Dieser Mann predigt Gewalt und Heuchelei. Er stellt die christlichen Werte auf den Kopf und zertrümmert auch die humanistischen Tugenden, auf die die Florentiner so stolz sind. Für Niccolò Machiavelli ist Politik nicht Moral, sondern das Gegenteil davon. Man müsse bereit sein, für das Gemeinwohl Böses zu tun, erklärt er – und wird so zum kontroversesten politischen Philosophen aller Zeiten. Vielleicht ist Machiavelli ein so radikaler Theoretiker, weil er seine Karriere als Praktiker beginnt. 1498 wählt ihn der Rat von Florenz auf einen wichtigen außenpolitischen Verwaltungsposten.
Wieso der erst 29-Jährige ein so bedeutendes Amt erhält, ist nicht mehr zu klären. Es hilft ihm sicher, dass er in Rhetorik, Geschichte und Moralphilosophie geschult ist und dass seine Familie als anständig, aber einflusslos gilt – eine gute Voraussetzung, weil der Stadtrat nach der Vertreibung der allzu mächtigen Medici und den gerade beendeten wirren Jahren unter Savonarola einen republikanischen Neubeginn sucht.
Bald schon schickt die Regierung ihn auf diplomatische Missionen, etwa zum französischen König. Bei diesen Reisen kommt Machiavelli zu der Erkenntnis, dass Politik zum großen Teil Taktik und Verstellung ist. Ein Spiel, das er auch selbst lernt und perfektioniert: Denn er ist ein meisterlicher Psychologe, der genau weiß, mit welchen Worten er sein Gegenüber beeindrucken kann.
Drohungen verbrämt er etwa als großzügige Geste und bringt so einen Söldnerführer dazu, die Kürzung von Geldzahlungen hinzunehmen. Selbst die eigene Regierung täuscht er, erfindet Kontakte zu angeblich gut informierten Kreisen vor Ort, denen er seine persönlichen Analysen in den Mund legt.
Machiavelli schreibt sein Traktat „Der Fürst“
Doch er lügt und täuscht für das Gemeinwohl: Machiavelli liebt Florenz, das ständig durch fremde Herrscher bedroht wird. Der kluge Analytiker glaubt zu wissen, wie die Republik handeln muss, um ihre Freiheit zu bewahren, mit wem etwa sie Bündnisse eingehen soll. Um diese Erkenntnisse den Herrschenden in der Stadt nahezubringen, sei jedes Mittel erlaubt. Es wird das Leitmotiv seines Denkens: die Überzeugung, dass zum Erreichen eines hohen Zwecks auch unmoralische Taten zulässig sind.
Doch dann endet seine Laufbahn jäh. Im Sommer 1512 erobern spanisch-päpstliche Truppen Florenz und bringen die Medici wieder an die Macht. Die aber zweifeln an seiner Loyalität, entziehen ihm sein Amt, verdächtigen ihn sogar fälschlicherweise der Verschwörung, verhaften und foltern ihn. Als er anlässlich der Wahl des Medici-Papstes Leo X. amnestiert wird, zieht Machiavelli sich auf sein Gut nahe Florenz zurück. Dort beginnt er seine Lehren aus der Praxis aufzuzeichnen. Das Traktat, das später unter dem Titel „Der Fürst“ berühmt wird, beschreibt Politik als gnadenlosen Kampf, den derjenige gewinnt, der tut, was die Situation erfordert, ohne jeden Skrupel. Er widmet die Abhandlung den Medici, verfasst sie, um seinen Posten zurückzuerhalten. Doch eine Anstellung verschafft ihm der Text nicht. Und so schreibt er weiter, darunter auch Komödien, die etwa von der Kunst des Betrugs handeln.
Machiavelli bricht mit der humanistischen Idee
In seinem zweiten philosophischen Hauptwerk, den „Discorsi“, bricht Machiavelli mit der humanistischen Idee, in der Florentiner Republik solle Harmonie herrschen. Vielmehr halte der ständige Kampf zwischen Ober- und Unterschicht die egoistischen Begehrlichkeiten im Zaum – und garantiere auf diese Weise die so wichtige Freiheit aller. Zunächst zirkulieren seine Manuskripte als Abschriften in einem kleinen Personenkreis. Erst ab 1531 werden sie in größerer Zahl gedruckt – vier Jahre nachdem ihr Autor an einer Bauchfellentzündung gestorben ist.
Binnen nur weniger Jahrzehnte entfalten sie nun eine erstaunliche Wucht. Gelehrte in ganz Europa sind empört: Darf ein Herrscher, wie im „Fürsten“ dargelegt, im Zweifel alles tun, um seine Macht zu erhalten? Wie passt das zu den christlichen und humanistischen Grundsätzen? Und obwohl Machiavelli auch viele Vorstellungen propagiert, die zu Grundpfeilern der Demokratie werden (so etwa das Prinzip, dass in einer Republik alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind), steht sein Name bis heute für kalte Machtpolitik.