Wo hatte ich noch den Schlüssel hingelegt? Wann gab es dieses leckere Curry? – Wenn wir Menschen uns an Ereignisse in unserem Leben erinnern, laufen im Gehirn komplexe Prozesse ab. Denn die Informationen zu den einzelnen Ereignissen werden nicht als Komplettpaket gespeichert, sondern in unterschiedlichen Regionen unseres Denkorgans – um dann beim Erinnern wieder zusammengesetzt zu werden. Doch bei dieser Rekonstruktion kann es zu Fehlern kommen, wenn wir Informationen über Zeit, Ort und Art der Sinneswahrnehmung falsch kombinieren.
Ausschließlich menschlich ist ein solches Irren aber nicht. Auch Gewöhnliche Tintenfische (Sepia officinalis) sind nicht nur in der Lage, Erlebnisse zu erinnern. Sie können sich auch falsch erinnern. Das konnte jetzt ein Forschungsteam der Universität Caen in Frankreich beobachten.
Versuchsaufbau sorgt für falsche Erinnerungen
Um das Gedächtnis der Tintenfische auf die Probe zu stellen, haben sich die Forscherinnen einen nicht nur für Kopffüßer verwirrenden Versuch ausgedacht: Sie präsentierten den schlauen Tieren zunächst drei Glasgefäße mit unterschiedlichem Inhalt. In einem befand sich eine Garnele, die Lieblingsspeise der Tintenfische, in einem zweiten eine Krabbe – ein Beutetier, das auf der kulinarischen Rangliste der Tintenfische weiter unten rangiert. Ein drittes Glas war leer. Die beiden Gläser mit potenzieller Beute waren zudem optisch unterschiedlich gekennzeichnet: Das Garnelen-Glas mit einem Schachbrett-Muster, das Krabben-Glas mit schwarzen Streifen. Die Probanden konnten sich die Eindrücke zwar einprägen, blieben aber durch ein Netz von den Gläsern getrennt.
In einem zweiten Durchgang – nur zwei Minuten später – begann die Verwirrung: Den Tintenfischen wurden nun zwei Behälter gezeigt. Aber so, dass nur das Muster, nicht der Inhalt für sie sichtbar war. Neben dem nach Garnelen duftenden Garnelenbehälter (das Kontrollszenario) präsentierten die Forschenden den aufmerksamen Kopffüßern weitere Konstellationen: den Garnelenbehälter und den leeren Behälter zusammen, einmal mit und einmal ohne den verführerischen Duft der Lieblingsspeise. "Das Ziel der irreführenden Bedingungen war es, eine Überschneidung im Gedächtnis zwischen dem Inhalt des Garnelen-Behälters und dem leeren Gefäß zu erzeugen, so dass die Tintenfische anschließend dachten, dass sich in dem leeren Gefäß Garnelen befänden", erklären die Forscherinnen in der Studie.
Nach zwei Stunden stellte das Forschungsteam das Erinnerungsvermögen der Weichtiere auf die Probe: Wieder bekamen sie zwei Behälter präsentiert – nun allerdings den Krabben- und den leeren Behälter. Und wieder konnten sie deren Inhalt nicht sehen, durften sie nun aber inspizieren. Für welchen der beiden würden sich die Tiere entscheiden?
Tatsächlich erinnerten sich 12 von 15 derjenigen Tiere, die zuvor nicht irregeführt worden waren, dass der leere, nicht gemusterte Behälter wirklich leer war. Und wählten die weniger schmackhafte Krabbe.
Der Geruch trügt weniger als der Sehsinn
Diejenigen Tiere, die zuvor optisch verwirrt worden waren, zeigten sich unschlüssig. Und entschieden sich je zur Hälfte für den Krabben-Behälter oder den leeren Behälter. Bei den Probanden, die im zweiten Durchlauf mit Geruchsreizen verwirrt worden waren, zeigte sich dagegen ein anderes Bild. Zehn von 15 Tieren wählten den Krabbenbehälter, vier den leeren – und eines konnte sich gar nicht entscheiden.
Die Erinnerungs-Fehler könnten, erklären die Forscherinnen, der "erste Hinweis auf das Vorhandensein von rekonstruktiven Prozessen im Gedächtnis von Kopffüßern" sein. Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Tintenfische zwar falsche Erinnerungen für visuelle Eindrücke bilden, nicht aber für Gerüche", erklären Poncet und ihre Kolleginnen. Und noch etwas verblüffte die Forscherinnen: Offenbar gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tintenfischen Gedächtnis-Genies und Individuen, die sich leicht hinters Licht führen lassen.