Alpenüberquerung Tegernsee – Sterzing: Zu Fuß über die Alpen – auf die leichte Tour
Alpenüberquerung Tegernsee – SterzingZu Fuß über die Alpen – auf die leichte Tour
Einmal über das mächtigste Gebirge Europas wandern: Davon träumen viele. Doch Tausende Höhenmeter auf schwierigen Bergpfaden schrecken ungeübte Wanderer ab. Jetzt gibt es eine Alpenüberquerung, die statt Leiden Genuss verspricht
Erst mal warm laufen: Noch gemächlich verläuft die erste Etappe der Alpenüberquerung von Gmund am Tegernsee nach Wildbad Kreuth. In Tegernsee bieten sich erste Einkehrmöglichkeiten
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Die Grenze zwischen Österreich und Italien ist überschritten, die letzten Meter bis zur Pfitscherjoch-Hütte sind geschafft. Glück gehabt, denn auf den letzten Kilometern bis zum Höhepunkt des heutigen Tages, dem Alpenhauptkamm in 2246 Metern Höhe, hat es angefangen zu regnen. Oben liegt jetzt, Ende Juni, Schnee, der in der Nacht gefallen ist. Der Blick ins Pfitschertal, unserem Tagesziel, ist wolkenverhangen, die umliegenden schneebedeckten Gipfel nur zu erahnen. Georg Pawlata, unser Bergführer, den sonst nichts aus der Ruhe bringt, blickt sorgenvoll in das dunkle Gewölk über den Dreitausendern.
Aber jetzt erst mal was essen! Eine Pfanne gratinierte Spaghetti und einen Gewürztraminer später treten wir ins Freie – und sind nicht nur beschwingt, sondern begeistert. Der Regen hat aufgehört, über dem Tal zeigen sich blaue Fetzen. Die Silhouetten der Bergriesen zeigen sich messerscharf. Wir beginnen den Abstieg, zunächst über steile Serpentinen, vorbei an Enzian und Alpenklee, dann sachte, immer begleitet vom anschwellenden Rauschen der Bäche, in den schattigen Zirben- und Lärchenwald hinein.
Georg Pawlata ist der Erfinder der Alpenüberquerung "light". Und sorgte auch für die lückenlose Ausschilderung mit einem "Ü"
Die Etappe vom Schlegeis-See bis ins Pfitschtal ist die sechste Etappe einer siebentägigen Alpenüberquerung, deren Erfinder und Initiator Georg Pawlata ist. Der 43-jährige Geograf aus Innsbruck suchte nach einer leicht begehbaren Alternative zu Transalp-Klassikern wie München – Venedig oder Oberstdorf – Meran. Routen, die nur erfahrenen und einigermaßen leidensfähigen Weitwanderern zu empfehlen sind. „Mein Ziel war eine Alpenüberquerung für den durchschnittlich trainierten Wanderer. Landschaftliche Highlights Schritt für Schritt, gut begehbare Wege, moderate Gehzeiten und Höhenmeter. Und wo es gar nicht anders geht: Seilbahnen und öffentliche Verkehrsmittel“, sagt Pawlata.
Drei Jahre lang studierte der passionierte Bergsportler Karten, lief einzelne Wegabschnitte, sprach mit Tourismusverbänden. 2014 war die Route fertig: 184 Kilometer durch Deutschland, Österreich und Südtirol. Von Gmund am Tegernsee verläuft die Strecke – hervorragend mit einem „Ü“ markiert – in sieben Etappen zum Achensee und durch das Zillertal bis nach Sterzing, der nördlichsten Stadt Italiens. "Hatscher" – so nennt der (österreichische) Wanderer unerfreuliche Wegabschnitte, die sich quälend in die Länge ziehen – vermied er.
So ersparen sich Alpenüberquerer beispielsweise am Abend der fünften Etappe einen zermürbenden Abstieg über 1400 Höhenmeter nach Mayrhofen im Zillertal – mit dem Linienbus und der Zillertalbahn. Am nächsten Morgen bringt sie ein anderer Linienbus zum Startpunkt der vorletzten Etappe, dem Schlegeis-See auf 1800 Meter Höhe. Hier erwartet Wanderer die „Königsetappe“ der ganzen Tour, die Überquerung des Alpenhauptkamms am Pfitscherjoch.
Der Blick vom Pfitscherjoch ins Pfitschtal (Südtirol): Gut 850 Meter Abstieg liegen vor uns
Verschmerzbarer Kompromiss zwischen Purismus und Genuss
Sicher: Puristen dürften sich an der Vorstellung stoßen, hin und wieder mit dem Bus Hunderte Höhenmeter und Wegabschnitte entlang von Straßen zu überwinden. Aber warum so streng sein? Wem es um das Erlebnis und den Genuss geht, für den dürfte diese Alpenüberquerung eine verlockende Variante sein. Die Etappen sind höchstens mittelschwer und nicht länger als 20 Kilometer oder knapp sechs Stunden reine Gehzeit. Also gut machbar mit der ganzen Familie - Oma und Opa inklusive. Die älteste Teilnehmerin sei bereits 86 Jahre gewesen, erzählt Pawlata während wir den Talboden des Pfitschtals erreichen.
Dabei kann die Route, genau wie die Klassiker, mit grandiosen Momenten in der einzigartigen Bergwelt der nördlichen und Zentralalpen aufwarten. Und Hotels und Gasthöfe am Weg bieten Komfort, eine Dusche, leckeres Essen und einen erholsamen Schlaf. Wer schon in einer der Massenunterkünfte der Berghütten seine Nächte damit verbracht hat, verschwitzt dem Schnarchen der Mitwanderer zu lauschen, weiß das zu schätzen.
Der Abstieg vom Pfitscherjoch führt zunächst über felsiges Terrain und karge Matten, dann durch Mischwald - begleitet vom Rauschen zahlreicher Bäche
Ankunft in Sterzing. Die Kraft reicht locker noch für eine Stadtführung in der gotischen Altstadt. Weitwanderer flanieren, Radwanderer rollen gemächlich durch die von Bürgerhäusern und Gaststuben gesäumte Fußgängerzone. Während wir vor dem Gasthaus Lamm bei einem Wein die Highlights der Tour Revue passieren lassen, nähert sich eine Familie aus dem Sauerland, die wir unterwegs immer wieder getroffen haben. Zieleinlauf. Großes Hallo und Applaus. Die letzte Etappe, sagt der Familienvater, um die fünfzig, sei die schwerste gewesen. Aber nicht, weil sie so anstrengend war. Sondern weil es die letzte war. Darauf einen Gewürztraminer.
Info
Die Website zur Alpenüberquerung informiert über alle Etappen, Highlights, und gibt Tipps zur Planung und Ausrüstung. An- und Abreise sind von München und von Sterzing mit dem Zug problemlos möglich.
Man kann die Wanderung auf eigene Faust unternehmen, aber auf Wunsch auch Hotels, Gepäcktransport und Rücktransport nach Gmund im Paket dazubuchen. Alle Angebote gibt es auf der Website zur Alpenüberquerung.
Für die perfekte Orientierung im Gelände gibt es eine Wanderkarte zur Alpenüberquerung Tegernsee – Sterzing, erschienen im Kompass-Verlag, die alle Etappen im Maßstab 1:50.000 abdeckt.
Die Recherche wurde unterstützt von den Tourismusverbänden von Tegernsee-Schliersee, Achensee, Zillertal und Sterzing. Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Berichterstattung.