Baklava und Kadaifi, kunterbunte Obst- und Saftstände, Gewürzhändler sowie eine Vielzahl an Straßenküchen.
Tel Aviv ist die Stadt der Strände

Mit vollem Bauch soll man nicht schwimmen, heißt es. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn Köstlichkeiten und Traumstrände nur einen Steinwurf entfernt liegen. Ebenfalls nicht ganz einfach: die Wahl des Strandes. Nur auf den ersten Blick erstreckt sich der Strand von Tel Aviv einfach über 14 Kilometer von Nord nach Süd. Tatsächlich sind es rund ein Dutzend Strände. Jeder ist schön, jeder ist goldsandig und doch ist jeder anders, was sich vor allem im Publikum niederschlägt.
Der Mezizim Beach ist bei Hedonisten gleichermaßen beliebt wie bei Familien. Wenige Meter weiter trennt am Nordau Beach, dem Strand der orthodoxen Juden, eine Mauer männliche von weiblichen Badegästen. Strände für Hundebesitzer, Homosexuelle und Fitnessbegeisterte schließen sich an.
Am Alma Beach treffen schließlich Bikini auf Burkini. Dieser Strand gehört zu den entspanntesten der Mittelmeermetropole. Hier, wo das jüdische Tel Aviv fließend in die alte arabische Schwesterstadt Jaffa übergeht, herrscht ein friedliches Neben- und manchmal sogar Miteinander der Kulturen, das in diesem Teil der Erde wohl nur in Tel Aviv möglich ist.
Alte Mauern und frische Ideen in Jaffas Altstadt

Sonnengetrocknet und gestärkt mit einem Drink von der lässigen Alma Beach Bar, kann nun jene Erhebung erklommen werden, die den vielleicht schönsten Blick auf die Stadt ermöglicht. Von der Wiese des Abrasha Parks auf dem Altstadthügel von Jaffa reicht die Sicht weit über das Mittel- und das Hochhausmeer. Der moderne Teil Tel Avivs mit seiner wuchtigen Skyline war einst nur Vorort der antiken Hafenstadt Jaffa. Seit 1950 sind beide zur Doppelstadt Tel Aviv-Jaffa offiziell vereinigt und heute praktisch nahtlos zusammengewachsen.
Der Vibe des Modernen hat längst die jahrhundertealten Gassen von „Old Yafo“ erreicht, die vom Hügel hinab zum Hafen führen. Da ist etwa das exzentrische Museum der Designerin Ilana Goor. Da ist die Galerie der Künstler Julien Roux und Aurore Vigne, die stylische Drucke zum kleinen Preis verkaufen. Und da ist der winzige Kiosk am Nordtor des alten Hafens, der handgemachtes Wassereis und israelisches Fassbier verkauft. Der perfekte Ort, um einen letzten Blick auf das Meer, den Strand und die dahinterliegenden Hochhausriesen zu werfen, bevor man den Tag im lebendig-chaotischen Herzen Jaffas ausklingen lässt.
Auf dem Flohmarkt in Jaffa trifft Kunst auf Krempel

Gleich hinter dem osmanischen Uhrenturm, noch heute das Wahrzeichen Jaffas, beginnt der Flohmarkt. In zugerümpelten Hinterhöfen und Designerläden treffen Trödel auf Vintage, falsche auf echte Antiquitäten. Selbst wer mangels Platz im Flieger keinen schicken 60er-Jahre Sessel erstehen kann, wird beim Stöbern zwischen alten Büchern und Bildern, Schmuck und sonstigen Gebrauchtwaren, die hier seit über 100 Jahren verkauft werden, seine Freude haben.

Und diese hält an, auch wenn die Händler längst ihre Rollläden heruntergelassen haben. Denn dann machen die unzähligen Lokale, die sich in den Straßenzügen rund um den Flohmarkt angesiedelt haben, die Nacht zum Tag. Wer das Glück hat, einen Außentisch im Puaa, dem ältesten und vielleicht noch immer lässigsten Café am Ort, zu ergattern, bleibt auch beim Essen mitten im Geschehen. Denn in Jaffa herrscht die beste Stimmung unter bunten Lichterketten auf der Straße. Und jetzt auf die Tanzfäche in den stickigen Club? Ach, das kann warten...