
GEO SAISON: Was kann ein Tourist im Jahr 2050 tun, was wir heute nicht können?
Ian Yeoman: Zum Beispiel werden wir entfernte Ziele viel schneller erreichen: Von Europa nach Neuseeland fliegen wir dann nicht mehr 24 Stunden wie heute, sondern höchstens vier im Überschalljet, wie ihn die Nasa gerade entwickelt. Über haptische Technologien wissen wir, wie es am Reiseziel duftet und wie sich besondere Dinge dort anfühlen. Wir werden uns einen dreidimensionalen Eindruck unserer Urlaubsorte verschaffen können, bevor wir buchen.
Was bringt die Zukunft noch?
Ian Yeoman: Bald werden Hologramme Alltag sein. Im Edinburgh Castle etwa begleitet dich dann eine Figur aus dem Mittelalter als computergeneriertes Hologramm – eine völlig neue Dimension von Erlebnis. Wir werden überall Robotern begegnen, bei der Santander-Bank in Madrid führen sie schon heute Besucher zu Mitarbeitern. Noch fantastischer ist "programmierbare Materie", "Claytronics" genannt, an der die Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh forscht. Das Prinzip funktioniert, wird aber nicht vor 2050 einsatzreif. Dann können Sie, ein harmloses Beispiel, im Hotel einstellen, wie weich Ihre Matratze sein soll, oder ihren Flugzeugsitz rekonfigurieren.
Kann Technologie nicht auch wie eine Barriere zwischen uns und der realen Welt wirken?
Ian Yeoman: Ich glaube nicht. So werden wir in Zukunft Live-Übersetzungen in allen Sprachen haben, entweder übers Smartphone oder eine Hirn-Computer-Schnittstelle, die uns die nötige Übersetzung liefert. Dann können wir uns in Tansania auf Kisuaheli mit den Leuten auf der Straße unterhalten. Technologie wird also Barrieren zwischen Menschen und Kulturen einreißen. Es ist alles eine Frage der Computerleistung, und die wird 2050 kein Problem mehr darstellen. Manchen wird die Technik bestimmte Erlebnisse überhaupt erst ermöglichen, etwa körperlich Behinderten, die dann mit einem Exoskelett, also einer Stütze aus künstlichen Muskeln, Knochen und Gelenken, auf Berge steigen oder wandern können.


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Wird die Welt 2050 uniformer – überall die gleichen Marken, Angebote und Erlebnisse?
Ian Yeoman: Im Gegenteil, kulturelle Identität und historisches Erbe werden in Zukunft noch wichtiger sein als heute – sie zeigen schließlich, wer wir sind. Schottland wird also weiter seine Highlands und Lochs, sein Haggis und die Dudelsäcke vermarkten, weil sie zeigen, was es von anderen Regionen unterscheidet.
Im Jahr 2050 wird die Hälfte der Menschheit reisen. Kann die Erde solche Touristenmassen verkraften?
Ian Yeoman: Nach Zahlen der World Tourism Organisation der UN machten 1950 nur 25 Millionen Menschen Urlaub in anderen Ländern, im Jahr 2050 werden es 4,7 Milliarden sein. Ressourcen wie fruchtbare Erde und Trinkwasser sind bei dann rund neun Milliarden Erdenbürgern natürlich knapp. Aber die Menschheit war immer gut darin, sich dem Wandel anzupassen. Eine andere Frage ist, wie managt man Milliarden von Touristen? Es können ja nicht alle an dieselben Orte fahren. Wir werden also neue Ziele entwickeln müssen.
Welche Rolle wird der Klimawandel spielen?
Ian Yeoman: Einerseits muss das Reisen umweltfreundlicher sein als heute, zum Beispiel der Transport: Die Flugzeuge der Zukunft verbrennen keine fossilen Treibstoffe mehr. Dennoch werden wir negative Veränderungen erleben. In Kalifornien etwa ist bei fortschreitendem Klimawandel kein Wein- und Food-Tourismus mehr möglich, weil es dort richtig wüstenhaft wird. Viele Menschen werden 2050 Nahrung aus Zellkulturen und Industriebottichen essen müssen – im schlimmsten Fall. Leute werden also an Orte reisen, wo sie "echtes Essen" erleben können – ein Luxusprodukt für Superreiche.
Was aus dem Jahr 2050 würden Sie schon heute gern auf Reisen nutzen?
Ian Yeoman: Ich bin ein "Tramper", wie man in Neuseeland sagt: ein begeisterter Wanderer. Ich würde gern "bionic eye sight" einsetzen, also Kontaktlinsen, die mir – ähnlich wie die "Google Glass"-Brille heute – auf Wunsch Infos über all das zeigen, was ich gerade sehe: über Pflanzen und Insekten, geologische Formationen oder historische Bauwerke. Sie dürften bereits im Jahr 2025 marktreif sein. Und als Engländer, der ich eigentlich bin: für einen Wochenendtrip per Öko-Überschalljet von Neuseeland nach London reisen zu können fände ich sehr erfreulich.