Sobald sie den Schulhof betreten, geht der Spott los: Du Loser, du Wichser, du Arschloch. Sie werden beiseitegestoßen, ihr Ranzen wird ausgekippt, das Mobiltelefon entwendet. Die Täter beleidigen sie in Chat-Gruppen und E-Mails, stellen demütigende Kommentare in sozialen Medien ein, streuen verletzende Gerüchte im Internet. Oder: Die Mitschüler kommen auf die Idee, ihr Opfer in den Müllcontainer zu wuchten. Etwa jeder zehnte Schüler in Deutschland wird über längere Zeit drangsaliert, beleidigt, gedemütigt, ausgegrenzt. Ist Opfer von Mobbing. Am häufigsten tritt diese Form körperlicher und psychischer Gewalt in der fünften bis zehnten Klasse auf.
Nicht immer sind die Betroffenen von vornherein Außenseiter. Es kann durchaus Jungen und Mädchen treffen, die Teil einer Clique sind – und von einem bestimmten Zeitpunkt an immer weiter ins Abseits gedrängt werden. Auslöser kann eine Nichtigkeit sein, pubertäre Pickel, Ungeschick im Sportunterricht. Schon lacht ein Mitschüler, beginnt zu schikanieren. Ein weiterer schließt sich an. Nach und nach kommt eine Spirale der Ausgrenzung in Gang. Bis sich schließlich auch jene distanzieren, die dem Betroffenen einst nahestanden. Und die nun Angst davor haben, selber ausgeschlossen zu werden. Auf diese Weise werden selbst einem vormals vertraute Klassenkameraden zu Peinigern.
Mobbing findet im Verborgenen statt
Was Mobbing so tückisch macht: Die Übergriffe finden meist im Verborgenen statt – Eltern oder Lehrer bemerken oft lange nichts davon. Daher können die Täter ihre Opfer zuweilen über Wochen, Monate oder gar Jahre drangsalieren. Hinzu kommt: Mehr und mehr verlagern sich die Attacken in die digitale Welt. Die Peiniger stellen ihre Opfer zum Beispiel durch Videos oder Nacktbilder auf dem Smartphone bloß, beleidigen sie in Chats oder in sozialen Netzwerken. Während das klassische Mobbing in der Schule oder auf dem Nachhauseweg stattfindet, sind Betroffene von Cybermobbing nicht einmal daheim sicher. Zudem ist die Hemmschwelle im Internet geringer, das Ausmaß der Beleidigungen häufig größer, und die Täter können anonym bleiben.
Psychische Belastung und Angststörung durch Mobbing
Wer gemobbt wird, flüchtet oft in Einsamkeit und Isolation. Oder er tut so, als machten ihm die Attacken nichts aus – damit die anderen nicht merken, wie sehr er innerlich verletzt ist. Mehr noch: Häufig breitet sich bei Betroffenen das Gefühl aus, selbst an ihrem Martyrium schuld zu sein. Mit der Folge, dass die Jungen und Mädchen aus Scham verstummen und massiv an Selbstwertgefühl einbüßen. Groß ist die Befürchtung, die Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn Eltern oder Lehrer von den Schikanen erfahren. Denn dann stünden die Betroffenen erst recht als Opfer da. Viele versuchen daher, ihre Qual zu verbergen. Manche reagieren auch zunehmend überempfindlich, verlieren etwa die Fähigkeit, zwischen tatsächlicher Attacke und alltäglichem Verhalten zu unterscheiden. Die Opfer erleben immer größeren Stress, nahezu alle haben permanent Angst vor dem nächsten Übergriff. Die Anspannung, in der sie leben, führt oft zu psychosomatischen Beschwerden – Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit. Manche verletzen sich selbst oder denken gar an Selbstmord. Und nicht selten leiden sie noch Jahre später an psychischen Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen.
Neben den Tätern und Opfern, so Forscher, gibt es in einer Klasse drei weitere Gruppen von Beteiligten:
- Rund ein Viertel der Schüler unter - stützen die Täter zwar nicht aktiv, verstärken aber deren Verhalten. Sie lachen beispielsweise, wenn es zu Attacken kommt, oder feuern die Peiniger an.
- Viele andere sind Zuschauer, die Mobbing ablehnen, aber dennoch nicht einschreiten – weil sie die Übergriffe nicht richtig einschätzen oder Angst haben, selbst zum Opfer zu werden.
- Und eine Minderheit schließlich, so es sie denn in einer Klasse überhaupt gibt, versucht sich auf die Seite der Opfer zu stellen, zu trösten oder die Täter von weiteren Attacken abzuhalten.
Warum Teenager andere mobben
Den meisten Tätern geht es vor allem darum, Machtgefühl zu erlangen. Sie finden es aufregend und genießen es, Mitschüler zu unterdrücken und zu kontrollieren. Wenn andere vor ihnen Angst haben, fühlen sie sich stärker. Mitunter sind Teenager, die andere mobben, zuvor selbst Opfer von Attacken gewesen – und lassen aufgestaute Aggressionen nun an anderen aus. Nicht wenige Täter stammen aus Familien, in denen ein gefühlskaltes Klima herrscht. Wenn Vater und Mutter etwa ihren Nachwuchs anschreien oder aber kaum Grenzen setzen und aggressives Verhalten verharmlosen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mobben. Zum Opfer kann theoretisch zwar jeder werden – doch meist suchen sich die Täter eher stille Typen mit schwachem Selbstwertgefühl aus, die sich nicht gut wehren können.
Wie Lehrer und Eltern reagieren sollten
Mobbing-Experten, die untersuchen, wie sich die Attacken wirksam bekämpfen lassen, haben festgestellt: Vor allem den Lehrern kommt in dieser Situation eine Schlüsselrolle zu. Achten die sensibel auf Warnzeichen (etwa dass ein Schüler in sich gekehrt wirkt, stiller wird und seine schulischen Leistungen abnehmen) und schreiten rechtzeitig ein, können sie die schweigende Mehrheit der Klasse dazu bringen, das Mobbing zu ächten. Schätzen sie dagegen die Lage falsch ein und verharmlosen die Übergriffe als „übliches Gerangel“ oder „Zickenkrieg“, zeigen sie sich womöglich gar selber hilflos gegenüber dem Geschehen, fühlen sich die Täter noch ermutigt.
Eltern, die erfahren, dass ihr Kind gemobbt wird, sollten möglichst vermeiden, zu massiv zu reagieren – etwa indem sie die Eltern der Täter unter Druck setzen oder Lehrer dazu auffordern, andere Schüler pauschal zu bestrafen (auch wenn ein solches Verhalten nur allzu verständlich wäre). Vor allem im Umgang mit der Schule kann sich eine womöglich noch dramatisierende Darstellung von Übergriffen sogar schädlich auswirken – schließlich müssen sich die verantwortlichen Lehrer ein objektives Bild von der Lage verschaffen können, um realistisch einzuschätzen, welche Gegenmaßnahmen wirksam sind. Hilfreich kann es dabei für einen betroffenen Schüler sein, ein Tagebuch zu führen, in dem er möglichst präzise dokumentiert, wann er von wem angegangen worden ist. Dazu gehört auch, E-Mails mit beleidigendem Inhalt auszudrucken oder Screenshots von Social- Media-Angriffen zu archivieren. Auf diese Weise ist es möglich, die Schulleitung so umfassend wie möglich zu informieren.
Präventionsprogramme um Mobbing zu unterbinden
Um aber Mobbing erst gar nicht aufkommen zu lassen, haben Fachleute mehrere Präventionsprogramme entwickelt. Schon ein Kummerkasten oder besondere Schülersprechstunden können hilfreich sein. Als wirksam haben sich auch „Klassentage gegen Mobbing“ erwiesen, an denen Schüler mit verschiedenen Trainingsaufgaben und Rollenspielen für das Problem sensibilisiert werden. Bei diesen Aktionen lernen sie, was jeder Einzelne tun kann, damit das Zusammenleben in der Klasse für alle erträglicher wird, wie man mit Beschimpfungen umgeht – und warum Mobber nicht stark, sondern schwach sind (weil sie die Erniedrigung anderer brauchen, um Stärke zu empfinden). Ziel ist es, das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für die fatalen Folgen von Mobbing zu schärfen. Und der Gruppe der Zuschauer ein Gefühl dafür zu geben, wie mächtig sie ist. Denn immer wieder zeigt sich: Wenn erst einmal die Mehrheit der Mitschüler Partei für die Betroffenen ergreift, erkennen die Täter schnell, dass ihre Attacken nicht erwünscht sind. Dass sie sich durch ihr Verhalten selbst isolieren. So haben sie binnen Kurzem keine Macht mehr über ihre Opfer.