GEO.de: Warum versehen Sie Schmetterlinge mit Peilsendern?
Martin Wikelski: Wir wollen verstehen, was die einzelnen Tiere eigentlich draußen machen. Bei den Monarchfaltern erforschen wir besonders das Verhalten während des Fluges. Im Wesentlichen sind die Zugbewegungen dieser Wanderfalter sind ja schon bekannt: Jedes Jahr fliegen sie in zwei bis vier Generationen von Mexiko in nordöstlicher Richtung bis nach Kanada, die folgende Herbstgeneration kehrt in umgekehrter Richtung zurück nach Mexiko. Wir wissen aber nicht, wie jeder einzelne Falter diese unglaubliche Distanz von 3500 Kilometern zurücklegt. Was passiert, wenn er durch den Wind an die amerikanische Ostküste verfrachtet wird? Stirbt er? Fliegt er über das Meer? Orientiert er sich sich an Artgenossen oder an Gerüchen? Am Magnetfeld der Erde? Oder an der Sonne?
Außerdem geht es natürlich um konkreten Tierschutz. Die Monarchen sind in Gefahr - wie das gesamte Migrationsphänomen. Wir hoffen mit unseren Daten zeigen zu können, welche Gebiete geschützt, welche Korridore erhalten werden müssen.
Wozu sind Ihre Erkenntnisse sonst noch gut?
Solche Forschungen sind enorm wichtig. Denken Sie nur an Bestäubungsvorgänge im Pflanzenreich. Für die sind zu einem großen Teil Insekten - auch wandernde - unerlässlich. Von Bestäubung hängt die Ernährung der Weltbevölkerung zu einem sehr hohen Prozentsatz ab. Da gibt es massiven Forschungsbedarf. Wir leisten mit der Besenderung von Insekten wie Monarchfaltern oder Hummeln Pionierarbeit.
Wie sieht so ein Sender aus?
Der Radio-Transmitter ist etwa 7 Millimeter lang, 2,5 breit und 1,5 hoch: eine winzige Platine mit einem Quartz, der das Signal gibt, und einer kleinen Antenne. Er wiegt ungefähr ein Drittel eines Monarchfalters, rund 200 Milligramm. Das Schwerste daran ist die Batterie - die kleinste handelsübliche Hörgerätebatterie.
Haben Sie keine Sorge, dass die Falter wegen der ungewohnten Last anders, vor allem kürzere Strecken fliegen?
Wir haben festgestellt, dass sich die Tiere schnell an die Last gewöhnen. Schmetterlingsforscher, die die Falter schon 30 Jahre lang beobachten, sagten, sie könnten beim Flugverhalten keinen Unterschied zwischen normalen und besenderten Tieren sehen. Sie müssen bedenken, dass Schmetterlinge nicht wie Vögel oder Flugzeuge fliegen. Sie sind klein und leicht und haben eine ganz andere Aerodynamik. Sie schwimmen in der Luft eher, als dass sie fliegen - wie in einer wässrigen Lösung. Da fällt die - relativ zu ihrem Körpergewicht erhebliche - "Zuladung" nicht so ins Gewicht.
Trotzdem befreien wir die Tiere nach einer gewissen Zeit wieder von dem Sender. Wir achten sehr darauf, dass wir den Individuen nicht schaden. Selbst wenn es "nur" um Schmetterlinge, Hummeln oder Heuschrecken geht.
Sie haben auch schon andere Tierarten mittels Peilsendern bei ihren Wanderungen beobachtet. Haben Sie dabei interessante Entdeckungen gemacht?
Wir haben Libellen über 150 Kilometer verfolgt - und herausgefunden, dass sie im Prinzip dieselben Zugmuster zeigen und dieselben Entscheidungen treffen wie Singvögel oder Raubvögel, zum Beispiel Sperber. Und wir haben herausgefunden, dass sie nur nach Süden ziehen, wenn es in zwei aufeinander folgenden Nächten kälter wird. Außerdem konnten wir beobachten, wie Evolution im Freiland funktionieren kann: Es gibt Individuen, die einfach dämlich sind oder Pech haben. Die werden halt ausselektiert.
In Venezuela haben wir Fettschwalme beobachtet, Vögel, die in Höhlen leben. Sie ernähren sich von Früchten. Bisher glaubte man, sie würden im Ökosystem kaum eine Rolle spielen, weil sie jeden Tag zu ihren Höhlen zurückkehren und dort die unverdauten Samen ausspucken. Wir wollten unsere Sender eigentlich nur testen. Doch dann stellten wir fest, dass die einzelnen Vögel erst nach drei oder vier Tagen wiederkamen. Wir konnten also zweierlei zeigen: Dass eine Kolonie aus drei oder viermal so vielen Tieren besteht, wie bisher angenommen - weil es dort sozusagen Schichtdienst gibt. Und dass die Fettschwalme die Haupt-Samenverbreiter der Ölpalmen im Orinoco- und Amazonasgebiet sind, weil sie zwischen 10 und 100 Kilometer pro Nacht zwischen Fressplatz und Schlafbaum umherfliegen und unterwegs und am Schlafbaum die Kerne ausspucken.
Interview: Peter Carstens