
Emanuel Lörtscher, Physiker, IBM Research Zürich
In der Nanotechnologie bedeutet Stille mehr als die bloße Abwesenheit akustischer Reize: Vibrationen, elektromagnetische Felder und Temperaturschwankungen würden unsere Grundlagenforschung genauso stören – etwa wenn wir an winzigen Bauteilen für Computerchips arbeiten. In unserem Forschungszentrum müssen wir deshalb alle Störfaktoren ausschalten. Die Experimente finden abgeschirmt in „Noise free“- Laboren statt, in acht Meter Tiefe auf tonnenschweren Fundamenten, die auf im Fels verankerten Luftkissen schweben – das dämmt die Schwingungen. Die Räume selbst sind schallschluckend und magnetisch abgeschottet, die Versuche ferngesteuert – bei uns ist der Forscher selbst zum größten Störfaktor der Stille geworden.
Frank Uekötter, Umwelthistoriker, University of Birmingham
Viele Menschen denken, früher sei es in unseren Städten viel stiller gewesen. Das stimmt aber gar nicht: Der Lärm von Handwerkern in engen Gassen etwa war ohrenbetäubend. Allerdings lebten in der Vormoderne die meisten Menschen auf dem Land – und dort durchbrach erst die industrielle Revolution schlagartig die Stille: Maschinengeräusche waren etwas ganz Neues, viele Menschen zugleich geschockt und berauscht von ihrem Brausen. Unser Bedürfnis nach Stille ist daher ein relativ neues Phänomen – Ohropax wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden, auch die akustische Maßeinheit Dezibel ist erstaunlich jung. Stille ist heute ein Luxusgut: Wer es sich leisten kann, flieht in gediegene Vorstädte.
Brigitte Schulte-Fortkamp, Psychoakustikerin, TU Berlin
Stille ist zwiespältig. Einerseits genießen wir sie, wenn wir sie bewusst suchen: In Bibliotheken oder Kirchen etwa sorgt Ruhe für Konzentration und Besinnung. An- dererseits kann sich ein Raum voller Menschen unangenehm anfühlen, wenn keiner ein Wort sagt. Absolute Stille ängstigt viele – man spricht ja auch von „Totenstille“. Manchen wird in sehr stillen Räumen sogar schwindelig. Doch wir nehmen Lärm und Stille auch unterschiedlich wahr: Gegen Fluglärm protestieren ja meist nicht jene, die ohnehin schon an einer lauten Straße wohnen müssen, sondern eher die Besitzer eines Häuschens im Grünen, wo es vergleichsweise still ist. Dem einen drohen tatsächlich gesundheitliche Schäden – es klagt aber der andere, der sich in seiner privaten Ruhe gestört fühlt.