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Artenvielfalt Warum uns Vögel so glücklich machen wie Geld

Nachtigall
Es ist die Nachtigall und auch die Lerche: Forscher haben untersucht, was die Vogelvielfalt mit unserer Zufriedenheit zu tun hat
© Bouke Atema / Shutterstock
Der Waldspaziergang, ein Picknick im Park oder Urlaub auf Balkonien: Dem Alltagsstress entfliehen viele von uns in der Natur. Deutsche Forscher haben dazu eine einleuchtende Rechnung aufgestellt: Je größer die Vogelvielfalt in unserer Umgebung, desto zufriedener sind wir

Die Entspannungs-App simuliert mit Meeresgeräuschen eine stressfreie Auszeit, das sanfte Rauschen des Windes in den Bäumen vom Band wiegt einen langsam in den Schlaf, und statt des anstrengenden Pieptons ist der Wecker längst auf Vogelgezwitscher eingestellt. Manch ein Stadtmensch holt sich die fehlende Natur regelmäßig als simulierten Gast ins Haus, und wer im Einklang mit Flora und Fauna lebt, wird es womöglich längst gewusst haben: Die Natur hat einen direkten Einfluss auf unsere Glücksgefühle.

Ein solch positiver Effekt der Natur auf unser Wohlbefinden ist wissenschaftlich bereits vielfach untersucht worden. So zeigte unter anderem die US-Forscherin Mary Carol Hunter von der University of Michigan in einer klein angelegten Studie, dass schon wenige 20- bis 30-minütige Naturaufenthalte pro Woche, wie Gartenarbeit oder Spaziergänge, den Pegel der Stresshormone um mehr als 20 Prozent senken können. Eine laufende Studie wird noch konkreter: "Alle Vögel sind schon da - Vogelbeobachtung in vollstationären Einrichtungen" wurde als Projekt des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) ins Leben gerufen, um den Bewohner von 76 Pflegeheimen in Bayern Naturerlebnisse zu bieten und so dem Verlust von Lebensqualität entgegenzuwirken. Dazu wurden Vogelfutterhäuschen installiert und Informationsarbeit zu hiesigen Vogelarten geleistet. Nach eineinhalb Jahren konstatierte ein Forscherteam um die Sozialpsychologin Elisabeth Kals von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt in einer Begleitstudie, dass die biopsychosoziale Gesundheit der Bewohner durch Vogelbeobachtung deutlich positiv beeinflusst worden sei. Das Projekt wurde nach einer dreijährigen Pilotphase jüngst bis Ende 2021 verlängert und soll um 60 Seniorenheime erweitert werden.

Forscher der Universität Kiel, des Forschungsinstituts Senckenberg und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) kamen in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass eine hohe Vogelvielfalt in der näheren Umgebung für die Lebenszufriedenheit genauso wichtig sein könnte wie das Einkommen. Und zwar europaweit. Demnach hätten zehn Prozent mehr Vogelarten in der Umgebung einen mindestens ebenso positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit von Europäern wie eine vergleichbare Einkommenssteigerung.

Als Basis für ihre Studie dienten die Daten der „Europäischen Erhebung zur Lebensqualität“ (EQLS), die alle vier Jahre unter 26.000 Europäern durchgeführt wird und demografische und sozioökonomische Themenbereiche wie Einkommen, Familienstand, Bildungsniveau, das Wohngebiet und den Gesundheitszustand berücksichtigt. Zum hiesigen Artenreichtum und anderen Merkmalen der Natur und des Klimas zogen sie Geodaten (wie Atlasdaten oder Artenverteilungskarten) und Satellitenbilder heran und verglichen die verschiedenen Naturfaktoren miteinander. Während der Artenreichtum von Säugetieren, Bäumen und anderen Naturmerkmalen und auch das Klima als nicht signifikant eingestuft wurden, scheint die Vogelvielfalt sehr wohl mit der Lebenszufriedenheit in ganz Europa zusammenzuhängen. Welche körperlichen oder psychologischen Faktoren allerdings zu den rein statistisch gemessenen Effekten führen, konnte die Studie nicht beantworten.

Neben dem direkten multisensorischen Erlebnis von Vögeln gelten die Tiere dabei auch als Indikator für einen weiteren Einflussfaktor auf unser Wohlbefinden: unsere Umgebung. Denn eine große Vogelvielfalt herrscht meist dort, wo naturbelassene und abwechslungsreiche Landschaften in der Nähe sind. Joel Methorst, Erstautor der Studie, fasst zusammen: „Die glücklichsten Europäer*innen sind unseren Ergebnissen zufolge diejenigen, die in ihrem tagtäglichen Leben viele verschiedene Vogelarten erleben können, oder die in einer naturnahen Umgebung leben, in der viele Arten beheimatet sind.“

Die Forscher hoffen, dass ihre Informationen einen Einfluss auf evidenzbasierte politische Entscheidungen in Bezug auf das Umweltmanagement und naturbasierte Lösungen zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit haben könnten. Denn, so Methorst abschließend, „das Global Assessment 2019 des Weltbiodiversitätsrates IPBES und spezielle Studien zu Vogelarten in der europäischen Agrarlandschaft belegen eindrücklich, dass die biologische Vielfalt derzeit in einem dramatischen Maße schwindet. Es besteht daher die Gefahr, dass auch die Lebenszufriedenheit der Menschen bei einer verarmten Natur leidet. Naturschutz sichert deshalb nicht nur unsere materielle Lebensgrundlage, sondern ist auch eine Investition in unser aller Wohlbefinden“.

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