Seit mehr als fünf Jahrhunderten ist das Perlboot eine begehrte Trophäe in den Meeren von Indonesien bis Australien, ein Symbol der Anmut und zugleich ein Rätsel für die Forschung. Als die Schalen zur Zeit der Renaissance mit Entdeckern und Kaufleuten aus Südostasien nach Europa gelangten, galten sie als biologische Sensation, ebenso aufregend wie die Kokosnuss oder das Straußenei. Die kalkigen Hüllen aus Übersee wurden zu kunstvollen Pokalen und Trinkbechern umgearbeitet, doch niemand konnte sich so recht vorstellen, welches Geschöpf derartige Gehäuse hinterließ.
Benannt als Nautilus, fand der Exot mit zwei Gattungen und sieben Arten später Eingang in die zoologischen Werke; die inwendige Schicht seines Gehäuses aus Perlmutt brachte ihm die Bezeichnung Perlboot ein. Die Gelehrten sägten die Schalen auf und bewunderten die Spirale aus hintereinanderliegenden, von der Öffnung bis zum Ende immer kleiner werdenden Kammern, deren Aufbau einem logarithmischen Prinzip folgt. Und deren Geometrie sich wie ein grundlegendes Muster des Universums auch in Tiefdruckwirbeln oder Spiralgalaxien wiederholt.
Der englische Anatom Robert Hooke, berühmt für seine mikroskopischen Studien, analysierte Mitte des 17. Jahrhunderts den Zweck der Schalen. Die gasgefüllten Kammern darin, folgerte er richtig, mussten dem Tier seine Schwerelosigkeit im Wasser verleihen. Der erste Forscher aus Europa, der auch den Bewohner des eleganten Panzers in Augenschein nehmen konnte, war der nördlich von Frankfurt am Main geborene Georg Eberhard Rumpf. Als Inspektor tagsüber in Diensten der niederländischen Ostindienkompanie, widmete er sich nachts der Naturkunde.
Auf Ambon, einer Insel des heutigen Indonesiens, gelangte er in den Besitz eines Exemplars und ordnete das Tier 1705 bei den Kopffüßern ein, eine Klasse, deren Vertreter nach den Extremitäten an ihrem Haupt benannt sind. Die zehnarmigen Sepien und Kalmare gehören ebenso dazu wie die Kraken mit ihren acht "Füßen". Jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts brachen Wissenschaftler auf, um das eigenartige Weichtier auch in seiner tropischen Heimat zu untersuchen.
Von Fischern erfuhren sie dort, dass die Perlboote an steilen Hängen und Riffen zu Hause sind. Und wie man sie in Hunderten Meter Tiefe in Fallen fängt. Nach und nach fügte sich das Bild einer erstaunlichen Kreatur: Sein Körper sitzt in der letzten und größten Kammer, nur ein dünner Gewebestrang durchzieht sämtliche Abschnitte. Der Kopf ist von einer robusten Kappe bedeckt, mit der das Perlboot auch seinen Panzer verschließt, wenn es sich darin zurückzieht. Es besitzt urtümliche Augen, die nach dem Prinzip der Lochkamera gestaltet sind. Und wie bei allen Kopffüßern ähnelt sein Mundwerkzeug aus Chitin und kalkgehärteten Kanten einem Papageienschnabel. In seinen Adern strömt blaues, kupferhaltiges Blut, aus einem Muskelschlauch unter dem Kiefer stößt es Wasser aus und bewegt sich so im Rückwärtsgang fort. Den Stoffwechsel kann das Perlboot wie ein Winterschläfer herunterfahren. Der Herzschlag verlangsamt sich dann bis auf ein, zwei Schläge pro Minute. So überdauert es auch Zeiten des Sauerstoffmangels.