Wenn ein Wolf durch sein Revier streift, wählt er oft jene Routen aus, die er schon kennt. Er kehrt über Tage, Wochen oder sogar Monate immer wieder auf gewohnte Wege zurück – bewegt sich wie auf unsichtbaren Straßen durch Wälder, über Wiesen und an Flüssen entlang. Ein Puma hingegen schlägt gern immer wieder neue Richtungen ein, auch wenn er sich das Jagdgebiet mit dem Wolf teilt. Diese Unterschiede erahnte man schon lange, doch existierten als Beleg nur Anekdoten darüber. Nun hat ein Team erstmals Daten veröffentlicht, die zeigen: Das ist kein Zufall, sondern ein Muster, sogar ein globales. Arten aus der Familie der Katzen bewegen sich anders durch ihre Welt als jene aus der Familie der Hunde.
Als sie die Bewegungsdaten übereinander legten, zeigte sich ein verblüffend einheitliches Bild
Ein internationales Forschungsteam hat die Bewegungen von 1239 Tieren ausgewertet – darunter Wölfe, Kojoten, Füchse, Luchse, Leoparden und Löwen. Über fast ein Jahrzehnt hinweg zeichneten GPS-Halsbänder auf sechs Kontinenten ihre Wege auf. Rund 150 Institutionen lieferten Daten von australischen Dingos, nordamerikanischen Kojoten bis hin zu afrikanischen Löwen. Entstanden ist eine der bislang größten vergleichenden Studien zur Raubtierbewegung.
Als die Forschenden die Bewegungsdaten übereinander legten, zeigte sich ein verblüffend einheitliches Bild: Spezies wie Wolf, Fuchs oder Kojote nutzen deutlich häufiger feste Routen durch ihre Reviere – sie sind die Gewohnheitstiere in diesem Vergleich, da sie Mustern zu folgen scheinen. Großkatzen wie Leopard, Puma oder Luchs dagegen legen ihre Wegfindung chaotischer an, steuern häufiger neue Routen an, kreuzen seltener dieselben Pfade und zeigen deutlich weniger Routine.
Die Unterschiede waren so beständig, dass sie selbst dann bestehen blieben, wenn Tiere gegenübergestellt wurden, die in derselben Landschaft beheimatet sind – etwa Kojoten und Pumas in den Rocky Mountains. Dort zeigte sich besonders deutlich: Die Kojoten marschieren immer wieder auf denselben Routen, während sich die Pumas freier durch das Gelände bewegen.
Die Indizien sprechen für einen tief verwurzelten evolutionären Grund
Die Forschenden prägten für die wiederholt genutzten Tracks den Begriff "Routeways" – ein Zwischending aus Route, Strecke und Leitungsbahn. Um sie nachzuweisen, dokumentierten sie die schmalen Zonen, in denen Tiere wiederholt in ähnlicher Richtung unterwegs waren. Bei Arten wie Wolf oder Fuchs zeigte sich eine deutlich höhere Verdichtung solcher Zonen und damit eine intensivere Nutzung.
Woher diese Unterschiede stammen, ist noch ungewiss – aber die Indizien sprechen für einen tief verwurzelten evolutionären Grund. Wölfe und Füchse orientieren sich überwiegend über Geruch, was es ihnen offenbar erleichtert, bestimmte Strecken immer wieder aufzufinden. Großkatzen jagen eher schleichend, solo und oft in dichter Vegetation – womöglich fördert dies ihre eher chaotische Wegwahl.

Vermutlich entscheidet die Jagdtechnik hier mit: Wölfe beispielsweise hetzen Beute oft über Distanzen und scheinen dafür bevorzugte Lauftrassen zu haben, die sich einem Rudel einprägen. Ein einzelgängerischer Puma hingegen profitiert oft von Überraschung und Flexibilität.
Haushunde schneiden in Tests besser ab als Katzen
Manche Forschende vermuten sogar kognitive Einflüsse: In Laborstudien schneiden Haushunde in Tests zu räumlichem Gedächtnis und Objektwahrnehmung besser ab als Hauskatzen. Ob und wie sich das auf ihre in der Wildnis lebenden Verwandten übertragen lässt, ist allerdings noch ungewiss.
Die Folgen dieser Erkenntnisse hingegen sind schon jetzt offenkundig und reichen weit über die bloße Beschreibung von Tierverhalten hinaus. Jahrzehntelang gingen mathematische Modelle in der Wildtierökologie oft davon aus, dass sich Raubtiere im Raum eher unregelmäßig bewegen. Die neuen Daten lassen nun an dieser Prognose zweifeln – mit Konsequenzen: Wenn ein Wolf auf festen Routen patrouilliert, begegnet er Beute, Rivalen oder Krankheitserregern ganz anders als ein Luchs, der sich freier durch sein angestammtes Gebiet schlägt.
Die Studie könnte deshalb beispielsweise gängige Modelle zur Ausbreitung von Krankheiten verbessern: Tollwut, Staupe oder Milzbrand verbreiten sich bei Arten mit festen Bewegungsrouten möglicherweise anders als bei solchen, die ihre Wege variieren. Die neuen Einsichten helfen möglicherweise auch bei der Einschätzung, welche Zoonosen – zwischen Tieren und Menschen übertragene Krankheiten – wo zirkulieren, bevor sie auf uns überspringen könnten.
Vor allem aber für den Artenschutz verändert sich die Perspektive: Wer Schutzkorridore oder Straßenquerungen plant, muss wissen, ob ein Tier dieselben Pfade immer wieder nutzt – oder eben nicht. Denn Puma, Löwe oder Fuchs ticken nun mal unterschiedlich.