
"Haben Sie auch nichts vergessen?" fragt Mathias Schilling vorm Ablegen. Da spricht der erfahrene Inselbewohner, denn um auf seine 75 Hektar große Privatinsel Öhe zu gelangen, nimmt der 33-Jährige mehrmals täglich sein kleines Boot. Hat er etwas vergessen, muss er noch mal übersetzten – da kontrolliert man vorher lieber zweimal seine Taschen. Obwohl das Eiland nur einen Steinwurf vom Hafen in Schaprode auf Rügen entfernt liegt, ist es nicht mit einer Brücke mit der größten Insel Deutschlands verbunden. Die Überfahrt dauert weniger als eine Minute. Er legt routiniert an – und führt über sein Eiland im Nordwesten von Rügen.
"Auf Öhe stehen zwei Wohnhäuser; ein Gutshaus, in dem meine Eltern wohnen, wenn sie zu Besuch sind, und im ehemaligen Gesindehaus lebe ich mit meiner Frau Nicolle und meinen zwei Kindern."
Neben einer alten Scheune, einem offenen Rinderstall und einem Schafstall besitzt Öhe auch noch seinen eigenen Familienfriedhof. Schon seit dem 14. Jahrhundert befindet sich die Insel in privater Hand.
Zunächst wurde sie von der Familie von Öhe bewohnt und bewirtschaftet. Im 19. Jahrhundert heiratete die Familie Schilling ein. Auch zu DDR-Zeiten wurde die Eigentümer der Insel nicht enteignet, denn sie war zu klein. Mathias Schilling wuchs zwar in Schleswig-Holstein auf und war aber oft zu Besuch bei seinen Großeltern. Als sich 2006 für ihn Möglichkeit ergab, den Familienbesitz zu übernehmen, überlegte der studierte Landwirt nicht lange: "Verkaufe ich Öhe habe ich das Geld, um mir eine Insel zu kaufen, dann brauche ich sie aber auch nicht zu veräußern," sagte er sich – kurze Zeit später zog mit seiner Frau Nicolle von Berlin auf sein eigenes Eiland.
"Auf Öhe bin ich, weil ich etwas Neues schaffen will, ohne das zu zerstören, was meine Familie seit Jahrhunderten bewahrt hat", betont der Bio-Landwirt. So pflanzten seine Urgroßtanten Ida und Lauretta Schilling, die von 1860 bis 1921 auf Öhe lebten, unter anderem die Bäume, die heute eine stattliche Allee zum Gutshaus bilden. "Diese beiden Schwestern gingen schon damals in Hosen vor die Tür", sagt der junge Inselbesitzer nicht ohne Stolz.

Eine ihrer Maximen lautete: "Kein Baum darf gefällt werden, der hier gepflanzt wurde." Mathias Schilling hält sich daran. Zudem liegt Öhe mitten im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Der 33-Jährige betreibt hier seine Bio-Rinderzucht; eine konventionelle Landwirtschaft zu führen, wäre in diesem Naturschutzgebiet gar nicht erlaubt.
Mittlerweile grasen 140 Rinder der Rassen Blonde d'Aquitaine und Limousin auf seinen Salzwiesen.
"Mit Esel und Kringel haben wir begonnen, die haben wir mit dem Eimer groß gezogen." Die Namen seiner Rinder kennt er alle aus dem Effeff. Sie stehen auf einer Wiese gleich hinterm Haus und schauen alle kurz hoch, als würden sie sich wundern, dass er zu dieser Zeit vorbeikommt. Gleich daneben haben 60 Heidschnucken ihren Stall. Auch einige Lämmer sind schon da.

"Esel, Kringel und Co" bleiben in der Regel 30 Monate auf Öhe. "Die Mutterkühe werden sehr alt und sehen hier ihre Kälber aufwachsen", betont der Bio-Landwirt. Die französischen Rassen sind für ihr zartes Fleisch bekannt, doch hier bekommen sie das besondere Etwas: frisches Salzwiesengras und frische Ostseeluft. Ein Gewicht von 260 bis 300 Kilogramm müssen die Rinder erreichen, bevor sie zum Schlachthof gebracht werden.
Feinkost-Metzger Marcus Bauermann von der "Rügener Landschlachterei" in Parchtitz verarbeitet das Fleisch zu Salami, Pasteten und Rinder-Rillette. Der Weg zum Schlachthof soll möglichst stressfrei für die Tiere ablaufen. Doch auch sie müssen wenn es soweit ist übers Wasser. Dafür benutzt der Landwirt die große Treidelfähre. Mit dieser transportiert er auch das Heu für den Winter und alles Weitere, was er für die Landwirtschaft braucht und nicht schon auf der Insel vorhanden ist.

Nur wenige Meter von der Wiese seiner Rinder und Schafe liegt ein kleiner Naturstrand mit Sicht auf die Insel Hiddensee. Das ist der Lieblingsplatz von Mathias Schilling – ein perfekter Ort, um zur Ruhe zu kommen.
"Im Sommer, da ist Öhe ein Segen. Im Winter wird sie dagegen schon mal anstrengend. Wie in den letzten harten Wintern. Wenn man erst mal bei minus 20 Grad jeden Morgen das Wasser für die Rinder auftauen muss, zehrt das schon an einem", sagt der 33-Jährige. Einen Inselkoller hatte er aber noch nie. "Zwar brauche ich ab und an einen Tapetenwechsel und da ist mir Berlin immer willkommen. Nach ein paar Tagen will ich aber auch wieder zurück", sagt er bestimmt.
Schließlich betreibt die Familie Schilling nicht nur die Bio-Insel-Rinderzucht, sondern führt auch das Restaurant "Schillings Gasthof" in Schaprode. Gleich an der Hafenkante, da wo die Familie ihr Boot festmacht, ist sein zweites "Standbein" – die ehemalige Dorfgaststätte.

Seit 2011 kommt hier das Fleisch der Öhe auf den Tisch. Mathias Schilling kommt da zugute, dass er vor seinem Studium der Agarwirtschaft eine Lehre als Hotelkaufmann absolviert hat. Die Gaststätte hat er zusammen mit seiner Frau renoviert, dabei war es beiden sehr wichtig, deren alten Charme zu bewahren.
Neue Lampen und neue Tapeten treffen nun auf wieder flott gemachte, alte Stühle und einen schönen, alten Kachelofen. Im dazugehörigen kleinen Bio-Laden, neben der Gaststätte, liegen das Fleisch und die Würste von der Insel Öhe im Verkaufstresen. "Unsere Gäste können zwar nicht das Eiland besuchen, doch wenn sie vor unserem Gasthof auf der Terrasse sitzen, haben sie die Rinder und die Insel Öhe immer in Sichtweite."

Insider-Tipps von Mathias Schilling:
"Den Friedhof und die Kirche von Schaprode sollte man sich unbedingt angucken. Sie sind beide kleine Kulturschätze.
Zudem sollte man von Schaprode mit der Fähre und Fahrrad auf die autofreie Insel Hiddensee übersetzen. Am besten die Radtour in Neuendorf starten. Weiter über den Hafen in Vitte, am frisch sanierten Asta Nielsen-Haus in Vitte Station machen und dann weiter bis nach Kloster. Im Hafen von Kloster hinten am Anleger bei "Willi" Station machen – seine Fischbrötchen sind die allerbesten.
Wer dann noch nicht aus der Puste ist, kann auch noch eine Wanderung zum Leuchtturm Dornbusch unternehmen – für einen sonnigen Sonntag ist dieses einer meiner Lieblingstouren."