In der Kulturgeschichte der Menschheit spielen Masken seit jeher eine gewichtige Rolle. Eine der ältesten figürlichen Darstellungen des Menschen überhaupt ist vermutlich die eines Maskierten: eine knapp 30 Zentimeter hohe Figur aus Mammutelfenbein, die ihr Besitzer vor rund 32 000 Jahren in der Hohlenstein-Höhle im schwäbischen Lonetal liegen ließ. Die Schnitzerei zeigt einen Menschen mit einem Löwenkopf. Die Maske erfüllt für den, der sie trägt, eine doppelte, nur scheinbar gegensätzliche Funktion. Sie verhüllt ihn, einerseits, macht sein bekanntes Wesen sozusagen unsichtbar. Und andererseits verleiht sie ihm eine neue, eine selbst gewählte Identität. Nur die Maskerade kann aus einem Menschen ein Tier machen. Einen Geist. Oder sogar einen Gott.
Der in Nigeria aufgewachsene Chika Okeke-Agulu, Kunsthistoriker an der amerikanischen Princeton University, nennt die Kunst der Maskerade „eines der komplexesten und gleichzeitig verschlossensten, aber grundlegend wichtigen Phänomene in Afrika“. Denn in vielen afrikanischen Kulturen, die seit Jahrtausenden religiös aufs Engste verknüpft sind mit den Welten von Geistern und Ahnen, ist die Maske die Brücke dorthin. Sie gilt als einzig sichtbare, vor allem aber berührbare Verkörperung von Geistern und Vorfahren, die zu besonderen Anlässen die Welt der Lebenden heimsuchen - um Ratschläge und Warnungen zu verteilen, um ihren Schutz anzubieten, oder einfach nur, um die Menschen zu erschrecken.
„Die Maskierung bestimmt das Leben der afrikanischen Völker auf vielerlei Art“, so Okeke-Agulu. „Beim Volk der Bambara in Mali sind die Masken des Antilopengeistes Chi Wara bei Aussaat und Ernte zugegen; bei den Dan in Westafrika wird die Glewa-Maske bei juristischen Streitigkeiten als Friedensstifter hinzugezogen; bei den Lega im Kongo dienen Lukwakongo- Masken dem Gedenken, wenn ihre Besitzer gestorben sind.“ Selbst herrschaftliche Funktionen fielen den in den Masken repräsentierten Geistern bisweilen zu. Vor der Einführung des westlichen Rechtssystems schlüpften die Scharfrichter bei den Efik und benachbarten Völkern des südlichen Nigeria in die Maske des Geistes Ekpe, während - ebenfalls in Nigeria - die Gelede-Masken der Yoruba für sozialen Frieden und Harmonie unter den Geschlechtern sorgen sollen.
Trotz des tief greifenden Wandels, dem viele afrikanische Gesellschaften durch Kolonialisierung, Christianisierung oder Islamisierung und postkoloniale Entwicklung unterworfen waren, ist die Tradition der Maskierung bis heute lebendig. Das habe, sagt Okeke-Agulu, viele Gründe: Ausdrucksvolle religiöse Rituale bieten in vielen Gemeinden Halt und Stabilität, in anderen bedient der Mummenschanz eher nur das Bedürfnis nach Theater und Unterhaltung. Ferner gelte vielen Afrikanern die Maskerade „als ein vitaler Bestandteil alternativer Sozialpraktiken, als Teil eines Gegenentwurfs zu den von kolonialen und postkolonialen Staaten etablierten Gesellschaftsstrukturen“.
Da stört es auch nicht, dass viele der prächtigen Kostüme der Tanzgruppen in Nigeria heute nicht mehr aus Gras, sondern aus Kunstfaser gewoben sind. Und dass der Geist Ekpo einen immer größeren Plastikanteil aufweist. Die Masken verbreiten deswegen nicht weniger Furcht. „Aber“, sagt Okeke-Agulu, „sie sind jetzt viel bunter geworden.“