Frauenheld Eitel, lüstern, skrupellos: Giacomo Casanovas Aufstieg zum größten Verführer aller Zeiten

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Giacomo Casanova im Seitenprofil, im Alter von 63 Jahren
Giacomo Casanova (1725 – 1798) hat viele Talente; er ist Jurist, Schriftsteller, Dichter, Philosoph, Alchemist, Diplomat und Geheimagent. Seine größte Begabung aber verwandelt seinen Namen in das Synonym für einen Verführer: Casanova liebt die Frauen (nachträglich koloriertes Porträt des Venezianers im Alter von 63 Jahren)
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Giacomo Casanova, 1725 in Venedig geboren, steigt mit Glück zum Liebling der feinen Gesellschaft empor – und rühmt sich seiner unerhörten Erfolge beim weiblichen Geschlecht. Doch mitunter zieht er auch den Zorn der Mächtigen auf sich und muss fluchtartig das Weite suchen

Spiegel, überall Spiegel. Sie bedecken Wände, Decken, Fußböden. Sie spiegeln die Kronleuchter, den weißen Marmorkamin mit den chinesischen Kacheln, die Damen und Herren in erregter Verschlingung zeigen. Sie spiegeln die Sofas, die perfekt passenden Armsessel, die Wandtäfelungen, die mit Goldstaub belegt sind oder mit Blumen und Arabesken bemalt. 

Sie spiegeln die Geheimtüren zur Ankleide und zum Boudoir, die Tür zum water closet nach neuester englischer Mode, spiegeln die drehbare Anrichte in der Wand, durch die ein unsichtbarer Diener das Liebesmahl reichen wird - das Wildbret, den Stör, die Trüffeln, die Austern; dazu nichts als Burgunder und Champagner. Und sie spiegeln Casanova, der hier zur Verführung schreiten will.

Eigens für diese Verführung hat er fünf Zimmer gemietet und die 100 Zechinen im voraus gezahlt: "Ich musste rasch handeln, denn mir gehörte kein Haus." Fünf, sechs Stunden lang ist er in der Gondel durch das Viertel San Marco geglitten auf der Suche nach dem geeigneten Ort für seine Inszenierung, hat Palazzo um Palazzo besichtigt und schließlich den vornehmsten und teuersten ausgewählt. Er hat bei der Putzmacherin Pantoffeln und eine Nachthaube mit doppelten Spitzen im Alençonstich gekauft - und, um nichts dem Zufall zu überlassen, schon einmal das komplette Diner vorgekostet.

Die einsame Generalprobe war ein voller Erfolg. So blieb noch Zeit, für den Abend mit der Dame zusätzlich Sardellen und hart gekochte Eier zu bestellen, dazu Obst und vor allem Eis. Außerdem bittere Orangen für den Punsch. Jetzt schaut Casanova in den Spiegel, bewundert seine blonde Perücke, seine braunen Augen, seine 1,87 Meter hohe Gestalt. Spiegel sind Brennglas des Lebens, Tapete dieser Rokoko-Zeit, Folie eines selbstverliebten Jahrhunderts, das nichts so schätzt wie den eigenen Anblick. Sie machen die Welt zum gerahmten Bild, zur glatten Unendlichkeit; sie können täuschen und Wahrheiten sagen.

Schon das Kind übt an ihnen, sich von außen zu sehen - mit dem Blick der Mutter, des Publikums, der Gesellschaft, deren Ansprüche es erfüllt. Auch Casanova ist ein artiges Kind dieser Gesellschaft: ihrer Eitelkeit, ihrer Bühnenlust, ihrer Leichtlebigkeit und ihres Wunderglaubens. Und so ist das, was Casanova in den Spiegeln sieht, nicht nur er selbst - sondern vielmehr seine Zeit, seine Welt, seine Stadt.

Casanova ist von sich selbst "entzückt"

Die Hauptstadt der Spiegel heißt: Venedig. In den Werkstätten von Murano, der Insel im Nordosten der Lagune, entstehen prunkvoll gerahmte Spiegel. Hier beschichtet man seit dem 14. Jahrhundert Glas mit Quecksilber und einer dünnen Zinnfolie. So kostbar waren einst die Geheimnisse der venezianischen Glasmacher, dass es ihnen bei Todesstrafe verboten war, die Lagune zu verlassen. In den Spiegeln aus Murano kontrolliert ganz Europa seine Wirkung.

Auch Casanova prüft sich - und freut sich "des angenehmen Eindrucks", den er auf sich selbst macht. "Ich war von mir entzückt." Ausgerechnet auf der Spiegelinsel Murano hat Casanova seine Geliebte für den Abend gefunden. Sie ist Nonne und stammt aus vornehmer Familie. Im Kloster hat er sie erspäht - und es war ihm eine Wonne, ihr sein "Verlangen zu Füßen zu legen". Sie ist groß, blauäugig und bleich; ihr Haar ist kastanienbraun. Und ihr vollkommener Arm zeigt nicht eine einzige Ader.

Mit drei Worten hat er ihr gleich sein Leben beschrieben: "Theater, Gesellschaft und Spielsäle". Sie haben das bekannte Spiel gespielt, die rituellen süßen Lügen geflüstert. "Wenn ich noch lange auf mein Glück warten muss", hat er ihr gesagt, "kann ich nicht mehr für mein Leben garantieren." Und: "Du bist zwar nicht meine erste Liebe, wirst aber bestimmt meine letzte sein." Casanova, so viel steht fest, beherrscht die Kunst des galanten Dialogs. Und dazu jene Mimik, die, wie er weiß, "ein wohlerzogener Mann aufsetzt, wenn er verliebt ist und die erhofften Gunstbeweise zu erlangen sucht".

Die Angst, nicht geliebt zu werden, verfolgt Casanova ständig

Giacomo Girolamo Casanova ist ein Kind der Bühne - geboren im April 1725 in Venedigs Calle della Commedia, gleich beim Teatro San Samuele. Seine Eltern sind Schauspieler, und mit 20 hat er selbst auf Korfu Theatervorstellungen organisiert - und darüber fast vergessen, "an die Liebe zu denken". Er hat gelernt, dem Publikum zu gefallen - aber auch, es zu fürchten. Er liebt "Theaterluft, artiges Getändel, kleine Bologneser Verstellungskünste". Er arrangiert Begegnungen als "Bühnenstücke". Und hat dabei immer die "Angst, ausgepfiffen zu werden".

Sein Venedig ist ja nicht nur die Stadt der Spiegel, sondern auch die der Masken. Hier ist der schöne Schein nicht Oberfläche, sondern Substanz. Sieben Bühnen buhlen um die Gunst des Publikums - und das stiehlt den Akteuren oft genug die Schau: In den Logen führen die Patrizier lautstark ihre Liebeshändel auf und spinnen ihre Intrigen, schweigen auch nicht, wenn der Sänger auf der Opernbühne sein Rezitativ beginnt.

Das gemeine Volk steht für ein Drittel des Logenpreises im Parkett. Dort trinkt es Kaffee, schimpft, streitet und lacht - und duckt sich unter den Geschossen, die von den Plätzen der Patrizier herabregnen: den Kerzenstümpfen, den Tomaten und faulen Äpfeln, der Spucke.

Gaukler vor Publikum, zwei Männer machen Handstand, ein Mann präsentiert eine Puppe
Die einfachen Venezianer erfreuen sich an den Possen der Komödianten und der Artistik der Gaukler, vorgeführt auf den Plätzen der Stadt (Ölgemälde von Giandomenico Tiepolo, um 1793). Casanova aber verachtet das Volk – er will zur Patrizierkaste gehören
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Die Bühnenautoren, Matadoren der öffentlichen Meinung, verstricken sich in Schaukämpfe, an denen die ganze Republik Anteil nimmt. Da ist zum einen Carlo Goldoni, der Advokat, der lebensnahe Figuren und realistische Sprache schätzt. Sein Gegner ist Pietro Chiari, ein ehemaliger Jesuit, der mit romantischen Versdramen und fantastischen Possen vor allem die Damen erfreut.

Und gegen beide tritt Carlo Gozzi in die Arena, der mit Märchen und Zauberstücken die Zuschauer in Bann schlägt - und dabei keine Gelegenheit auslässt, eine Spitze gegen Goldoni oder Chiari unterzubringen. Nicht nur die Schreiber hassen einander aus ganzer Seele, persiflieren einander nach Herzenslust. Auch die Schauspieler ergreifen Partei: So parodieren die Akteure des Teatro Sant'Angelo, das Chiaris Stücke gibt, den Stil, der in Goldonis Stammhaus San Samuele gepflegt wird.

Und das Publikum mischt handgreiflich mit, trägt seine Günstlinge nach gelungenen Premieren im Triumph durch die Gassen, zieht gegen die Feinde mit bezahlten Pfeif-Kommandos in die Schlacht. Tausende Gondolieri stehen als nebenberufliche Claqueure bereit, nach den Befehlen der Impresarios entfesselt zu applaudieren und zur Not auch ein schwaches Stück zum Erfolg zu schreien.

Die Venezianer inszenieren sich am liebsten selbst

Es ist ein zerstreutes Publikum, dem nur das Neueste neu genug ist. So musste selbst ein Genie wie Antonio Vivaldi, lange Jahre Impresario am Teatro Sant' Angelo und Hauskomponist der Venezianer, ständig nachlegen; musste im Akkord komponieren, um den unbezähmbaren Hunger nach Ungehörtem zu stillen: Der "rotblonde Priester" arbeitete Tag und Nacht, warf Opern und Konzerte in stürmischer Handschrift und rasender Geschwindigkeit aufs Papier.

Oft war er schneller fertig, als ein Kopist zum Abschreiben der Noten benötigte, produzierte nach eigener Auskunft 94 Opern, von denen rund 50 erhalten bleiben. Doch so wenig taugt in den Ohren dieses untreuen Publikums die Oper von gestern, dass nach Vivaldis Tod 1741 sein Werk ebenso schnell vergessen wird, wie es entstand.

Ölgemälde von Antonio Vivaldi mit Notenblatt
Der venezianische Komponist Antonio Vivaldi (1678-1741) ist äußerst produktiv: Er erschafft neben vielen anderen Werken allein 94 Opern. Das Publikum in Venedig aber ist unersättlich: Ständig verlangt es nach neuen, spektakulären Bühnenstücken 
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Aber am liebsten inszenieren die Venezianer sich selbst - in den Cafés wie dem "Quadro" oder dem "Venezia trionfante" auf dem Markusplatz. Überall große Oper: der Dauergesang der Krämer, der Handwerker, der Gondelfahrer. Die Rezitative der Geschichtenerzähler, die Tremoli der Prediger, die Trommelwirbel, die an den Ständen der Zahnreißer das Schreien der Patienten übertönen. Überall Gala: die ausladenden Krinolinen, die nur knapp durch die engen Gassen passen. Die grandios aufgebauschten, bunt dekorierten Perücken, welche die Haartürme Rest-Europas leicht überragen.

Der Alltag ist freilich nur Probe für den Höhepunkt der Saison: den Karneval, der fast das halbe Jahr überdauert. Von Oktober bis Aschermittwoch, unterbrochen nur von einer neuntägigen Pause vor Weihnachten, tragen die Bewohner ihre Masken, die die Kluft zwischen Patriziern und Volk verwischen. Sie verstecken und entblößen sich unter dem zweiten Gesicht, sitzen mit ihren Vogelnasen auch bei der Dogenwahl, beim Einzug des Patriarchen, selbst in der Kirche. Und den Rest der Zeit, beim Fest der heiligen Marta im Juli, zum Himmelfahrtstag oder einem anderen der 50 Feste in Venedigs Kalender machen sie bella figura, taumeln auf illuminierten Gondeln durch die Nächte, tanzen auf der Giudecca die Furlana.

Zwar ist Casanova armer Leute Kind - doch er strebt nach Höherem

Doch Casanova ist der Alltag, die Welt der kleinen Leute, der er entstammt, ein Gräuel. Er träumt von Größe. Er will zu denen gehören, die er geblendet bestaunt: zu den nobili, den Patriziern, die nur 3500 der 140 000 Einwohner Venedigs ausmachen. Zwar ist er selbst "armer Leute Kind", doch seine Bildung erhebt ihn über die Lohnarbeit, "die vom Pöbel ausgeübt" wird. Mit neun Jahren ist er an der Universität Padua immatrikuliert worden, hat mit 16 Jahren die vier niederen geistlichen Weihen erhalten und mit 17 den Doktorgrad beider Rechte. Aber sein Leben lang muss er um Beifall kämpfen, um Zugehörigkeit, um Anerkennung durch die Anerkannten. "Ich wollte mich nicht aufdrängen", wird er zum Ende seiner Tage bekennen, "doch ich wollte eine Rolle spielen." Die Elite ist eine Festung für einen jungen Mann, der weder Geld besitzt noch "das geringste Selbstvertrauen".

Eine Festung, die Casanova wütend berennt: Ziellose Monate hat er in niederen Diensten eines Galeerendirektors auf Korfu verbracht, eines Bischofs in Kalabrien, eines Kardinals in Rom. Er hat sich als Violinist im Teatro San Samuele durchgeschlagen; ist nachts vor Langeweile mit den Kollegen durch Weinschenken und Bordelle gestreift, hat Huren um ihren Lohn und Bürger um ihren Schlaf gebracht. Es war eine Herde verzweifelter Rowdys, die da Gondeln losband und Denkmäler umstürzte, Sturmglocken bei Windstille läutete und für Kerngesunde den Priester zur letzten Ölung bestellte.

Ein Senator verhilft Casanova zum glücklichen Aufstieg

Doch eines Tages, am 21. April 1746, hat sich sein Schicksal gefügt. Der ehrwürdige Senator Matteo Bragadin, dem er zufällig bei einem Schlaganfall zur Seite stand, hat den 21-jährigen Tunichtgut an Sohnes Statt angenommen: "Wer immer du seist", hat er gesagt, "ich verdanke dir mein Leben." Dafür verdankt Casanova dem Patrizier jetzt Kost und Logis, einen Diener, eine Gondel, zehn Dukaten monatliches Taschengeld und das Versprechen lebenslanger Fürsorge. "Das", frohlockt Casanova, "ist die ganze Geschichte meiner Metamorphose und der glücklichen Zeit, in der ich vom schäbigen Stand eines Geigenspielers zu dem eines vornehmen Herrn aufstieg." Vornehm steht er nun am Denkmal Bartolomeo Colleonis, des großen Heerführers der Renaissance, und wartet auf seine schöne Nonne. Die Nacht ist kalt, aber windstill, und Casanova genießt die Vorfreude auf sein Rendezvous. Der steinerne Haudegen schaut grimmig in die Ferne, sein Ross hebt den Huf, bereit für ungeschlagene Schlachten. Doch Casanova würdigt ihn keines Blickes.

Denn die Tage Colleonis sind lange vorbei. Längst ist die Serenissima keine Macht mehr. Seit der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich 1453 ist Venedigs Herrschaft im östlichen Mittelmeer stetig geschrumpft. Die Entdeckung des Seewegs nach Indien hat den Atlantik zum Hauptschauplatz des Welthandels gemacht - und in Casanovas Jahrhundert Venedigs mediterrane Frachter zur Folklore-Flotte degradiert.

Die Stadt, die einst die Wellen beherrschte, hält sich jetzt mit der Produktion von Luxusgütern wie Schmuck, Glas und Seide über Wasser. Zwar läuft das Geschäft, doch in den Erbfolgekriegen und Koalitions-Karussells der europäischen Machtpolitik spielt Venedig keine Rolle mehr.

Ölgemälde mit knapp zwei dutzend Männer, Frauen und Kinder, der Familie des venezianischen Prokurators Luigi Pisani
Die venezianischen Patrizier ahmen die Rokoko-Pracht des französischen Hofes nach: Gold und Spitze schmücken die Gewänder, die Herren tragen Rouge und gelockte Perücken, wie die Familie des Prokurators Luigi Pisani, eines Zeitgenossen Casanovas
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Der Doge, einst Herrscher eines stolzen Reiches, ist zum Darsteller vergangener Macht abgesunken, der nur um des Beifalls willen noch in die Arena tritt. Jeder seiner Schritte steht unter Aufsicht der Staatsinquisitoren, die Tag und Nacht in seine Gemächer eindringen, ihn befragen oder ihm Weisungen erteilen können. Nur in ihrem Beisein darf er Amtsbriefe schreiben oder Gesandte empfangen. Selbst für eine Kur auf dem Festland braucht er die Genehmigung des Großen Rates, dessen Entschlüsse alle seine Taten regieren.

Doch am Himmelfahrtstag fährt er noch einmal mit der Prachtgaleere, dem bucintoro, auf die Adria hinaus, um die symbolische Hochzeit der Serenissima mit dem Meer zu feiern.

Noch einmal glänzt das Schiff dann vom Gold der Voluten und Skulpturen, wehen am Bug die erbeuteten Türkenfahnen aus größeren Zeiten. Noch einmal lässt der Doge den goldenen Vermählungsring ins Wasser gleiten und ruft: "Wir vermählen uns mit dir im Namen wirklicher und dauernder Herrschaft." Und noch einmal steigt Jubel von den Gondeln auf, von den Begleitschiffen, von der Menge am Ufer.

Casanova scheint den Untergang Venedigs vorherzusehen

1753 schaut auch Casanova von einem Boot aus zu - und es ist, als sehe er schon den nahenden Untergang der Republik voraus: "Beim leisesten ungünstigen Wind könnte das Schiff kentern und der Doge ertrinken, zusammen mit der ganzen erlauchten Signoria, mit den Botschaftern und auch mit dem Nuntius des Papstes", malt er sich aus. "Um das Unglück vollzumachen, brächte ein solcher tragischer Zwischenfall ganz Europa zum Lachen, denn man würde sagen, der Doge von Venedig habe die Ehe endlich vollzogen." So ist die glorreiche Vergangenheit Venedigs nur noch ein Gaukelspiel, in dem die Serenissima die Seemacht mimt, die sie einst war.

Vom Knotenpunkt für Handel und Wandel ist die Stadt zur Bühne eines Stücks namens "Venedig" geworden, zu dessen Bewunderung Jahr für Jahr Zehntausende Besucher aus ganz Europa anreisen, die neuen Reiseführer von Keyßler oder Volkmann unter dem Arm.

Ölgemälde tanzender Männer und Frauen, teils mit schwarzen Masken vor den Augen
Das leichtfüßige Menuett ist der Lieblingstanz des Rokoko. Wie alle eleganten Kavaliere beherrscht auch Casanova die Hüpfer und Schrittfolgen im Dreivierteltakt (Ölbild von Giandomenico Tiepolo, 1756)
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Auch Casanova trägt eine Maske - und die finstere Gestalt, die sich jetzt in einer zweirudrigen Gondel dem Wartenden nähert, ebenfalls. Der Fremde steigt aus und schreitet bedrohlich auf das Standbild zu. Er umkurvt die Statue - und streckt eine Frauenhand aus, die Casanovas Unbehagen fortwischt: "Ich erkannte meinen als Mann verkleideten Engel." Eingehakt, ohne ein Wort zu sprechen, überquert Casanova mit der Nonne den Markusplatz. Sie betreten das Haus, wenige Schritte hinter dem Teatro San Moisè. Die Nonne ist entzückt von der Bühne, die Casanova so trefflich eingerichtet hat. Verliebt betrachtet sie sich in dem Spiegelkabinett, das sie von hundert Seiten gleichzeitig zeigt, beglänzt von zahllosen Kerzen.

Es stört Casanova nicht, dass seine Schöne bereits einen anderen Geliebten hat. Er bewundert vielmehr ihr Kostüm, das der Rivale offenbar bezahlt hat - die rosenfarbene, mit Goldplättchen übersäte Jacke aus kurz geschorenem Samt, ihre reich bestickte Weste, ihren Umhang aus schwarzer Seidenspitze. Er bestaunt ihre Hosen aus schwarzem Atlas, ihre Brillant-Ohrringe, ihren Solitär am kleinen Finger.

Casanova fliegt "vor Liebe glühend in ihre heißen Arme"

Jetzt erst verschwindet sie, um die Maske abzulegen, kehrt nach einer Viertelstunde zurück. Die Haare, hinter dem Kopf zurückgebunden, fallen in langem Schweif bis zu den Kniekehlen; die Schläfenlocken rollen über die Wangen. Und Casanova ist vor Andacht "dem Umsinken nahe". Nach dem Abendessen und dem Punsch drängt der Verführer zur Tat. Im Schlafzimmer, von zwölf flackernden Kerzen erleuchtet, fliegt er "vor Liebe glühend in ihre heißen Arme". Seine Bilanz, die er mit peniblem Stolz notiert: "sieben Stunden". Dazu "eine ungeahnte Vielfalt an Seufzern, Verzückungen, Ausbrüchen und Sinnesempfindungen".

Zwei Tage später beobachtet er, wie die Gondel des französischen Gesandten François-Joachim de Pierre de Bernis am Kloster anlegt. Eine maskierte Gestalt steigt aus und geht auf die Pforte zu. Casanova zweifelt nicht: Der geheimnisvolle Freund seiner Nonne ist der Botschafter selbst. Casanova kehrt in die Stadt zurück, "höchst befriedigt über die Entdeckung": Dass seine Gespielin die Geliebte eines so bedeutenden Herrn ist, macht sie ihm umso wertvoller.

Denn Casanova imitiert nicht nur Sitten und Geschmack der Schicht, die er bewundert, sondern auch deren Wünsche. Was die Reichen und Mächtigen begehren, die er nachahmt, das setzt auch er sich in den Kopf. "Wie fast alle Libertins", wird sein moderner Biograf Luigi Bàccolo schreiben, "ist er ein Konformist, der sich mehr von den herrschenden Ideen als von seiner eigenen Fantasie inspirieren lässt." Casanova ist entzückt, dass der illustre Nebenbuhler ihm für das nächste Liebesspiel mit der Nonne sogar die eigene Villa zur Verfügung stellt. Er ist begeistert von den anregenden Gemälden an den Wänden, von den Folianten voller lasziver Stiche.

Casanova mit zwei Frauen im Bett
Casanova rühmt sich gern seiner Liebeskünste: "Wie sollte ich, statt mich zu schämen, dabei nicht stolz sein?" Mitunter vergnügt er sich auch mit zwei Damen gleichzeitig
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Und mit frivolem Schauder goutiert er die Nonnentracht, in der seine Geliebte ihm jetzt entgegentritt: "Mein Engel, lass mich dir auf der Stelle huldigen." "Dein Wille geschehe", haucht die Dame in perfektem Latein und lässt sich auf das Sofa fallen.

Am Weihnachtsabend steckt sie Casanova einen Brief zu. Ihr vornehmer Freund habe darauf bestanden, die Liebesfeiern in seiner Villa von einer Geheimkammer aus zu beobachten. Dort haben nämlich die Wände Augen, durch geschnitzte Blumen getarnt. Auch zu Silvester werde er wieder zur Stelle sein, um die Lust seiner Freundin zu belauschen. Ob Casanova etwas dagegen habe? Casanova ist alles andere als empört. Im Gegenteil: Er fühlt sich geschmeichelt.

Er, der gelernte Geiger, ist schließlich ein Virtuose, der seine Griffe beherrscht. "Wie sollte ich, statt mich zu schämen, dabei nicht stolz sein? Kann der Mann über seinen eigenen Ruhm erröten?" Denn auch die Liebe ist zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein Schauspiel; ein süßer Betrug, in dem es keine Opfer gibt. Man verliebt sich so beiläufig, wie man Makkaroni bestellt, fordert einander zum Sex auf wie zum Menuett. Seitensprünge sind Pflicht, ein Ehemann ohne Mätresse und eine Ehefrau ohne Liebhaber traurige Versager.

Ein Herr, der es wagt, mit seiner eigenen Gattin auf der Piazza zu promenieren, macht sich zur Witzfigur. Die Abgründe zwischen den Geschlechtern, in die sich tragisch stürzen ließe, sind eingeebnet: Herren wie Damen prunken mit Schmuck, Puder, Rouge. Eifersucht ist, wie es Venedigs Theater-König Goldoni formuliert, "eine ordinäre und veraltete Leidenschaft".

Erotische Leistungen werden in Venedig öffentlich diskutiert

Und die 10 000 Huren, die von der Obrigkeit unbehelligt zum Karneval die Gassen durchstreifen, ein Sträußchen hinter dem Ohr, sind zugkräftiger Bestandteil venezianischer Folklore. Eheliche Pflichten überlassen die Gatten bereitwillig dem Nebenbuhler - und die tägliche Fürsorge dem cicisbeo, einem jungen Kavalier aus gutem Haus, dem es gefällt, seiner Herrin Tag und Nacht ohne Gegenleistung zu Diensten zu sein: Er folgt ihr wie ein Schatten, berät sie bei ihren mehrstündigen Friseursitzungen, bei der Wahl von Handtäschchen und Parfum, begleitet ihre Sänfte, versorgt auch das Hündchen. Bringt ihr morgens Schokolade und die ersten Besucher ans Bett. Leistet ihr Gesellschaft bei der Morgentoilette.

Die Gesellschaft diskutiert erotische Leistungen wie Theaterpremieren - und so fühlt sich auch Casanova seinem Publikum verpflichtet, ohne es zu kennen: "Sei gewiss", antwortet er also seiner Geliebten, "dass ich meine Rolle mit Vollendung spielen werde." Und er legt sich ins Zeug. Er macht den Silvesterabend zu einer Galavorstellung.

Fantasievolle Verkleidungen gehören bei Casanova zum Liebesspiel 

Vor dem Auftritt schlürft er das Weiße von sechs frischen Eiern - denn sollte er versagen, "würde ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen". Seine Geliebte trägt ein gestepptes himmelblaues Gewand, Brillantknöpfe an den Ohren und auf den Wangen viel Rouge nach Art der Versailler Hofdamen, das Erregung vorspiegeln soll.

Mitten im Gefecht zieht sie sich um, trägt nun ein goldbesticktes Hausgewand aus indischem Musselin und eine Nachthaube, die "einer Königin würdig" ist. Casanova wickelt ein Baumwolltuch als Turban um seinen Kopf, was ihm "das Furcht erregende Aussehen eines asiatischen Despoten in seinem Serail" verleiht - und "bezwingt" seine "Sultanin" nach "allen Regeln der Kunst".

Der Botschafter, das Auge ans Wandloch gepresst, kommt ohne Zweifel auf seine Kosten. Das Paar exerziert Stellungen, die der Renaissance-Pornograf Pietro Aretino empfiehlt, würzt sie mit anmutigen Variationen, umschmeichelt einander mit improvisierten Versen.

Der Reigen der Figuren - die "Kerze", das "Andreaskreuz", die "Promenade" - dauert bis zum Morgen. Zwischen den Akten stellen sie sich vor dem großen Wandspiegel in Positur: "Bei der Bewunderung unserer schönen Spiegelbilder überkam uns die Lust, sie zu besitzen." Tage später, bei einem gemeinsamen Abendessen, spart der Botschafter nicht mit Beifall. Er werde den Könner, verspricht er, beim Hof von Versailles einführen.

Casanova umarmt und küsst eine Frau in einer Kutsche
In seinen Memoiren beschreibt Casanova auch, wie er eine Dame in einer Kutsche verführt: "Sie macht eine Anstrengung; aber ich sage ihr, wenn sie sich nicht ohnmächtig stelle, werde sich der Kutscher umdrehen und alles sehen."
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Anderthalb Jahre danach, am 26. Juli 1755, fällt der Vorhang. Bei Tagesanbruch steht der messer grande, der oberste Büttel der Republik, in Casanovas Schlafzimmer, um ihn zu verhaften. Weshalb, kann Casanova nur vermuten: Einer der drei Inquisitoren, die seine Verhaftung befohlen haben, ist der Besitzer des Teatro Sant'Angelo, das die Komödien Chiaris spielt. Und Casanova hat, um einem Patrizier zu gefallen, die Anti-Chiari-Partei mit bissigen Alexandriner-Versen unterstützt.

Jetzt, mutmaßt Casanova, rächt sich der mächtige Mann für die Kritik an seinem Dichter. Gewissheit bleibt ihm verwehrt: Es gibt keine Gerichtsverhandlung, keine Erklärung. Nur einen Spitzelbericht über Casanovas "Falschspielerei", seine "Freigeisterei" und "seine Geschicklichkeit, sich bei den Leuten beliebt zu machen und sie zu betrügen".

Denn Venedigs Frivolität vollzieht sich in strenger Ordnung. Aufrührer schüchtert die Republik mit Verbannungen, Foltern und Todesstrafen ein; mit den roten Laternen an den Gondeln der Staatsinquisitoren; mit einem Heer von Spitzeln, die Tag und Nacht Gassen und Kaffeehäuser durchkämmen. "Löwenmäuler" heißen die grimmigen Marmorgesichter mit den Briefschlitzen, die an den Mauern der Lagunenstadt die Denunziationen der Bürger erwarten.

Im Gefängnis leidet Casanova unter Hitze, Flöhen und Hoffnungslosigkeit

Wen Venedigs Zorn trifft, der wird zur Galeerenfron verurteilt und auf der Piazzetta vor dem Dogenpalast gebrandmarkt, erhängt oder im Kanal ertränkt. Vielleicht landet er auch im Gefängnis, in den 19 unterirdischen Kerkern der Stadt. Oder unter den Bleidächern im Dogenpalast. So ergeht es Casanova.

Er lässt sich fürs Gefängnis rasieren, wirft sich in Spitzenhemd und Ausgehfrack, "als ginge es auf eine Hochzeit oder einen Ball". In den Bleikammern aber windet er sich unter Krämpfen und Hämorrhoiden. Er krümmt sich unter der niedrigen Decke, die ihn zum Buckel zwingt. Er leidet unter Hitze und Flöhen, Finsternis und Delirien. Die Ausläufer des Erdbebens von Lissabon, die am Allerheiligentag 1755 auch Venedig erzittern lassen, gaukeln ihm Befreiung vor - "der niederbrechende Palazzo", fantasiert er, "hätte mich ohne den geringsten Schaden gesund, heil und frei auf das gute Pflaster des Markusplatzes werfen sollen".

Ein gefallener Mönch hilft dem Gefangenen bei der Flucht

Ein anderes Mal gibt der Wahn ihm ein, ein Toter liege neben ihm - dabei ist es nur sein eigener eingeschlafener Arm. Auf dem Dachboden, wo er sich täglich für eine halbe Stunde die Füße vertreten darf, findet er eine Eisenstange, kaum einen halben Meter lang. Er schmuggelt sie in seine Zelle, versteckt sie in seinem Sessel, wetzt sie mit einem Marmorbrocken zum Spieß.

Brüder Grimm, gemalt von Elisabeth Jerichau-Baumann

Deutsche Märchen Was hinter den Albtraumstoffen der Brüder Grimm steckt

Mit ihrer Sammlung alter Geschichten wollten Jacob und Wilhelm Grimm ein Fenster in die Vergangenheit öffnen. Einige Großdenker ihrer Zeit ­spotteten darüber – doch die Märchen machten die Brüder weltberühmt. Und bis heute werfen die Gruselgeschichten Fragen auf

In wochenlanger Arbeit bricht er damit den Fußboden auf: Nachts leuchtet ihm ein Docht aus Deckenstoff, gespeist mit Salatöl aus einem Suppennapf. Zum Anzünden nimmt er Zunder, den ihm sein Schneider zum Schutz des Stoffs vor Achselschweiß in den Rockärmel genäht hat, sowie Schwefel, den er zur Linderung seines Hautausschlags bestellt, und Flintstein, den ihm der Wärter gegen angebliche Zahnschmerzen besorgt hat. In letzter Minute scheitert die Flucht: Kurz vor dem geplanten Ausbruch wird er in eine neue Zelle verlegt. Dort machen unzuverlässige Zellengenossen den Plan zum unmöglichen Hasardspiel.

Da seine Zelle jetzt ständig durchsucht wird, tut er sich schließlich mit einem gefallenen Mönch aus der Nachbarzelle zusammen, dem er im Rücken einer Bibel sein Stemmeisen zukommen lässt: Dem Mönch gelingt es, die Decke seiner Zelle zu durchstoßen und von oben auch Casanova zu befreien.

Casanova mit Bart bei der Flucht vom Dach eines Gefängnis' in Venedig
Anfang November 1756, nach 15 Monaten Haft in Venedigs bleigedecktem Gefängnis, gelingt Casanova die Flucht: "Kniend umklammerte ich den Spieß, stieß ihn schräg in die Verbindungsstelle zweier Bleiplatten und bog sie hoch, bis ich zum Dachfirst hinaufsteigen konnte."
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In der Nacht zum 1. November 1756, 15 Monate nach seiner Verhaftung, klettert Casanova mit seinem Komplizen auf den Dachboden des Gefängnisses; von dort aus dringen sie bis zum verschlossenen Hauptportal des Dogenpalastes vor - und wieder hilft ihm die Bühnenkunst. Er legt das Spitzenhemd an, setzt seinen goldbetressten spanischen Dreispitz mit dem Federbusch auf, wirft dem Mönch seinen Mantel über und tritt ans Fenster des Flurs.

Passanten, die glauben, dort sei ein Edelmann irrtümlich eingeschlossen worden, benachrichtigen einen Wächter, der dem Ausbrecherpaar die Tür öffnet. Casanova springt in eine Gondel, lässt sich ans Festland rudern, flieht über Bozen, Augsburg und Straßburg nach Paris. Von nun an durchstreift er wie ein Wanderschauspieler Europa. Der Ruhm seiner tollkühnen Flucht, seiner Eleganz, seiner geschliffenen Konversation eilt ihm voraus. Fieberhaft sucht er nach Auskommen und Ansehen, ringt um den Applaus der "gebildeten Nationen".

1759 legt er sich den Prunknamen "Chevalier de Seingalt" zu - sein gutes Recht, wie er findet: "Das Alphabet ist jedermanns Eigentum; das ist unbestreitbar." 18 Jahre lang glänzt er in Paris, in Sankt Petersburg, Warschau, London, Madrid. Er spricht bei Friedrich dem Großen vor, umgarnt die Zarin Katharina und ist auch von der Partie, wenn der König von Neapel zum Zeitvertreib Bucklige durch seine Säle schleudert.

Casanova zieht von Hof zu Hof – und zeugt viele Kinder

Er liebt das Gesellschafts-Ballett des Spätabsolutismus, das über den Kontinent tanzt und ihm Hauptrollen auf den Leib schreibt - die er in tadelloser Haltung ausfüllt: "Meine Ringe, meine Tabaksdosen, die Ketten meiner diamantbesetzten Uhren, dazu mein mit Diamanten und Rubinen geschmücktes Kreuz, das ich an einem blutroten Band um den Hals trug, machten mich zu einer bedeutenden Persönlichkeit." Der französische Ex-Gesandte De Bernis, einst begeisterter Zuschauer seiner venezianischen Erotik-Show, verhilft ihm zu einem Direktorenposten bei der französischen Staatslotterie.

Casanova gründet in Paris eine Seidenmanufaktur, reüssiert als Bergbau-Experte. Ersinnt "Projekte", die er nie verwirklicht: eine Tabakfabrik in Madrid, eine Seifenfabrik in Warschau, eine Seidenraupenzucht in Russland, einen Kanal vom Mittelmeer zum Atlantik, die Pyrenäen entlang. Mit seinem Portfolio zieht er von Hof zu Hof: "Ich weiß über Bergwerke, Mineralien, Salz, Schwefel und fast alles, was diese Bereiche betrifft, Bescheid", rühmt er sich. "Ich habe Manufakturen für Kupfer, Malachit und Salpeter gebaut.

Ich habe einen Plan, die Züchtung von Schafen zu verbessern, um ihre Wolle zu vervollkommnen." Und er zeugt Kinder, wo immer er auftaucht: "Ich lachte innerlich darüber", wird er sich erinnern, "dass ich überall in Europa Söhnen von mir begegnete." Doch immer wieder Verhaftungen, Vollstreckungsbefehle. Schuldgefängnisse in Paris, Stuttgart und Köln, Ausweisungen aus Wien, Turin und Florenz, behördliche Demütigungen in Rom und Barcelona.

Die Haft wegen Waffenbesitzes in Madrid; die hastigen Abreisen nach einem Duell in Polen, nach einem geplatzten Wechsel in London. Aber auch die Hilfe mächtiger Männer, die ihn rettet. Und immer wieder die Gunst der Frauen, die sein hungriges Ego stärken.

Knapp 120 Frauen will der Verführer geliebt haben 

Dass er in einem Jahrhundert lebt, das die Beziehung der Geschlechter als elegantes Spiel ansieht, erleichtert ihm seine Verführungen - zumal die sich für diese freizügige Epoche durchaus im Rahmen halten: Was sind schon die knapp 120 Frauen in Casanovas 40 Jahre umspannender Autobiografie - drei pro Jahr! - gegen die 16 527 Liebhaber, welche die illustre Madame Dubois, Schauspielerin an der Comédie Française, in 20 Jahren katalogisiert haben soll?

Denn die Zeit träumt von Machbarkeit. Es ist ja das Zeitalter, das Dampfkraft und Elektrizität hervorbringt, die Ballonfahrt und die moderne Chemie. Das Theater führt vor, wie man Unmögliches wahr macht: Hier steigen Geister und Schatten ins gedämpfte Bühnenlicht, schweben Götter und Genien durch die Luft. Meere wogen, Schiffe schlingern, Häuser bersten. Vulkane brechen aus, Felsen wachsen aus dem Boden.

Und wie die Illusions- Maschinerie der Oper, die den Effektspezialisten höher schätzt als den Dirigenten, sind auch die boomenden Geheimwissenschaften wie Alchemie und Kabbalistik eine Technologie des Mirakels. Es ist ein Wanderzirkus der Wundertäter, der zu Casanovas Zeit durch Europa zieht. Der Wiener Simon von Geldern klappert mit magischen Quadraten und Zahlenpyramiden die Höfe des Kontinents ab, um schließlich als "Hof-Cabbalist" und "Geheimer Magischer Rat" beim Erbprinzen von Hessen zu landen.

Der sizilianische "Graf" Cagliostro, nach Eigenauskunft schon 300 Jahre auf der Welt, verblüfft mit Goldmacherei, Diamantenvergrößerungen und einer "Ägyptischen Loge", die mit großzügigen Spenden ihrer Anhänger nach vergrabenen Schätzen und magischen Schriften forscht. Und der selbst ernannte Graf von Saint-Germain dient Europas Fürsten seinen "Uräther" an, nie gesehene Farbstoffe sowie ein "ganz neues Metall, dessen Eigenschaften höchst überraschend sind".

Einer reichen Marquise verspricht Casanova die Wiedergeburt 

Casanova zaubert mit. Schon mit acht Jahren hat er bei einer alten Frau auf der Insel Murano die Mechanik des Mirakels kennengelernt, als sie ihn in eine Truhe setzte und schreiend, singend und trommelnd vom Nasenbluten heilte. Jetzt versucht er, dem Prinzen von Kurland ein fantastisches Rezept zur Goldherstellung zu verkaufen: "Man nehme vier Unzen guten Silbers, löse es in Scheidewasser auf und fälle es nach den Regeln der Kunst mit einer Kupferplatte aus . . ." 1757 begegnet er, 32 Jahre alt, in Paris der 20 Jahre älteren Marquise Jeanne d'Urfé, einer glühenden Adeptin der Alchemie, die "nur wegen ihrer allzugroßen Gescheitheit verrückt" ist. Er wird ihr Liebhaber - und verwandelt, wenn auch nicht Blei, so doch die Gläubigkeit der fanatischen Dilettantin in Gold.

Er zeigt ihr, wie man chiffrierte Handschriften liest - und sie, beeindruckt, bestürmt Casanova, ihr bei ihrer Wiedergeburt im Körper eines neugeborenen Knaben zu helfen. Er präsentiert ihr eine Auserwählte, mit der er jenen Sohn zu zeugen verspricht, in den dann Madames Seele fahren kann. Er setzt eine Vollmondnacht im April für die Operation fest, erklärt den ersten Versuch für gescheitert, plant einen zweiten in Aachen, findet jetzt aber das Medium untauglich, entweiht "von einem bösen Genius". Schließlich beschwört er die Marquise, brieflich den Mond um Hilfe zu bitten. Am astrologisch perfekten Tag speist er mit ihr in einem Gartenhaus.

Vor dem Zeremonienraum steht eine große Badewanne, gefüllt mit lauwarmem Wasser und Elixieren, die dem Nachtgestirn schmeicheln. Die beiden verbrennen Räucherwerk, versprengen unter Gemurmel und Gebeten kostbare Essenzen zur Ehre des Mondes und warten auf den Aufgang des Trabanten.

Nackt führt Casanova die Gräfin zur Badewanne

Feierlich legt das Paar die Kleider ab. Casanova nimmt die Gräfin an der Hand, führt sie zum Wannenrand, den Antwortbrief des Mondes in der Linken verborgen. Unter magischen Worten, die er selbst nicht versteht und die Madame ergriffen wiederholt, entzündet er Wacholderbranntwein in einer Alabasterschale. Die Marquise hält ihren Brief in die Flamme, und ihr ist, als stiegen die Buchstaben den Mondstrahl empor. Andächtig lassen die beiden sich in der Wanne nieder.

Zehn Minuten später steigt wie von Geisterhand der kosmische Antwortbrief an die Wasseroberfläche, kreisrund, mit silbernen Buchstaben auf eisgrünem Papier: Die Wiedergeburt müsse leider auf das kommende Frühjahr verschoben werden. Die Gräfin nimmt die Botschaft an sich, entsteigt voll Würde mit ihrem Priester der Wanne - und gehorcht. Sieben Jahre lang hält Casanova die "prachtvolle Verrückte" mit derlei Ritualen in Bann. Erleichtert sie um rund eine Million Franc. Und bricht die Beziehung ab, ehe der Betrug auffliegen könnte. Schwindel sei zwar ein Laster, gibt er zu - aber List könne für "Klugheit des Geistes" gelten.

Denn die Spiegel, die Casanova so liebt, sind nicht nur Sinnbild für Eitelkeit und Wollust, sondern auch für Wissen und Wahrheit. Schon der Vater hat, wie viele Protagonisten des "Maschinentheaters" seiner Zeit, solide Kenntnisse in Optik und Mechanik erworben. Und auch Giacomo ist ein Mann der praktischen Wissenschaften, ein Bewunderer Isaac Newtons, Liebhaber der Mathematik, der Chemie, der Medizin.

Er hat "Experimentalphysik" studiert, führt eine Reisebibliothek von 60 bis 100 Bänden mit sich und verführt eine Contessa mittels mathematischer Instrumente, astronomischer Vorträge und Einführungen in die Philosophie des Rationalisten Christian Wolff.

Die Ideen der Aufklärer sind ihm vertraut - auch wenn sie ihm unzweckmäßig erscheinen: "Das Volk kann nur glücklich sein", belehrt er den Skeptiker Voltaire bei einem unbehaglichen Treffen in Genf, "wenn es niedergehalten, getreten und an die Kette gelegt wird." Dennoch hegt er tiefe Bewunderung für den Fortschrittsfreund, und mit dem Enzyklopädisten Jean le Rond d'Alembert korrespondiert er bis zu dessen Tod.

Seine okkulte Taschenspielerei ist ja nur die Nachtseite seiner Universalbildung, seiner chronischen Neugier, die er mit seiner Zeit teilt: Casanova ist ein Techniker des Glücks, ein Ingenieur der Wünsche - nicht zuletzt seiner eigenen.

Im Glücksspiel bringt es Casanova zu Meisterschaft

So ist auch sein Hang zum Glücksspiel kein Kult des Zufalls, sondern der Methode: Im "Ridotto" nahe dem Markusplatz, wo für die Zocker Maskenpflicht herrscht, hat sich auch Casanova einst seine Sporen verdient. In seiner Militärzeit auf Korfu hat er "die weisen Regeln" des Betrugs gelernt, "ohne die alle Liebhaber von Glücksspielen zugrunde gehen" - und deren Anwendung keineswegs als Schande gilt. Casanova übt sich in Bassette, Biribi, Piquet, Primero, Quinze, Whist und im Pharao, dem beliebtesten aller Spiele.

Und in vollendeter Haltung, mit der Maske der guten Laune, nimmt er es hin, wenn er verliert. Er ist zwar "empfindlich gegen Verluste", aber "stark genug, meinen Missmut zu verbergen", wie er sich rühmen wird: "Meine natürliche Heiterkeit verdoppelte sich gerade dann, wenn ich mich künstlich dazu zwang." Er hat sich im Griff. Sogar seine Niederlagen organisiert er noch selbst - alles andere wäre eine Bankrotterklärung seiner Intelligenz: "Ich würde verrückt", schreibt er, "wenn ich in meinen Selbstgesprächen mir sagen müsste, ich sei ohne meine Schuld unglücklich." Mittels Selbstinszenierung, Selbstkontrolle, Selbstüberredung verführt er seine Umwelt; und wenn es niemanden zu verführen gibt, verführt er sich selbst.

Eine "amour four" in London wird dem Verführer zum Verhängnis

Denn niemanden, so bekennt er gegen Ende seines Lebens, liebt Casanova schließlich so wie Casanova. Er ist ein Automat der Verführung, ein säuselnder, tanzender Spezialeffekt. In der Stadt der Gondeln und des Gleitens hat er die Routine der Reibungslosigkeit gelernt; Gefühle und Leidenschaften wären in dieser Mechanik nur Sand im Getriebe. Und so bringt erst eine amour fou schließlich den Motor ins Stottern.

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Es geschieht in der Nebelstadt London, wo Casanova der Tochter einer alten Bekannten aus Paris begegnet: der Kurtisane Mari-Anne-Geneviève Augspurgher, genannt "La Charpillon". Sie besitzt eine "Schönheit, an der man schwerlich irgendeinen Fehler entdecken konnte", trügerisch umweht von jener "Vornehmheit, die man im allgemeinen nur durch hohe Geburt erwirbt".

Gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei Tanten verstrickt sie ihn nun in ein Spiel von Lockung, Demütigung und Zurückweisung, erleichtert den verzweifelt Verliebten in 14 Tagen um mehr als 400 Guineen - um sich schließlich von Casanova in den Armen eines Barbiers ertappen zu lassen. "Dieses Mädchen hatte von vornherein die Absicht, mich unglücklich zu machen", beklagt er sich später. "Und sie hatte es mir sogar gesagt." Erstmals verliert Casanova, geschüttelt von Fieber und "abgrundtiefer Traurigkeit", die Contenance. Er zerreißt der Unerbittlichen das Hemd. Knapp hält er sich zurück, sie zu würgen. Ein anderes Mal setzt er ihr ein Messer an den Hals. Erwägt sogar kurz den Einsatz eines jener Notzuchtsstühle für 100 Guineen, die das Opfer automatisch fesseln und in willige Stellung bringen. Schließlich taumelt er zur Themse, um sich zu ertränken, zwei Pistolen im Rock und Bleikugeln in den Taschen.

Mit 38 Jahren fühlt Casanova, dass sein Stern sinkt

Auf der Westminster Bridge spricht ihn ein junger Londoner Playboy an, lädt ihn ins "Cannon" zum Lunch ein - und holt ihn so ins Leben zurück. Casanova kauft einen Papagei, dem er nur einen Satz beibringt: "Miss Charpillon ist eine noch schlimmere Hure als ihre Mutter." Das tut gut. Doch in diesem September 1763, erkennt der 38-Jahrige, beginnt er "zu sterben".

Nicht nur die Damen wenden sich von ihm ab ("Ich mochte mich noch so bemühen, die Frauen wollten sich nicht mehr in mich verlieben"), auch der Erfolg beim Glücksspiel lässt ihn von nun an im Stich. Bald ahnt Casanova, "dass ich meine ganze Zeit vergeudet hatte, und das bedeutete, dass ich mein Leben vergeudet hatte". 1774 erfährt er seine Begnadigung durch die Staatsinquisition seiner Heimatstadt: Mit fast 50 Jahren darf der müde Nomade nach Venedig zurückkehren.

Noch diese Gnade ist Frucht der Verstellung. Casanova, der sich einst, im Kerker schmachtend, an die "Spitze des Volkes" geträumt hatte, "um die Regierung auszutilgen und das Patriziat niederzumetzeln" - dieser Casanova hat sich jetzt mit einer Jubelschrift auf die venezianische Republik empfohlen, die noch die Bleikammern zum Sanatorium verklärt: "Die Luft, die man dort atmet, ist gut, und der Nahrung ermangelt es dort nicht, noch allen Bedarfs zum Leben." Doch in Venedig ist Europas Held plötzlich ein Niemand. Sein erfundener Adelstitel ist hier nichts wert. Unter dem Decknamen Antonio Pratolino muss er sich als Spitzel der Staatsinquisition verdingen, verfolgt für 15 Dukaten im Monat Verdächtige auf der Straße und Gespräche in Cafés, prüft Aktbilder in der Malerakademie und Bühnenstücke im Teatro San Benedetto.

In einem Bericht über die "extreme Freizügigkeit des Umgangs der Geschlechter" gibt der Sünder jetzt den Moralapostel: "Die Verderbtheit der Sitten schreitet von Tag zu Tag fort." Ein Tanzstück, das "in leicht beeinflussbaren Gemütern einen gewissen Geist des Aufruhrs" erregen könnte, meldet er an die Behörden: Das Ballett wird, unter Todesandrohung für den Impresario, verboten.

Er versucht sich als Theaterdirektor, organisiert Auftritte einer französischen Schauspieltruppe im Teatro Sant'Angelo - und gibt drei Monate später wieder auf. Dann wieder wirft er sich auf die Schriftstellerei: Nirgendwo in Italien wird ja so viel gelesen wie in Venedig. Und mit Worten Wirkung zu erzeugen - das ist es, was er sich zutraut.

In Böhmen findet der Lebemann Unterschlupf bei einem Grafen

Denn Casanova liebt die Sprache, die erst den Sinnengenuss zur Freude macht: Junge Mädchen, die ein "derbes Schweizerdeutsch" sprechen, beleidigen seine Libido. Einer jungen Russin bringt er erst Italienisch bei, bevor er sie in die Liebe einführt. Und der berühmten Londoner Kokotte Kitty Fisher, die nur Englisch spricht, verweigert er bedauernd die Kundschaft: "Ohne Worte verliert die Liebe mindestens zwei Drittel ihres Reizes." Er beginnt eine Übersetzung der "Ilias", eine Streitschrift gegen den toten Voltaire und einen utopischen Roman über ein musikalisches Zwergenvolk unter der Erde, der aber nicht mehr als 156 Subskribenten findet. Schreibt ein hauchdünn mit Mythologie verbrämtes Pamphlet, in dem er sich zum natürlichen Sohn des Theaterunternehmers und Patriziers Michele Grimani erklärt.

Dessen wirklicher Sohn, Giovanni Carlo Grimani, tobt vor Zorn - und seine Standesgenossen ergreifen seine Partei: Für den Geschmack der Patrizier ist der Adelsdarsteller dieses Mal zu weit gegangen. Der Prokurator von San Marco rät ihm dringend, Venedig zu verlassen.

Und weiter geht die Reise für den erschöpften, alternden Abenteurer: Wien, Innsbruck, Frankfurt, Spa. Rotterdam, Paris, Dresden, Prag. Er findet Unterschlupf beim Grafen Joseph Karl von Waldstein, einem Freimaurer wie Casanova, der in seinem Schloss Dux in Böhmen für seine 40 000 Bücher einen Bibliothekar gebrauchen kann: Dort kriecht der Venezianer unter, für die 13 Jahre, die ihm noch bleiben.

Und er hadert. Er hadert mit der Langeweile, mit den Gästen und Domestiken des Grafen, die ihm die schuldige Achtung verweigern. Die lachen, wenn er seine französischen Verse vorzeigt; wenn er italienische Verse mit Gesten untermalt; wenn er sich verbeugt, wie man sich vor 60 Jahren verbeugte. Die lachen, wenn er Menuett tanzt und wenn er seine weiße Feder trägt, seinen goldbestickten Seidenanzug und seine schwarze Samtweste, seine seidenen Strümpfe und seine Strumpfbänder mit den Bergkristall- Schnallen. "Abschaum", schreit er, "ihr seid alle Jakobiner." 

Seine Autobiographie wird Casanovas großer Erfolg – nach seinem Tod

Denn inmitten des Gelächters ist das Brausen des Bastille-Sturms von fern in seine Wälder geweht. Das ist kein Spiel mehr, sondern bitterer Ernst; der letzte Walzer jenes Maskenballs, für den er geboren ist. "Die verdammte Französische Revolution", schnaubt er, "beschäftigt mich den ganzen Tag." Und weil die kleine Welt, die ihn jetzt umgibt, nur noch Spott für ihn übrighat, wendet er sich noch einmal an die große: 1789 beginnt er seine "Histoire de ma Vie" - eine "Komödie" mit "drei Akten". 

"Wird man sie auspfeifen", schreibt er, "so hoffe ich, dass es mir niemand sagt." Er schreibt wie besessen, 13 Stunden am Tag. Die Koketterie hat ihn noch nicht verlassen. Treuherzig beteuert er die Hoffnung, "dass meine Geschichte nicht veröffentlicht wird" - und flirtet doch immer wieder schamlos mit dem Publikum: "Lieber Leser, ich bitte dich, mir zu folgen", schreibt er, "denn wenn du mich im Stich lässt, bist du unhöflich." 

Wie die Sonnenuhr zählt er nur noch die heiteren Stunden. Die Selbstzweifel der späten Jahre, das Altern seines Körpers, der schmachvolle Abschied aus der Heimatstadt - all das bleibt hinter dem Vorhang. "Die wahre Liebe", beteuert er jetzt, "ist die, der alle Lust fremd ist." Die Memoiren enden im Sommer 1774 in Triest, kurz vor der Rückkehr nach Venedig, "denn vom Alter von 50 Jahren an kann ich nur Trauriges berichten". 

Die Autobiografie wird sein einziger literarischer Erfolg - lange nach seinem Tod. "Entweder bin ich nicht für Venedig gemacht, oder Venedig ist nicht für mich gemacht", schreibt Casanova, "oder beides." Doch auch wenn er mit der Serenissima immer wieder in Konflikt geraten ist - so getreu spiegelt er sie, dass selbst sein Schicksal mit dem Venedigs verknüpft scheint: Als die Republik dem Untergang entgegengeht, sinkt auch sein Stern.

Als Casanova stirbt, hat die Welt ihn bereits vergessen

Der letzte Karneval der Republik, im Jahr 1796 - Napoleon Bonaparte steht schon auf venezianischem Territorium -, ist ausgelassen wie keiner zuvor. Im Mai 1797 besetzen 4000 französische Soldaten die Stadt. Die Revolution erklärt die Privilegien der Patrizier für abgeschafft, pflanzt auf der Piazza den Freiheitsbaum auf. Der letzte Doge, Lodovico Manin, dankt am 12. Mai 1797 ab. Er ist nur ein Jahr jünger als Casanova.

Im folgenden Jahr stirbt der greise Abenteurer auf Schloss Dux, 73 Jahre alt. Die Welt hat ihn vergessen; erst gut anderthalb Jahrhunderte später wird der vollständige Text seiner Memoiren erscheinen. Und Casanovas Name wird zum Markenzeichen werden, das einem ganzen Typus den Stempel aufdrückt. 

"Der Tod ist ein Ungeheuer", hat er geschrieben, "das einen aufmerksamen Zuschauer aus dem Welttheater vertreibt, noch bevor das Stück, das ihn ungemein fesselt, zu Ende ist." Jetzt holt er den Schauspieler. Und das Publikum ist längst nach Hause gegangen.