Vom Panzer-Übungsplatz zum Naturerb
Es war ein Geschenk, wie es die Bundeskanzlerin nicht alle Tage zu vergeben hat: Während des Festakts „100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe“ im Mai 2006 versprach Angela Merkel die Umsetzung eines bis dahin wenig beachteten Absatzes im Koalitionsvertrag: Bis zu 125.000 Hektar an Wald- und Wiesenflächen aus Bundesbesitz würden nun zügig als „Nationales Naturerbe“ gesichert. Die Regierung werde sie unentgeltlich an die Länder oder in eine Bundesstiftung übertragen – darunter wertvolle Naturgebiete an der ehemaligen innerdeutschen Grenze („Grünes Band“, vgl. GEO 9/2003 u. 3/2005) sowie ehemalige Militär-, Bergbau- oder Forstgebiete. Die Bundeskanzlerin hätte sich damals wohl nicht träumen lassen, dass solch gute Absichten rund 1000 Bäume, darunter viele hundertjährige Eichen, zu Fall bringen würden. Doch auf einem ehemaligen Standortübungsplatz in Schleswig-Holstein scheint die geplante Schenkung tatsächlich Anlass für eine radikale Fällaktion geworden zu sein.
Vom Panzer-Übungsplatz zum Naturerbe
Die „Wentorfer Lohe“, einstiges Übungsgelände der Panzergrenadierbrigade 16, ist ein rund 240 Hektar großes Gebiet im Osten von Hamburg. Seine abwechslungsreiche Struktur aus feuchten Wiesen und Trockengras-Fluren, aus wildwüchsigem Wald und Fichten-/Lärchenkulturen lockt so viele Spaziergänger, Radfahrer und Reiter an wie wohl kein zweites, vergleichbares Areal im Kreis Herzogtum-Lauenburg. Bis vor kurzem trugen zu dieser attraktiven Wirkung auch Baumreihen an den vielen, breit angelegten Sandwegen bei.
Nicht überpflegt und dennoch offen - dieser seltene Mix ließ das Gelände sowohl für Naturschutz wie Erholung ideal erscheinen. Das fanden auch die anliegenden Gemeinden (Wentorf, Wohltorf, Börnsen) und sprachen sich für eine in dieser Weise kombinierte Nutzung aus. Dem Wunsch der Gemeinden entsprechend schlug die Landesregierung in Kiel das Gebiet dem Bundesamt für Naturschutz als „Nachrücker“ vor: Es sollte in die erste Tranche der zuzuteilenden Naturerbe-Flächen aufgenommen werden. Die Annahme dieses Antrags im Laufe des Jahres 2008 schien nur noch Formsache.
Nun jedoch trat das Bundesforstamt, Hauptstelle Plön in Aktion. Das Amt, genauer: Förster Christoph Bornholdt vom Forstrevier Kaltenkirchen, ist für die Betreuung der "Lohe" zuständig. Am 20. November 2007, erste „Aufräumarbeiten“ waren bereits angelaufen, traf sich der kernige Forstmann mit einer Vertreterin der für den Kreis verantwortlichen Unteren Naturschutzbehörde (UNB) auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz und kurvte mit ihr über die alten Panzerwege.
Geländepartie mit drastischen Folgen
Der eineinhalbstündige Ausflug muss die Naturschutzfrau überzeugt oder hilflos hinterlassen haben; jedenfalls hatte das Amt nichts vorzubringen gegen jene umfangreichen Maßnahmen zur „Verkehrssicherung“ und „Knickpflege“, die nun binnen kürzester Zeit abgewickelt wurden. Bereits drei Tage nach dem Treffen hatte eine Holzfäller-Kolonne dermaßen viele Bäume gefällt, dass etliche Wege in dem Areal unpassierbar waren.
Knicks sind baumdurchwachsene Wildhecken. In Schleswig-Holstein gilt es als ausgemacht, dass sie etwa alle zehn Jahre „auf den Stock gesetzt“ werden müssen, um dann wieder auszutreiben. Allerdings ist es ein Streit unter Fachleuten, wie viele Bäume als sogenannte „Überhälter“ inmitten der Knicks stehen bleiben dürfen. Durch die „Knickverordnung“ der schwarz-roten Landesregierung vom September 2007 wurde diese Zahl gerade deutlich reduziert. „Verkehrssicherung“ ist ein Begriff aus der Rechtslehre; Waldeigentümer sind unter bestimmten Umständen zu ihr verpflichtet, etwa wenn Bäume an Straßen nicht mehr standsicher sind oder dort morsche Äste herabfallen könnten.
Wenn Bäume zu Häckseln werden
Nach dem Urteil des Försters Christoph Bornholdt waren nahezu sämtliche baumbestandenen Wegränder in der Lohe – insgesamt mindestens acht Kilometer – entweder „durchgewachsene Knicks“, also in historischer Zeit einmal ein Knick gewesen, oder die Spaziergänger dort vor allem durch brüchige Äste hochgefährdet.
Also wurden Alleen – als Knicks verstanden – auf dürre Reihen von Überhältern reduziert. Und Bäume, an denen sich bruchverdächtige Äste ausmachen ließen, gleich ganz gefällt. Denn das sei günstiger, als die Äste vom Hubsteiger aus abzusägen. Die Kostenersparnis nutzte allerdings erst einmal nicht dem Bundesforstamt, neuerdings zur Bundesanstalt für Immobilienaufgaben geschlagen, die wiederum zum Bundesfinanzministerium gehört. Mit den Arbeiten beauftragt wurde vielmehr ein Trupp, den eine Fremdfirma beschäftigte. Nach einem „Selbstwerbung“ genannten Verfahren nimmt sie dem Bundesforst Stammholz und Späne für den Weiterverkauf ab – nachdem sie vorher die aufsummierten Arbeitskosten in Abzug gebracht hat.
Im Januar hatte sich das Antlitz der Wentorfer Lohe drastisch gewandelt. Berge von Häckselgut reihten sich auf den Wegen, geschätzte 1000 Festmeter Holz (eine offizielle Zahl ist vom Bundesforst nicht erhältlich) waren zu Stapeln aufgeschichtet. Der Naturschutzwart des „Amtes Hohe Elbgeest“, Klaus Tormählen, begann sich zu fragen: Sollte hier kurz vor der geplanten Übergabe des Geländes an die landeseigene Naturschutzstiftung noch Holz zu Geld gemacht werden? Und zwar genau jenes Holz, das sich bequem von den breiten Wegen aus erreichen ließ? Tormählen alarmierte das Bundesnaturschutzamt. Auch andere schleswig-holsteinische Bürger regten sich. Bereits im Oktober hatte Soeren Kurth aus Börnsen – durch die vielen Markierungen an den Bäumen aufmerksam geworden – bei dem Bürgervorsteher der Gemeinde Wentorf nachgefragt, was in dem Gebiet bevorstehe: „Eine Antwort blieb aus“. Nun, am 21. Januar, reichte Kurth beim Bundesforstamt Plön eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Förster Bornholdt ein.
Immer häufiger klingelten in den Rathäusern die Telefone, ein paar Aktive hielten eine Mahnwache, die Bürgermeister begannen bei übergeordneten Dienststellen wie dem Bundesforstamt Hannover nachzufragen.
Am 24. Januar, mittags, erhielt Tormählen von der Bundesimmobilienverwaltung in Bonn die Auskunft, dass ein vorübergehender Sägestopp verfügt worden sei; dennoch wurde bis zum nächsten Tag - mit doppelter Mannstärke - weitergeholzt. Die UNB in Ratzeburg aber sah selbst nach zwei Monaten intensiver Sägerei keinen Grund, ein zweites Mal in dem Gelände nachzuschauen. Auch das unter anderem für Umwelt zuständige Ministerium in Kiel regte sich nicht.
Späte Abkehr von der rauen Tour
Erst als sich die Berichte in viel gelesenen örtlichen Publikationen wie der Bergedorfer Zeitung zu häufen begannen und auch Landtagsabgeordnete nachzufragen begannen, wurde dem Wentorfer Bürgermeister Matthias Heidelberg ein Lokaltermin vorgeschlagen. Tatsächlich kam am 6. Februar ein Treffen zustande. Außer Heidelberg, Tormählen und einer Landschaftsarchitektin ließ sich nun auch ein Vertreter der UNB blicken, neben Förster Bornholdt erschienen der Forstamtsleiter aus Plön und ein Forstdirektor aus Hannover.
Ergebnis des Treffens in Gummistiefeln: Bis Mitte März werde die Verkehrssicherung weiter verfolgt, die Knickpflege jedoch „sensibler“ vorgenommen. Das allerdings war nicht schwer zu versprechen: Denn zu dieser Zeit lagen rund 90 Prozent aller heute gefällten Bäume bereits am Boden.
Zwei Stellungnahmen
zu den Arbeiten in der Wentorfer Lohe - aus kritischer Perspektive und aus Sicht des Auftraggebers
contra: Dr. Lutz Fähser, Forstamtsleiter des Stadtwalds Lübeck
Verkehrssicherung war nicht gefordert
Das noch von der rot-grünen Regierung in Kiel 2004 beschlossene Landeswaldgesetz in Schleswig-Holstein gewährt jedem Bürger nach § 17 ein Betretungsrecht. Im Gegenzug wurden die Waldbesitzer in § 19 komplett von der Verkehrssicherungspflicht entbunden: Sie haften nicht für „waldtypische Gefahren“, auch nicht auf innerwaldlichen Erschließungswegen. Ausnahmen gelten an öffentlichen Fahrwegen und z.B. an in Landkarten eingetragenen, überörtlichen Wanderwegen („Europäischer Fernwanderweg“). Diese Ausnahmen liegen in der Wentorfer Lohe nicht vor. Der Umfang der Entnahmen geht weit über die Verkehrssicherungspflicht hinaus. Das Landeswaldgesetz verlangt von öffentlichen Trägern überdies, dass sie ihre Wälder in vorbildlicher Weise bewirtschaften und dabei Belange des Wald- und Naturschutzes, insbesondere Aspekte wie Schönheit, Seltenheit und Vielfalt berücksichtigen.
Es ging kaum irgendwo um „Knickpflege“
Viele Baumreihen standen am Waldrand und waren in diesen hineingewachsen. Sie dennoch als „Knicks“ anzusprechen – typischerweise sind dies Hecken oder Feldgehölze zwischen Äckern oder Weiden – ist widersinning. Weshalb die Untere Naturschutzbehörde sich auf eine solche Auslegung einließ, bleibt unbegreiflich. Konsequenz war jedenfalls, dass viele jener Bäume, von denen keine Verkehrs-Gefahr ausging, als „Knickbäume“ galten – und fielen. Auch der Begriff der „Pflege“ erscheint kaum angebracht: Wenn man hundertjährige Eichen oder Buchen fällt, schlägt an den Stümpfen keinesfalls neues Knickholz aus. Will man die Knicks also wirklich „revitalisieren“, müssen nunmehr neue Feldgehölze, zum Beispiel auch Birken, gepflanzt werden.
Die Waldbewirtschaftung geschah nicht nach guter fachlicher Praxis
Durch die Beseitigung kerngesunder alter Eichen in erster und zweiter Reihe vor Fichtenschonungen wurde die Gefahr nicht verringert, sondern erhöht: Fichten sind in Norddeutschland nicht heimisch und darum instabiler; wird plötzlich ein Saum von Bäumen entnommen, der sie über Jahrzehnte vor Hitze oder Wind geschützt hat, wächst die Instabilität noch. Fällarbeiten zur Verkehrssicherung sind entweder im Einzelfall akut nötig oder sie werden – wie in der Wentorfer Lohe – nach Jahren des Abwartens in einem Zuge vorgenommen. Im zweiten Fall wird der Gesundheitszustand der in Frage kommenden Bäume in den Jahren zuvor in etwa halbjährlichem Abstand begutachtet und protokolliert. Alle zehn Jahre wird überdies eine Waldinventur vorgenommen, die danach geplanten Arbeitsschritte werden in einer „Forsteinrichtung“ für die nächsten zehn Jahre festgeschrieben. In einem gut geführten Wald gilt dies auch, soweit absehbar, für die Maßnahmen zur Verkehrssicherung. Es ist zutiefst bedauerlich, dass solche Bemühungen um sorgfältige Waldwirtschaft durch das grobe Vorgehen in der Wentorfer Lohe konterkariert werden und dass der Ruf der Förster dadurch beschädigt wird.
pro: Gunther Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereichs Bundesforst bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Bonn
Verkehrssicherung war dringend notwendig
Das Waldgesetz Schleswig-Holstein sieht in § 19 vor, dass der Waldbesitzer regelmäßig für waldtypische Gefahren nicht haftet. In der Wentorfer Lohe handelt es sich jedoch nicht um eine waldtypische Gefahr, da hier aufgrund der starken Erholungsnutzung keine waldtypischen Verhältnisse vorherrschen. Stattdessen entsteht allein aufgrund der hohen Besucherzahl eine besondere (und nicht regelmäßige) Sorgfaltspflicht, die der einer öffentlichen Verkehrsfläche entspricht. Wie die Erfahrung aus zur Zeit laufenden strafrechtlichen Ermittlungen (Unfall mit Todesfolge) gegen Angehörige von „Bundesforst“ in Schleswig-Holstein zeigt, ist ein leichtfertiges Auslegen des § 19 als Waldbesitzer unverantwortlich, wenn er eine vorhandene Gefahr erkennt und untätig bleibt. In dem Ortstermin (am 6. Februar mit Bürgermeister Heidelberg u.a.) wurde die Erforderlichkeit der Verkehrssicherung bestätigt. Die Gefahr ging nicht von stammfaulen und damit umsturzgefährdeten Bäumen aus. Soweit ist es dank vorausgegangener Maßnahmen nicht gekommen. Die Totäste in den Baumkronen, die auf Waldbesucher herunterfallen können, stellten das Hauptrisiko dar. In der freien Landschaft ist der massenhafte „chirurgische“ Einzelbaumschutz – die Entnahme von Trockenästen vom Hubsteiger aus - aufgrund der enormen Kosten nicht zu vertreten.
Die Waldbewirtschaftung geschah nach guter fachlicher Praxis
Die Kontrollen und sich daraus ergebenden Maßnahmen fanden regelmäßig im Rahmen der Wahrnehmung der forstlichen und naturschutzfachlichen Betreuung der Fläche statt, insbesondere nach Sturm und Nassschneewetterlagen, ohne dass über jede Maßnahme Buch geführt wurde. Dies ist nicht üblich und führt bei der Vielzahl der zu betreuenden Einzelflächen zu einem bürokratischen Aufwand, der in keinem Verhältnis zu einem etwaigen Erkenntnisgewinn stehen würde. Gefahrenbeseitigung ist eine generelle Pflicht des Grundeigentümers bzw. seines Beauftragten, die keine besondere Erwähnung im Forsteinrichtungswerk findet.
Verkehrssicherung diente nicht als Vorwand für angestrebten Holzverkauf
Das zu erwartende finanzielle Ergebnis spielt bei der Entscheidung, ob erforderliche Verkehrssicherungsmaßnahmen oder naturschutzfachliche Bestandspflegearbeiten durchzuführen sind, keine Rolle. Allerdings strebt „Bundesforst“ bei der Umsetzung eine Minimierung der Kosten an, wie dies für eine kaufmännisch geführte Bundesanstalt des öffentlichen Rechts selbstverständlich ist.
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben stellt mehr als 75.000 ha naturschutzwürdiger Flächen für das Nationale Naturerbe zur Verfügung. Dies ist nur möglich, weil diese Flächen über lange Zeit besonders naturnah von „Bundesforst“ betreut worden sind. Das u.a. hierdurch erworbene positive Image unserer Forstverwaltung ist uns zu viel Wert, um es leichtfertig mit einer gewinnorientierten Hiebsmaßnahme in einem Naherholungsgebiet vor den Toren einer Großstadt aufs Spiel zu setzen.
Weitere Informationen unter folgenden Links:
www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/skript84.pdf
Verkehrssicherungspflicht in Großschutzgebieten – eine Analyse des Bundesamts für Naturschutz
Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an die Bundesregierung