Es beginnt wie ein Geschäftsbericht – und endet mit Pauken und Trompeten. Leiernd, fast gelangweilt eröffnet scheint es, der neue Premierminister seine Antrittsrede. Winston Churchill spricht über das Kriegskabinett, die Besetzung der Militärressorts, die Geschäftsordnung der nächsten Parlamentssitzung. Erst nach drei Minuten ändert sich der Ton. Und jetzt fallen die Worte schwer und „Ich habe nichts zu bieten“, sagt schneidend wie Schwertschläge. Churchill schließlich, „als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“
Es ist ein Satz, auf den das Land gewartet hat. Ein Satz, der ein Ende verspricht mit dem Taktieren, dem Zaudern, den endlosen Debatten. Ein Satz, der das Ende der Politik ankündigt, der Etikette und des guten Willens. Ein romantischer Satz. Ein Satz für Helden. Denn dieser 13. Mai 1940 ist ein Tag, an dem selbst das nüchterne, pragmatische England nach Helden verlangt. Drei Tage zuvor hat die deutsche Großoffensive an der Westfront begonnen, nun rückt die Wehrmacht über die Niederlande in Richtung französische Grenze vor und über Ardennen und Maas Richtung Kanalküste. Und bedroht, so steht zu befürchten, bald auch die Britischen Inseln – die für den Krieg noch nicht ausreichend gerüstet sind.
Diplomatie, Zivilisation und Völker recht haben versagt. Jetzt können, so nur noch die uralten Werte helfen: Kraft, Entschlossenheit, Mut. Eine solche romantische Vorstellung von Krieg ist es, die der neue Premierminister verkörpert. Tatsächlich wirkt es bisweilen, als sei Churchills Welt die jener englischen Sage, in welcher der Held Beowulf einen Unhold zur Strecke bringt. Für Churchill ist Krieg nicht einfach ein Unglück – sondern, wie er es wenige Wochen später in einer weiteren Rede formulieren wird, die finest hour: die „herrlichste Stunde“, die ein Kollektiv erleben kann. Vielleicht war es Churchills über dimensioniertes Geburtshaus, Schloss Blenheim in der Grafschaft Oxfordshire, eine der ausgedehntesten Palastanlagen der Britischen Inseln, das in ihm den Willen zur Größe entfacht hat.
Vielleicht war es dessen Erbauer, Winstons Vorfahr John Churchill, der Herzog von Marlborough, Held des Spanischen Erbfolgekrieges um 1710, der schon dem jungen Churchill die Sehnsucht nach wuchtigen Taten eingab. Vielleicht war es Sir Randolph Churchill, der Vater, Politiker, Draufgänger und Skandalritter mit Pelzmantel und Walrossbart, der ihm den Geschmack an Husarenstreichen einflößte. Beiden wird er später in mehrbändigen Biografien Denkmäler setzen.
Winston Churchill und seine Jugend
Randolph Churchill stirbt, als sein Sohn 20 Jahre alt ist. Man kann nicht behaupten, er hätte ihn gut gekannt. „Drei oder vier vertraute Unterhaltungen“, wird Winston sich später erinnern, habe er, alles in allem, mit seinem Vater geführt.
Doch vielleicht lässt ihn gerade die Unerreichbarkeit in den Augen des einsamen Kindes ins Übermenschliche wachsen, zwingt die ungebrochene Verachtung des Vaters Churchill zeitlebens dazu, sich den Respekt des Abwesenden mit starken Taten zu erkämpfen. „Jungen, denen die Zuwendung des Vaters fehlt“, so wird er sich später trösten, entwickeln oft besondere „Unabhängigkeit und Kraft“.
Schon in der Schulzeit tut Lord Randolph den Sohn abfällig als „diesen Jungen“ ab. Beschimpft ihn als Versager, droht ihm gar, als er zweimal die Aufnahmeprüfung für die Militärakademie Sandhurst verpatzt, mit dem Abbruch aller Beziehungen.

Und noch den 73-jährigen Churchill wird diese Geringschätzung nicht in Ruhe lassen: Eines Tages, so berichtet er da seinem eigenen Sohn, sei ihm der tote Randolph in seinem Landhaus erschienen – doch ehe ihm Winston endlich von seinen Erfolgen erzählen konnte, sei der Vater wieder verschwunden.
So ist schon Churchills Jugend ein Krieg: „eine ununterbrochene Folge von leidvollen Erfahrungen“. Die Kühle der Mutter („Ich liebte sie zärtlich – aber von ferne“). Das blutige Regime an der vor nehmen St. James Schule in Ascot, wo es „Prügel mit der Birkenrute“ setzt – „so furchtbare Schläge“, dass er „zwei Jahre ein Leben voller Ängste“ lebt. Das dump fe Pauken an der Internatsschule in Har row, das ihn in den inneren Lernstreik treibt und nahezu bildungslos entlässt – „eine Zeit voller Unbehagen, Zwang und sinnloser Eintönigkeit“.
So finster ist diese Jugend, dieser Kampf um das seelische Überleben, dass der frühe Tod des Vaters 1895 wie eine Befreiung kommt – und die militärische Disziplin, der sich der junge Husarenleutnant nun unterwirft, in ihm geradezu hymnische Gefühle hervorruft: „Es liegt ein ganz eigener Zauber in dem Geklirr und Geblitz einer trabenden Kavallerieschwadron; und Galopp steigert den Reiz zur Lust.“
Es gibt kaum Frauengeschichten in dieser harten, martialischen Männerwelt. Nicht die Liebe ist es, die ihn lebendig macht, sondern die Lebensgefahr: „Wie schön, sich vorzustellen, man wäre 1793 erst 19 Jahre alt gewesen – und hätte noch mehr als 20 Jahre Krieg gegen Napoleon vor sich gehabt!“, schwärmt er einmal.
Doch auch an der Schwelle zum 20. Jahrhundert gelingt es Churchill noch, seine Kriege zu finden. Er reist an sämtliche Kampfschauplätze, an die ihn der weitreichende Einfluss seiner Mutter irgend befördern kann.
Er wird zum Schlachtenbummler des Todes, zum faszinierten Touristen des Gemetzels, der in napoleonischer Haltung über Schiffsdecks läuft, bleich und rothaarig, finanziert durch Artikel, die er an englische Zeitungen schickt.
Auf Kuba schließt er sich 1895 spanischen Truppen an, die einen Auf stand im Landesinneren niederwerfen, und berauscht sich an den Kugeln, die „klatschend in die aufseufzenden Palm bäume“ schlagen.
Von der Konservativen Partei ins liberale Lager
1897 fährt er auf eigene Kosten nach Indien, um die Scharmützel an der Nordwestgrenze zu genießen. Im Jahr darauf bahnt er sich den Weg in den Sudan, wo er mitten in der „erhabenen Großartigkeit“ der Schlacht von Omdurman einen speerbewehrten Rebellen erschießt: „Wie schnell hat man einen Menschen getötet! Aber ich machte mir keine Gedanken darüber.“
Im südafrikanischen Burenkrieg gelingt Churchill 1899 schließlich ein Coup, der ihn berühmt macht. Als der Feind einen britischen Panzerzug über fällt, ergreift er das Kommando über die Lokomotive, entführt sie mit den Verwundeten an Bord in die Freiheit – wird selbst aber gefangen genommen. Doch er entkommt aus dem Lager und gelangt, in einem Güterwaggon unter Wollballen versteckt, ins neutrale Mosambik.
Die Heimat ist entzückt über ihren Helden. Selbst der Weg in die Politik, das Metier seines Vaters, steht ihm jetzt offen: „Politik ist beinahe so aufregend wie Krieg“, frohlockt er, „und ebenso gefährlich.“ Und tatsächlich: Die Wahlen von 1900 befördern ihn ins Unterhaus. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain stellt ihn bei einem NewYork Besuch als „Helden von fünf Kriegen, Autor von sechs Büchern und künftigen Premierminister von England“ vor.
Wenige Jahre später schafft es Churchill immerhin ins Amt des Wirtschaftsministers, dann des Innenministers (und das nicht zuletzt durch einen Wechsel vom konservativen ins liberale Lager).
„Sie werden fragen: Was ist unsere Politik?“, sagt Churchill nun, am 13. Mai 1940. Seine Stimme wird dunkler, brütet und grollt. „Ich erwidere: Unsere Politik ist, Krieg zu führen, zu Wasser, zu Lande und in der Luft, mit all unserer Macht und mit aller Kraft, die Gott uns verleihen kann; Krieg zu führen gegen eine ungeheuerliche Tyrannei, die in dem finsteren, trübseligen Katalog des menschlichen Verbrechens unübertroffen bleibt.“
„Das“, schließt der Premierminister, „ist unsere Politik.“
Der Bezug auf Gott ist kein religiöses Statement. Churchill glaubt nicht an einen Gott, sondern an die Vorsehung – die auch ihm, davon ist er überzeugt, Großes zugedacht hat. Und er glaubt an das Überleben des moralisch Stärkeren.
Der Königsweg dafür ist der Kampf: „Wir sind nicht dazu geschaffen“, hat er in einer der ersten Reden seiner Politikerlaufbahn verkündet, „in dieser Welt Frieden zu finden.“
Und noch 1943, mitten in einer Völkerschlächterei ohne Beispiel, wird er erklären, der Krieg locke das Beste im Menschen hervor. Für die Handwerker der Politik, die „Krämer und Eisenwarenhändler“, hat er nur Verachtung übrig. Er selbst sieht sich als neuer Napoleon Bonaparte.
Churchill und der Erste Weltkrieg
Es ist 1911 ein geschickter Schachzug des Premiers Herbert Henry Asquith, den „Liliput Napoleon“, wie Kollegen Churchill nennen, unschädlich zu machen, indem er ihm einen Feind außerhalb Englands beschert: Er macht den Jungstar zum Marineminister – gerade als wegen einer Krise um Marokko Krieg mit den Deutschen droht.
Als Befehlshaber der weltgrößten Flotte ist Churchill nun in seinem Element. Unermüdlich reorganisiert er die Seemacht, um sie tauglich zu machen für einen Krieg, dem er entgegenfiebert.
„Alles strebt Richtung Katastrophe und Zusammenbruch“, schreibt er kurz vor dem tatsächlichen Kriegsausbruch 1914, lustvoll schaudernd vor dem eigenen Blutdurst, an seine Frau: „Ich bin begeistert, gerüstet und glücklich. Ist es nicht schrecklich, so gebaut zu sein?“
Der ersehnte Krieg wird zu Englands Sieg – aber Churchills Niederlage. Im April 1915 ordnet er eine verlustreiche (und wie sich zeigt: unsinnige) Landeoperation beim türkischen Ort Gallipoli an, um Deutschlands dortige Verbündete zur Kapitulation zu zwingen und dann vom Balkan aus Österreich anzugreifen. Doch die Türken verteidigen die Meer enge erfolgreich. 44 000 alliierte Soldaten verlieren bei der Attacke ihr Leben.
Am 17. Mai 1915 beschließt die Regierung, den erfolglosen Haudegen zu opfern: Churchill verliert seinen Posten, ist fortan nur noch Minister ohne Geschäftsbereich. „Ich bin erledigt“, murmelt er, „mit mir ist’s aus.“ Und seine Frau sorgt sich, er könne vor Kummer sterben.

Was macht ein Held, der nicht kämpfen darf ? „Wie ein Seeungeheuer, das man aus der Tiefe des Meeres gefischt hat“, fürchtet er, „durch den Druckabfall zu bersten“. Er versucht, sich als Soldat in den geliebten Krieg hineinzuschleichen und als Kommandeur anheuern zu lassen – doch alles, was die Armee ihm zugesteht, ist die Führung eines Bataillons in Flandern, wo er Entlausungskampagnen führt. Abgeordnete und Diplomaten auf Fronttour lassen sich den gedemütigten Ritter in seinem Schützengraben wie ein exotisches Tier vorführen.
Und es ist für ihn zwar ein Glück, aber doch ein schwacher Trost, dass eine Dienstbesprechung ihn gerade in dem Moment aus seinem Unterstand herausbeordert, als dort ein Volltreffer einschlägt. Doch bald nach dem Krieg findet Winston Churchill, mittlerweile wieder domestiziert als vielfach einsetzbarer Fachminister, glücklich einen neuen Feind: den Sozialismus. 1919, während des Russischen Bürgerkriegs, fordert er – wenn auch ohne Erfolg – Englands Armee zum massiven Eingreifen aufseiten der Weißen auf.
Sein Drang ist es, „die Natter in der Wiege zu erwürgen“, solche „dumpf schmierigen Figuren“ wie Lenin und Trotzki, jene „profillosen Fratzen“ mit „exotischen Namen“. Und auch die sozialdemokratische Labour Party, die gerade ihren ersten großen Auftritt hat („ein schweres nationales Unglück“, wie Churchill findet), ist für ihn kaum mehr als eine Ausgeburt eben dieser „tödlichen Giftschlangen“.
Mit einem solchen Feind ist jeder Kompromiss unmöglich. Zeitweilig bringt ihn der Hass auf alle Linken sogar in die Nähe faschistischer Bewegungen, die in Italien und andernorts als Reaktion auf die vermeintliche sozialistische Bedrohung entstanden sind. In Mussolini, dem „römischen Genie“, sieht er den „größten Gesetzgeber unserer Zeit“.
Rückkehr in die Konservative Partei
Doch in Großbritannien scheint kaum jemand diese Ansichten zu teilen – nicht einmal in der Konservativen Partei, in die Churchill 1924, nach 20 Jahren als Liberaler, zurückgekehrt ist.
Die Taktik seiner neuen alten Parteifreunde, die die Labour Party in das System einbinden wollen, statt sie zu vernichten, erfüllt Churchill nur mit Verbitterung. Nachgiebigkeit ist eines Helden nicht würdig – auch nicht gegen friedliche Rebellen wie Mahatma Gandhi, jenen „aufsässigen Advokaten“, der, wie Churchill formuliert, „halb nackt“ das Empire herausfordert.
Und so tritt er aus Protest gegen Englands Kompromisse gegenüber der indischen Unabhängigkeitsbewegung 1931 aus dem konservativen Schattenkabinett aus, reagiert fortan auf alle Versöhnungsbemühungen mit grimmiger Häme.
Seine Parteifreunde belassen den Schlagetot zwar im Parlament, aber bieten ihm kein öffentliches Amt mehr an. Jahrelang schmachtet Churchill in Tatenlosigkeit, mauert mürrisch an seinem Landsitz herum, einen alten Filzhut auf dem Kopf.
Er pflanzt Bäume, legt Zierteiche an, züchtet Goldfische und Schmetterlinge. Er malt und schreibt, umgeben von Napoleon und WellingtonBüsten, um hegt von acht Hausangestellten, einer Gouvernante, zwei Sekretärinnen, einem Chauffeur, drei Gärtnern und einem Kammerdiener. Besuchern zeigt er sein Schreibbüro – um umgehend in Nostalgie zu verfallen: „Wenn man bedenkt, dass ich einmal die Flotte kommandiert habe ...“
Ein Thema beschäftigt ihn während all seiner „Jahre in der Wüste“ mehr als jedes andere: das Wiedererstarken Deutschlands. Immer wieder, in Parlamentsreden und unzähligen Artikeln, beschreibt er Hitlers Aufrüstung als eine Gefahr für den Frieden in Europa.
Die öffentliche Meinung im Vereinigten Königreich aber bestimmen andere: die Vertreter des appeasement, der Beschwichtigungspolitik um Premierminister Neville Chamberlain. Sie sind davon überzeugt, dass Großbritannien seine Wirtschaftskraft im Ersten Welt krieg erschöpft hat und ein zweiter das Land ruinieren würde – selbst wenn er mit einem Sieg endete.
Sie hoffen, dass Hitler sich auf Mittel und Osteuropa beschränken und die britische Einflusssphäre verschonen wird. Und sie befürchten, London könnte bei seinem Kampf gegen die deutsche Expansion auf sich gestellt bleiben – schließlich zeigen weder die USA noch Frankreich oder die Sowjetunion Neigungen, in das schaurige Geschehen in der Mitte Europas einzugreifen.
In diesem Klima des Zögerns ist Churchill der einsame Rufer. Sobald er das Wort ergreift, leeren sich die Bänke des Unterhauses. Er allein sieht Hitler nicht als Machtpolitiker mit berechenbaren Interessen, sondern als das Böse, den absoluten Feind. Das von den Anhängern des Appeasement als Friedenstat gefeierte Münchner Abkommen von 1938, in dem die Staatschefs Frankreichs und Großbritanniens der deutschen Annexion des Sudetenlandes zustimmen, verdammt Churchill als „totale und ungemilderte Niederlage“.
Churchill wird Premierminister
„Schweigend, trauernd, verlassen und gebrochen versinkt die Tschechoslowakei in der Dunkelheit“, wettert er. Und fügt hinzu: „Glauben Sie nicht, dass dies das Ende ist.“
Bald darauf, nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch die Deutschen, verliert auch Chamberlain seine letzten Illusionen. Am 1. September 1939 überfallen Hitlers Truppen Polen. Zwei Tage später erklärt London Berlin den Krieg. Und noch am selben Tag beruft Chamberlain Churchill als Marineminister in die Regierung zurück.
Dessen erste größere Tat als Herr der Flotte ist nicht von Erfolg gekrönt: Dem Versuch seiner Schlachtschiffe, mit der Besetzung des norwegischen Hafens Narvik Deutschland vom kriegswichtigen schwedischen Erz abzuschneiden, kommen die Deutschen mit einer Invasion des neutralen Landes zuvor.
Doch anders als im Ersten Welt krieg kann der militärische Misserfolg dem Politiker Churchill diesmal nicht schaden – zu groß ist bei anderen der Respekt, den er sich mit seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber Deutschland erworben hat. Und als das Unterhaus am Ende einer zweitägigen Debatte über das NorwegenDesaster Neville Chamberlain keinen klaren Vertrauensbeweis aus spricht, ist den meisten Beobachtern klar, dass Churchill der kommende Mann an der Spitze des Landes sein wird.
Am 10. Mai beginnt die deutsche Großoffensive an der Westfront. Noch am selben Tag tritt Chamberlain zurück. Und der König ernennt den 65-jährigen Churchill zum Premier.
„Ich fühlte eine tiefe Erleichterung“, erinnerte er sich später. „Endlich hatte ich die Macht über das Ganze und konnte Befehle geben. Ich hatte das Gefühl, mit dem Schicksal zu wandeln.“
Um drei Uhr geht er an jenem 10. Mai zu Bett und schläft traumlos.
Großbritanniens neue Politik
Jetzt, drei Tage später, hat Churchills Stimme allen Grund, hell und triumphal zu werden. „Sieg“, schmettert er. „Sieg um jeden Preis, Sieg trotz allem Schrecken, Sieg, wie lang und beschwerlich der Weg dahin auch sein mag.“
Dann wird sein Tonfall wieder düster. „Denn ohne Sieg gibt es kein Weiter leben. Kein Weiterleben für das britische Weltreich; kein Weiterleben für all das, wofür das britische Weltreich eingetreten ist; kein Weiterleben für den jahrhundertealten Drang und Impuls des Menschengeschlechts, seinem Ziel zuzustreben.“
Schließlich schwingt sich die Stimme auf, wird salbungsvoll, schwebt vor Pathos: „Doch ich übernehme meine Aufgabe voll Energie und Hoffnung“, sagt er. Und endet mit den Worten: „Auf denn, lasst uns gemeinsam vorwärts schreiten mit vereinter Kraft.“
Tatsächlich vereint Churchill die Kräfte des Landes – doch vor allem vereint er sie in seiner eigenen Person. Die Taktiker des Appeasement entfernt er systematisch aus dem Kriegsgeschäft, ernennt den einen zum Justizminister, den anderen zum Leiter des Erziehungsressorts, schickt zwei weitere als Botschafter nach Madrid und Washington.
Als Chamberlain ein halbes Jahr nach der Amtsübergabe an Krebs stirbt, übernimmt Churchill von ihm auch noch den Vorsitz der Konservativen Partei. Zudem erfindet er für sich selbst das Res sort eines „Verteidigungsministers“, der den Kriegs, Marine und Luftfahrtministern Weisungen erteilen kann – und macht sich so zum Oberbefehlshaber über alle Waffengattungen.
Zunächst steckt er das ganze Land in Uniform. Seine erste Gesetzesvorlage, angenommen am 22. Mai, zwingt jeden Bürger, sich und seinen Besitzrückhalt los in den Dienst des Krieges zu stellen.
Auf den Strandpromenaden exerziert schon bald die Armee, in requirierten Hotels amtieren Kriegsbehörden. Unterstände in öffentlichen Parks und privaten Gärten können fast zwei Millionen Menschen fassen.
Gab es vor Kriegsausbruch noch eine Million Arbeitslose, so wird nun die Arbeitskraft jedes Briten maximal aus genutzt; die Fabriken stoßen Tag und Nacht Kriegsmaterial aus; die Flugzeugproduktion steigt von 3000 Maschinen 1938 auf 15000 im Jahr 1940.

Churchills Kurs und der Zweite Weltkrieg
Die Briten folgen Churchills Kurs mit Begeisterung. Sein Pathos überträgt sich auf das ganze Volk, facht Stolz und Gemeinschaftsgefühl an. Geschirr mit dem Porträt des Premierministers wird zum Verkaufs erfolg. Journalisten fügen sich voller Begeisterung der Zensur. Klassenschranken scheinen bedeutungslos geworden zu sein, und Fremde kommen einander bei Tee und Bombenalarm näher. Die Geburten rate steigt.
Klaglos ertragen die Briten die Rationierung von Benzin und Kleidung, von Fleisch, Butter und Zucker. Sie legen Gärten zur Selbstversorgung an, halten Geflügel und Schweine im Hinterhof.
Und als nach den raschen Erfolgen der Wehrmacht das britische Expeditionskorps Ende Mai 1940 in Dünkirchen vor der Vernichtung steht, schwärmt alles aus, was seetüchtig ist, um die fast 400 000 eingekesselten alliierten Soldaten heimzuholen.
Wohl kein kriegsteilnehmender Staat mobilisiert seine Bürger so gründlich wie das Vereinigte Königreich. 1944 stehen 22 Prozent der Arbeitskräfte des Landes im Dienst der Armee, 33 Prozent arbeiten in der Kriegsindustrie. Fabrikarbeiter widmen ihre Freizeit dem Zivilschutz, Bankangestellte ihre Nachtstunden dem Dienst für den Luftschutz.
Frauen aus Schottland, Wales und Nordengland ersetzen 100 000 rekrutierte Eisenbahnarbeiter, rücken als Schweiße rinnen in die Werften nach, als Schaffnerinnen in die Busse, und zwar – shocking! – in Hosen. Die Freiwilligen der „Home Guard“ bewachen Küsten, Fabriken und Flugplätze mit dem freudigen Eifer, mit dem man ein Hobby betreibt. Manche sind enttäuscht, dass sie nicht selbst mitschießen können – und entschädigen sich für entgangene Kampfhandlungen bei der Gefangennahme von abgeschossenen Luftwaffenpiloten.

Churchills Rolle in London
Während sich das Land in Tarnfarben homogenisiert und in nächtlichen Verdunkelungen gegenüber den deutschen Bombenangriffen unsichtbar macht, stilisiert sich Churchill wie schon in all den Jahrzehnten zuvor zum Dandy: der Spazierstock, die Havanna-Zigarre, die gepunktete Fliege, die exzentrischen Hüte, schließlich das reflexhafte „Victory“ Zeichen.
Wie sein Kontrahent Hitler steht er gern spät auf. Sein Bett wird zur Kommandozentrale; hier liest er Berichte, diktiert Befehle, bespricht sich mit sei nem Stab – im roten Morgenmantel, eine Zigarre im Mund und den Kater Nelson zu seinen Füßen. Seine Arbeitsessen be gießt er mit einer Flasche Champagner der Marke „Pol Roger“ und rundet sie mit Brandy ab; nach der Siesta greift er zu Whisky mit Soda. Manchmal trinkt er schon zum Frühstück eine Flasche Wein. „Ich finde, dass Alkohol im Leben eine große Stütze ist“, lautet sein Credo.
Gleichzeitig arbeitet er oft bis nachts um vier, bestellt seine Untergebenen bisweilen gegen Mitternacht zu sich – und hält sie auch zwischendurch derart auf Trab, dass seine Frau ihn vor der Gefahr warnt, „dass dich deine Kollegen und Mitarbeiter wegen deines rau en, sarkastischen und herrischen Benehmens ganz allgemein ablehnen“.
Manchmal besichtigt er die kämpfenden Truppen, genießt die „Erfrischung durch das Abenteuer“, ist enttäuscht, wenn der erwartete Luftangriff ausbleibt. Er durchstreift die Trümmerlandschaften von London und Coventry, nimmt Huldigungen und Anfeuerungen entgegen. Dann wieder, in Bombennächten, zieht er sich in die „Cabinet War Rooms“ unter dem St. James Park zurück, den mit goldenen Drachen bestickten Morgenmantel am Leib, den Stahlhelm in der Hand.
„Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden auf den Landeplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen, wir werden auf den Hügeln kämpfen, wir werden uns niemals ergeben“, kündigt er an.
Und um der Welt zu zeigen, dass seine Regierung „vor nichts haltmachen werde“, lässt er vor der algerischen Küste sogar die Flotte des einst befreundeten Frankreich beschießen, das nun mit den Deutschen kollaboriert und sich weigert, den Briten seine Schiffe zu überlassen: Fast 1300 französische Seeleute kommen bei dem Angriff ums Leben.

Das Bündnis mit den USA
Die Zögere im eigenen Land sind verstummt – jetzt gilt es, die Zauderer im Ausland zu mobilisieren. Das Bündnis mit den USA, weiß Churchill, ist unerlässlich für den Sieg – also bombardiert er ohne Unterlass deren Präsidenten Franklin D. Roosevelt mit Gesuchen, mit Bitten um Waffenhilfe oder Intervention.
Englands Untergang, prophezeit er, würde Hitlers Herrschaft über den Atlantik bedeuten und so auch Amerikas Sicherheit bedrohen. Und manchmal ver langt er geradezu, die Fäuste gen Himmel schüttelnd, nach deutschen Bomben auf England, um die Amerikaner endlich zum Eingreifen zu bewegen.
Doch in den USA stehen Wahlen an, und Roosevelt muss darauf Rücksicht nehmen, dass sein Land einem europäischen Abenteuer wenig zugeneigt ist.
Zudem häufen sich die Stimmen, die England bereits verloren geben – und so Churchill zu der paradoxen Taktik zwingen, gleichzeitig die Niederlage an die Wand zu malen und den Sieg in Aussicht zu stellen.
Schließlich erklären sich die USA immerhin bereit, Waffen und Munition als „Leihgaben“, also ohne sofortige Bezahlung, über den Atlantik zu schicken – wobei für die Wissenden außer Frage steht, dass das „Darlehen“ niemals in vol er Höhe zurückgezahlt werden kann.
Doch offiziell bleibt Roosevelt neutral. Und Hitler tut trotz aller unfreundlichen Akte nichts, um ihn zu einer Kriegsteilnahme zu zwingen. Churchill korrespondiert und kor respondiert, schickt Hunderte Botschaften über den Atlantik zu Roosevelt.
Ein „Europäer des 19. Jahrhunderts“ schreibt, wie es der Ideengeschichtler Isaiah Berlin später formulieren wird, an ein „Kind des 20. Jahrhunderts“ – ein Graben, der bei allem gegenseitigen Respekt tiefer scheint als das große Wasser.
Doch dann geschieht, was wohl selbst der schicksalsgläubige Churchill fast nicht mehr erwartet hat: Am 7. Dezember 1941 greifen Deutschlands japanische Verbündete den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor an. Einen Tag später erklären die USA Tokyo den Krieg; vier Tage später reagieren Deutschland und Italien ihrerseits mit Kriegserklärungen an die USA.
Amerika ist mit im Boot. Und Churchill, dieser 67 Jahre alte Mann mit dem unruhigen Kindergesicht, freut sich wie ein kleiner Junge, als sein Butler ihm die Nachricht von dem Angriff serviert.
„Jetzt haben wir’s geschafft“, ruft er. „Jetzt haben wir den Krieg gewonnen“, und: „Also doch!“ Dann geht er zu Bett, „übersättigt von Aufregung und Gefühlsstürmen“, und schläft „dankbar den Schlaf des Geretteten“.
Churchill, Roosevelt und Stalin
Lange aber hält das Glück des Helden nicht vor. Eine Kette von Hiobsbotschaften verfolgt ihn: Die Japaner überrennen die Malaiische Halbinsel und Birma. Die Deutschen unter General Erwin Rommel dringen nach Ägypten vor. Die Festung Singapur, die als uneinnehmbar galt, kapituliert mit 62 000 Mann. Ein als Experiment gedachter
Invasionsversuch beim französischen Dieppe scheitert. Kriegs wie Handelsflotte verlieren Schiff um Schiff. Zwar hat im Mai 1941, nach einem besonders schweren Angriff auf London, die deutsche Luftwaffe ihr Bombardement der Insel weitgehend eingestellt, um sich dem neuen Opfer im Osten zu widmen. Doch dafür droht mit der unmittelbaren Gefahr auch der Zusammenhalt der mühsam zusammengeschweißten Heimat zu schwinden, werden die Klagen über Churchills Kriegführung lauter.
Eine Zeit lang scheint sich sein Kabinettskollege Sir Stafford Cripps zu einem gefährlichen Gegenspieler zu entwickeln, im Juli 1942 muss Winston Churchill sogar einen Misstrauensantrag im Parlament überstehen.
Als sich das Kriegsglück jedoch Ende 1942 wieder den Alliierten zuneigt, ist Churchills Stellung abermals gesichert. Mit ihren militärischen Erfolgen in Nordafrika und bei Stalingrad, auf Sizilien und im Pazifik legen die Alliierten 1943 die Voraussetzungen für ihr Ziel der „Vernichtung Hitlers“.
Doch allmählich erkennt der Premier, dass Großbritannien in dem Bündnis auf Dauer nur die Rolle des Juniorpartners bleiben wird. Selbst nach einem Sieg über den gemeinsamen Feind, so ahnt er wohl, wird die frühere Weltmachtstellung seines Landes unwiderruflich verloren sein.
Und so kommt es auf der Teheraner Gipfelkonferenz der Alliierten im November 1943 für Churchill zu einer Katastrophe: Roosevelt und Stalin verbünden sich gegen ihn, setzen sich über seine Vorstellungen zum weiteren Vorgehen gegen die Achsenmächte um Berlin und Tokyo hinweg.
Zwar stimmt auch Churchill der Entscheidung zu, die lange geplante und immer wieder verschobene Invasion über den Ärmelkanal endlich im Frühsommer 1944 zu beginnen. Doch gleichzeitig wirbt er mit großem Engagement für einen zusätzlichen Angriff von Süden her, von Nordafrika und dem bereits eroberten Süditalien aus.
An einer solchen Zersplitterung der alliierten Kräfte aber haben weder Roosevelt noch Stalin Interesse. Zudem ist der Sowjetführer wohl wenig begeistert von der Vorstellung, dass sich britische und amerikanische Truppen über den Balkan oder Norditalien in Richtung Berlin vorschieben und so dem kommen den sowjetischen Vormarsch in den Weg stellen könnten. Und Roosevelt denkt nicht daran, für die Sonderwünsche der Briten seinen nunmehr wichtigsten Verbündeten zu verärgern.
Churchills Plan eines Angriffs von Süden wird verworfen, nahezu alle ihre Kräfte konzentrieren die westlichen Alliierten fortan auf das Projekt der Landung in Frankreich. Und während die Luftangriffe auf deutsche Städte ebenso wenig Wirkung zeigen wie zuvor die deutschen Bomben auf London und Coventry, steht die Rote Armee schon kurz vor den Grenzen Rumäniens und Polens.
Ein Held kann Gefahren überstehen, aber kein Nachlassen des Respekts. Nicht das brennende Coventry wird für Churchill zum fatalen Trauma – sondern Teheran. Noch während der Konferenz beginnt er sichtlich zu altern; seine Worte werden schleppend, seine Sätze unkonzentriert, seine Gesten fahrig.
Auf der Rückreise erkrankt der Geschwächte an einer Lungenentzündung, liegt fast zwei Wochen lang todkrank in einem tunesischen Krankenbett. „In den Ruinen Karthagos“ wird Churchill dieses Kapitel seiner Biografie voller Düsternis überschreiben.
„Das ist euer Sieg“
Binnen weniger Monate muss er ein sehen, dass die Zeit der Weltmacht Großbritannien vorbei ist. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch und politisch ist das bankrotte Reich zum Satelliten der triumphierenden USA geworden, die zudem nur wenig Interesse für den Fortbestand des britischen Empire aufbringen.
Zwischen dem russischen Bären und dem amerikanischen Elefanten, so er kennt er, bleibt ihm nur noch die Rolle des „armen kleinen englischen Esels“.
Immerhin: Im Februar 1945, bei der Konferenz von Jalta, überlässt Roosevelt dem Briten die Initiative in den Verhandlungen zur Zukunft Polens. Der US-Präsident ist viel mehr an dem sowjetischen Kriegseintritt gegen Japan und der Gründung der Vereinten Nationen interessiert als an der zukünftigen Verfassung jenes Landes, für das Großbritannien einst in den Krieg ein getreten ist.
Die Westalliierten machen Stalin große Zugeständnisse: Die bereits in Teheran avisierte Westverschiebung Polens wird nun endgültig beschlossen, eine kommunistisch dominierte Regierung darf die Macht übernehmen. Im Gegenzug gesteht die sowjetische Seite baldige demokratische Wahlen zu.
Churchill, der den Sowjetdiktator stets mit einer Mischung aus Misstrauen und Bewunderung betrachtet hat, muss in den folgenden Monaten mitansehen, wie der ungeliebte Verbündete den sowjetischen Machtanspruch in Polen ohne Rücksicht auf die Absprachen von Jalta durchsetzt.
Möglicherweise schwebt ihm allmählich sogar ein offener Krieg gegen Stalin vor: Jahre später wird er jedenfalls behaupten, er habe Befehl gegeben, die erbeuteten deutschen Waffen zu sammeln, um damit notfalls die Besiegten von Neuem aufrüsten zu können – freilich jetzt gegen die sowjetischen Sieger.
Allen düsteren Vorahnungen zum Trotz zieht es den alternden Krieger noch immer an die Schauplätze des Kampfes: Schon im Vorjahr, am 6. Juni 1944, hat Churchill sich die Teilnahme an der NormandieInvasion erst auf die dringende Bitte seines besorgten Königs hin versagt. Doch schon wenige Tage später reiste er doch noch nach Frankreich, nahm einen Lunch in Frontnähe, „in einem dem Feind zugekehrten Zelt“.
Und bei einem Besuch am Rhein im Frühjahr 1945 lässt er sich nun eigens an eine Eisenbahnbrücke fahren, wo gerade die Granaten fliegen – und zu Churchills Entzücken „in Vierersalven ungefähr anderthalb Kilometer von uns entfernt“ einschlagen.
Am 7. Mai unterzeichnet General Alfred Jodl im französischen Reims die deutsche Kapitulation, tags darauf ist der Krieg in Europa vorbei. Churchill bleibt bis Mittag im Bett, um seine Rede zu schreiben; er lässt nachfragen, ob in der Stadt genug Bier vorrätig sei.
Am frühen Nachmittag ziehen Tau sende vor den BuckinghamPalast, brechen in Jubel aus, als Churchill im Kreis der königlichen Familie auf dem Balkon erscheint. Um 15 Uhr gibt er an seinem Amtssitz die Siegesbotschaft über den BBC-Rundfunk bekannt und löst im Volk einen Freudentaumel aus, wie ihn London noch nicht erlebt hat.
Durch die jubelnde Menge fährt er zum Unterhaus, wo die Abgeordneten aufstehen und schreiend mit ihren Tagesordnungen winken. Churchill zuckt nur scheu mit dem
Kopf und antwortet mit einem breiten Grinsen. „Das ist euer Sieg“, ruft er vom Balkon des Gesundheitsministeriums aus. „Nein, nein“, antwortet die Masse, „das ist dein Sieg.“
Um halb elf kehrt er wieder auf den Balkon zurück. Die Menge singt „Land of Hope and Glory“, Britanniens inoffizielle Nationalhymne, und „For He’s a Jolly Good Fellow“. Erschöpft bleibt er den nächsten Vormittag im Bett.

Der bedeutendste Brite aller Zeiten
Der Stolz währt nicht lange. Im Juli, bei der Konferenz der Siegermächte in Potsdam, auf der die Alliierten vor allem den weiteren Umgang mit dem besiegten Deutschland besprechen, wird ihm wieder schmerzlich „die traurige Lage“ seines Landes bewusst, dessen weltpolitischer Einfluss dahingeschwunden ist.
In Berlin und Umgebung starrt er schockiert auf die Trümmer des Bombenkriegs, sitzt abends wie gelähmt auf der Terrasse und trinkt Whisky.
Am 26. Juli verliert er gar die Parlamentswahl in der Heimat. Die Wähler, so scheint es, trauen ihrem Helden nicht zu, die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Nachkriegszeit zu lösen. Die Tugenden des Kriegers sind im Frieden nicht mehr gefragt. Jetzt ist er wieder ein Heros ohne Schwert.
„Zu Ende die Wucht der großen Ereignisse“, wird er später diesen Moment beschreiben, „und vor mir der Sturz! Keine Macht zur Formung der Zukunft!“ Denn der Held ist nun 70 Jahre alt – und kein Krieg mehr in Sicht, in dem er sich auszeichnen könnte.
„Ich kann jetzt nicht einfach auf hören zu kämpfen“, beharrt er. Grimmig sammelt er Ehrungen, Buchhonorare, Rennpferde und bleibt zudem stur Vorsitzender der Konservativen Partei.
Durch einen erneuten Umschwung der Wählergunst wird er 1951 sogar noch einmal Premier. Und 1953, als Josef Stalin nach einem Schlaganfall stirbt, wittert Churchill seine vielleicht letzte Chance: Könnte er, wenn er schon kein Kriegsheld mehr sein darf, vielleicht ein Held des Friedens wer den? Am 11. Mai 1953, rund zwei Monate nach dem Tod des einstigen Verbündeten, hält er eine Rede, in der er nicht weniger fordert als das Ende des Kalten Krieges. Er schlägt eine Konferenz mit Stalins Nachfolgern vor, malt ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem aus.
Doch einen guten Monat später liegt er, selber von einem Schlaganfall getroffen, hilflos in seinem Landhaus in Chartwell, halbseitig gelähmt und unfähig zu sprechen. Winston Churchill stemmt sich gegen den Tod. Und als die Sprache allmählich wiederkehrt, flüstert er seinem Arzt schon wieder seine Visionen ins Ohr: „Ich habe das Gefühl, dass ich etwas tun kann, was kein anderer kann“, murmelt er. „Ich glaube, ich könnte der Welt eine neue Richtung geben.“
Der Rückzug aus dem politischen London
Schritt für Schritt kehrt er ins Leben zurück. Er lernt wie ein Kind laufen, klettert mit Mühe in die Badewanne, triumphiert, als es ihm gelingt, sich hin einzulassen. Und noch im Rollstuhl träumt er von seinem Meisterstück: „Einen Schuss will ich noch haben“, raunt er seinem Arzt zu: „Das mit den Russen will ich noch in Ordnung bringen.“ Auf dem konservativen Parteitag im Oktober 1953 hält Churchill erstmals wieder eine Rede. Im Juli des Folgejahrs schreibt er nach Moskau und schlägt ein Treffen mit dem sowjetischen Regierungschef Georgij Malenkow vor – ein Coup auf eigene Faust, ohne Konsultation des Kabinetts.
Seine Minister protestieren, und allmählich spürt Churchill, dass man versucht, ihn zum Rücktritt vom Amt des Premiers zu drängen. Und als dann selbst treue Gefolgsleute seinen Abschied verlangen, nimmt er schließlich, am 5. April 1955, seinen Hut.
Am Vorabend erweist ihm Königin Elisabeth II. die außergewöhnliche Ehre eines Besuches in seinem Amtssitz in 10 Downing Street; er empfängt sie in großer Pose, in Hofuniform mit Kniehosen, unter Andacht des Publikums und dem Blitzlichtgewitter der Fotografen.
Doch es ist der endgültige Abschied vom Heldentum. Oft lässt er sich jetzt in Schwermut sinken, schlägt sich mit dem „schwarzen Hund“ herum, wie er diese trüben Stimmungen nennt: „Ich will keine Leute mehr sehen“, sagt er. „Politik langweilt mich.“ Er wird taub, wankt unter Schlaganfällen, bricht sich mit 88 Jahren den Oberschenkel. Noch einmal aber rafft er sich auf, hebt vor der wartenden Menge noch ein mal schwach den Arm und spreizt zwei Finger zum „Victory“-Zeichen.
Schließlich, im Januar 1965, stirbt er mit 90 Jahren, nach zweiwöchigem Koma. Der Legende nach lauten die letzten Worte, die seine Umgebung noch von ihm hört: „Es ist alles so langweilig.“ Knapp 40 Jahre später werden ihn seine Landsleute in einer Abstimmung der BBC zum bedeutendsten Briten aller Zeiten wählen.