Die beiden Hobby-Surfer und Filmemacher Inge Wegge und Jørn Ranum verbrachten einen Winter an einem einsamen Strand im Norden Norwegens, um zu surfen. Dabei waren sie nicht nur auf der Suche nach den besten Wellen des Landes, sondern versuchten auch, von den Überresten der Gesellschaft zu leben. Dokumentiert haben sie ihre Erfahrungen in dem Film "Nordfor Sola", der momentan Film Festivals in ganz Europa erobert.
Wann und wie entstand die Idee zu dem Projekt?
Jørn: Wir waren schon einige Male an diesem Strand surfen und haben gesehen, wie viele Gegenstände an Land gespült werden und haben gedacht: Daraus könnte man etwas bauen. Das Meer hat uns praktisch die Idee vor die Füße gespült! Wir wollten versuchen, aus den Überresten der Gesellschaft zu leben. Unser Haus ist angelehnt an die Idee der "Earth Ships": Unterkünfte, die aus recycelten Gegenständen entstanden sind. Allein an dem Strand haben wir zu zweit rund drei Tonnen Müll zusammengetragen. Ernähren wollten wir uns von abgelaufenen Produkten. Die Idee war zu demonstrieren, wie viele brauchbare Produkte unsere Gesellschaft auf den Müll wirft und wie verdreckt unsere Ozeane sind.
Inge: Seitdem ich das erste Mal an diesem Strand war, wollte ich länger dort leben. Eben nicht nur für einen Tag zum Surfen kommen oder ein verlängertes Zelt-Wochenende, ich wollte einfach Teil dieses Ortes sein. Da wir beide Film studiert haben, war klar, dass daraus ein Film entstehen musste.
Wie lange hat es gedauert, das Projekt in die Realität umzusetzen?
Jørn: Die Idee ist circa ein Jahr vor der Umsetzung entstanden, damals empfanden wir es selber noch als eine völlig verrückte Idee, die wir einfach gerne durchgesponnen haben. Eigentlich hatten wir uns dagegen entschieden, da wir das Projekt relativ riskant fanden. Doch es gibt so viele gute Ideen, die man am Ende doch nicht umsetzt, aber man hat die Idee immer im Hinterkopf. Ein unbefriedigendes Gefühl, so wollten wir schlicht und ergreifend nicht enden. Einen komplett ausgeklügelten Plan hatten wir aber nie, die größte Hürde war es, einen Schlafsack zu finden, der lange vor sehr kalten Nächten schützen würde.
In einigen Szenen seid ihr beide zu sehen. Waren weitere Menschen vor Ort, um Euch zu filmen, oder wie habt ihr das gemacht?
Inge: Wir haben fast alles allein gemacht. Mein Bruder und einige Freunde haben uns ein paar Mal besucht. So sind zum Beispiel die Aufnahmen entstanden, auf denen wir beide zu sehen sind. Ich fliege auch Paraglider, so habe ich die Aufnahmen aus der Luft geschossen.
Wann habt ihr angefangen zu surfen, und wie kamt ihr dazu?
Jørn: Bei mir hat alles mit dem Snowboarden begonnen. Es war immer ein großer Teil meines Lebens. Als ich dann im Norden Norwegens das Filmstudium aufgenommen habe, probierte ich das Surfen. Ich kann mich erinnern, dass ich beim ersten Mal überwältigt war von der Kraft der Wellen und der Anstrengung, die sie einem abverlangen. Aber ich war sofort angefixt. Kurze Zeit später kaufte ich mein erstes Board.
Inge: Während der Schule war ich als Austauschschüler in Australien, da habe ich natürlich gesurft. Zwar waren die Wellen in meiner Nähe nicht die besten, aber ich verbachte jede freie Minute auf meinem Board. Ich bin fasziniert davon, wie Mensch und Meer beim Surfen zu einer Kraft werden. Man muss mit dem Meer gehen und nicht gegen die Wellen ankämpfen. Die kurze Zeit, die man dann auf den Wellen reiten kann, sind so fokussiert und voller Freiheit, einfach unbeschreiblich.
Wie lange habt ihr vor Ort gebraucht Euch einzurichten, das Haus zu bauen etc.?
Jørn: Als wir ankamen, waren wir überwältigt von der Masse an Materialen, die wir gefunden haben. Nach zwei Wochen war das Haus einzugsbereit. Obwohl wir uns sicher waren, dass wir zu viel Material gesammelt hatten, haben wir fast alles für den Bau des Hauses verwendet.
Was war es für ein Gefühl, das erste Mal hier zu surfen?
Jørn: Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Wellen die ersten Tage nicht gut waren. Sie wurden am vierten Tag stündlich besser. So schnell ich konnte, tauschte ich Hammer gegen Neoprenanzug und ging surfen. Die Sonne kam raus, während es vor den Bergen noch regnete. Über der Bucht erschien ein großer Regenbogen, Adler schauten uns beim Wellenreiten zu. Da wusste ich: Wir sind mitten im Paradies gelandet.
Ihr habt abseits der Zivilisation gelebt, woher habt ihr Euch Essen und andere lebensnotwendige Dinge besorgt?
Jørn: Während der neun Monate, die wir vor Ort waren, sind wir mehrere Male über den Berg bis zum nächsten Ort gelaufen. Hier haben wir allerdings nicht eingekauft, sondern nur die Sachen mitgenommen, die bereits abgelaufen waren, das war ja Teil der ganzen Idee. Im Nachhinein haben wir schon realisiert, dass manches hätte schief gehen können, zum Beispiel mit der medizinischen Versorgung. Wir hatten zwar darüber gesprochen, was wir gemacht hätten, wenn einer von uns sich das Bein gebrochen hätte, aber einen richtigen Plan hatten wir für den Ernstfall nicht. Zum Glück sind wir die ganze Zeit gesund geblieben, wahrscheinlich waren wir unterbewusst auch deswegen so vorsichtig.
Das klingt sehr einsam, hattet ihr auch mal Besuch?
Jørn: Ein paar Freunde waren mal bei uns, meine Freundin ist auch einmal gekommen. Ansonsten haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, Bergsteiger von unserer Hütte aus zu beobachten und ihre verblüfften Gesichter zu sehen, wenn sie auf einmal vor uns standen, irgendwo im nirgendwo. Nach einem kurzen Plausch über die Wetterlage sind sie dann aber wieder ihren eigenen Weg gegangen - bis auf einen finnischen Doktor. Er fragte uns, ob er eine Nacht bei uns schlafen dürfe, und war so begeistert, dass er gleich eine ganze Woche blieb.
Was war das schönste Erlebnis, und was hat gar nicht funktioniert?
Jørn: Ich kann wirklich nicht sagen, was das schönste Erlebnis war. Das Gesamtwerk hat es so besonders gemacht: Die Ruhe in Kombination mit der Reinheit der Natur hat uns wahrscheinlich am meisten imponiert. Sehr angenehm war, dass ich mich nur nach der Sonnenuhr und dem Wetter richten musste, aber keine Termine hatte und keine Rolle erfüllen musste. Manchmal sind wir einfach wie kleine Kinder schreiend den Strand auf und ab gelaufen, während über uns die Polarlichter waren.
Inge: Für mich waren die Polarlichter eins der absoluten Highlights und unser Alltag: aufstehen, frühstücken, surfen und zu Bett gehen. Wenn die Wellen zu stark zum Surfen waren, sind wir Snowboard gefahren oder haben uns gegenseitig aus Büchern vorgelesen.
Es gab wirklich kein schlimmes Ereignis, und falls Du wissen möchtest, ob wir uns gestritten haben: Nein, das haben wir tatsächlich kein einziges Mal. Wir mussten als Team funktionieren, damit das Projekt funktioniert.
Seid ihr überrascht, wie gut Euer Film "Nordfor Sola" angenommen wird?
Inge: Ja, total! Wir freuen uns über jeden Zuschauer, und es macht Spaß zu sehen, dass viele Menschen sich dadurch inspiriert fühlen, ihre Träume in die Tat umzusetzen – egal wie verrückt sie erscheinen.
Was sind Eure Pläne für die Zukunft?
Inge: Ich werde etwas Ähnliches mit meinen Brüdern machen. Es soll in Svalbard gute Wellen geben. Dort ist es noch kälter und abgelegener. Wir wollen dort für ein paar Monate mit Skiern, Snow- und Surfboards leben.
Jørn: Es war mit Abstand die beste Zeit meines Lebens, und ich habe so viel gelernt. So möchte ich diesen Ausflug in Erinnerung behalten und nicht versuchen, diese Zeit zu toppen oder zu wiederholen. Momentan genieße ich es, unter Menschen zu sein.