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Polarstern zurück aus dem Eis "Das Jahr hat uns verändert. Und es wird die Wissenschaft verändern"

Markus Rex, Polarstern
Das Forschungsschiff Polarstern ist am 12. Oktober nach einjähriger MOSAiC-Expedition die Wesermündung nach Bremerhaven zurückgekehrt. Expeditionsleiter Markus Rex (li.) glaubt, dass die dabei gewonnenen Daten, die Wissenschaft verändern werden. Zumindest jene, die sich mit dem Klimawandel der Arktis beschäftigt
© Esther Horvath
Die Polarstern ist von ihrer größten Fahrt zurückgekehrt. Die aufwändigste Arktisexpedition aller Zeiten geht damit zu Ende. Die Forscher um Expeditionsleiter Markus Rex haben unzählige Daten im Gepäck. Doch: Wirklich angekommen ist die Crew nach den Monaten in eisiger Isolation noch nicht, beobachtet GEO-Reporterin Marlene Göring, die mit an Bord war

Noch ein letztes Mal ziehen die Forscher eine Runde über ihre Scholle. Sie folgen den Wegen, die ihre schweren Stiefel und vollgepackten Schlitten auf dem Eis hinterlassen haben. Die Flächen dazwischen sind dick mit Schnee zugedeckt, nur vage lässt sich erraten, wo vor kurzem noch Schmelztümpel zwischen blau und grün changierten. An manchen Stellen ist der Schnee von vielen Füßen festgetrampelt: ganz hinten, wo ein breiter Riss die Scholle begrenzt und der Messturm der Atmosphärenforscher nach oben ragte. Etwas näher am Schiff, ihrer Basis, wo das Öko-Teams seine Zelte aufgeschlagen hatte. Oder gleich daneben das Loch im Boden, einen mal einen Meter, in dem das Ozean-Team seine Sonden ins Wasser hinabließ. Jetzt ist das kleine Forschungsdorf verschwunden, alle Messgeräte sind eingesammelt, ihr Piepen ist verklungen, kein Kettensägenkreischen dringt mehr durch die Luft. Die Scholle wirkt seltsam, so verlassen, obwohl das ja eigentlich ihr Normalzustand ist.

Es ist der 20. September – genau ein Jahr, nachdem die Polarstern in Tromsö zu ihrer größten Fahrt aufgebrochen ist. Der Forschungseisbrecher war die Basis der aufwändigsten Arktisexpedition, die es jemals gegeben hat: Im Herbst machte die Polarstern auf 85 Grad Nord, 134 Ost an einer Scholle fest, 3400 Kilometer driftete sie im Zickzack durch den Arktischen Ozean. Viermal brachten Versorgungsschiffe neue Teams, Proviant und Treibstoff, dazwischen waren die Polarfahrer auf sich gestellt. 500 insgesamt, dazu noch mal so viele Unterstützer an Land, 20 Nationen und 90 Institutionen, angeführt vom deutschen Alfred-Wegener-Institut (AWI) – ein Wahnsinnsvorhaben.

MOSAiC sammelt Daten um die Arktis besser zu verstehen

Die Arktis erwärmt sich sogar doppelt so schnell wie jeder andere Ort der Welt. Trotzdem wird sie in den Klimamodellen meistens mit Daten dargestellt, die ganz woanders gewonnen wurden – einfach, weil man so wenige aus dem hohen Norden besaß. Das ist der große Gewinn von MOSAiC: Was die Forscher in diesem Jahr beobachtet haben, liefert die Grundlage dafür, um die Arktis und ihren Einfluss auf Ozean und Atmosphäre auf der ganzen Welt besser zu verstehen.

Wie sehr sich der Norden schon jetzt verändert hat, haben die Forscher in diesem Sommer selbst miterlebt. Vor dem letzten Austausch Mitte August musste sich die Expedition eine neue Scholle suchen – die alte war zügig nach Süden gedriftet und in der Framstraße über Nacht in ihre Einzelteile zerbrochen, die Polarfahrer konnten von Bord aus dabei zusehen. Deshalb stampfte die Polarstern zurück nach Norden, um eine neue Heimat für den letzten Teil der Expedition zu finden. Sie wählte dazu einen Weg, den es so normalerweise nicht gibt: Von Grönlands Küste zog sich ein Gebiet mit wenig Eisbedeckung fast bis zum Nordpol – ausgerechnet dort, wo sich sonst altes, mehrjähriges Eis staut. An Deck sahen die Forscher zu, wie das Eis vor ihnen geradezu auseinanderfiel, so durchgeschmolzen war es. Erst kurz hinter dem Nordpol, weit im Osten, nahm das Eis an Stärke zu. Dort fanden die Forscher ihre neue Scholle für den letzten Fahrtabschnitt.

Polarstern
Insgesamt drei Monate lang durfte GEO-Reporterin Marlene Göring Teil der größten Arktisexpedition aller Zeiten sein
© Philipp Grieß / UFA

Klimamodelle sagen voraus, dass die Arktis in wenigen Jahrzehnten im Sommer komplett eisfrei sein könnte. Wenn die Länder der Erde nicht ihr Ziel einhalten und die Netto-Emissionen von Klimagasen bis Mitte des Jahrhunderts auf Null begrenzen. Aber insbesondere der Ozean ist ein träges System; die Wärme, die er jetzt speichert, bleibt noch sehr lange erhalten. Auf dem letzten Fahrtabschnitt haben die MOSAiC-Forscher immer wieder die Wassertemperatur gemessen: In allen Meeresschichten lag sie historisch hoch. Auch die Eisbedeckung war in diesem Jahr wieder sehr gering. Nicht so wie im Rekordjahr 2012, doch beinahe – wieder einmal. Die Extreme, die Wissenschaftler seit Jahren melden, sind normal geworden. Ist das Sommereis der Arktis überhaupt noch zu retten? „Wenn man das marode und völlig zerschmolzene Eis am Nordpol im Sommer gesehen hat, mögen einen Zweifel überkommen“, sagt Expeditionsleiter Markus Rex. „Ich mag den Begriff eigentlich nicht“, sagt die Schneephysikerin Ruzica Dadic. „Aber wir sind genau zur richtigen Zeit gekommen, um diese neue Arktis zu studieren.“

Die Decks der Polarstern sind nur halbvoll

Morgens am 12. Oktober sieht man von der Polarstern Land und Hafenkräne und dahinter Bremerhaven – das erste Mal seit weit über einem Jahr. Schlepper, Schiffe der Küstenwache und kleine Segelboote begleiten sie mit Tuten die letzten Kilometer bis zur Anlegestelle. Doch die Decks der Polarstern sind nur halbvoll. „Im Moment fühle ich noch gar nichts“, sagt der Atmosphärenforscher Matt Boyer, als er auf das Spektakel auf der Weser blickt. „Nachher gehen wir drinnen Mittagessen, dann wird es sein, als wäre nichts passiert.“

Polarstern
Festgefroren an einer Scholle driftete die Polarstern durch ein Meer aus Eis. Der deutsche Forschungseisbrecher war die Basis der aufwändigsten Arktisexpedition, die es jemals gegeben hat
© Esther Horvath/picture alliance / ZUMAPRESS.com

Vielleicht wollen die gut 60 Forscher und etwa 40 Crewmitglieder noch nicht richtig ankommen. Nach den Monaten im Eis ist ihnen die Welt da draußen fremd geworden, mit ihren Autos und Häusern und Corona. Außerdem: Sie haben noch alle Hände voll zu tun. Es bleiben nur zwei Tage Zeit, das Schiff zu entladen und für die Werft vorzubereiten, alles muss runter. All die Schlitten, Massenspektrometer, klobigen Radare und Kabeltrommeln, viele Tonnen Ausrüstung, die nötig waren, um diese Expedition am Laufen zu halten. Erst danach kehren die Wissenschaftler zurück in ihre Labors und Büros zu Hause. Die meisten Schätze, die sie gesammelt haben, warten noch darauf, aus Zahlenreihen und Wasserproben gehoben zu werden. Ihre Aufgabe hat gerade erst begonnen.

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