Im Jahr 2015 stieß eine Gruppe von Biologen zum ersten Mal auf ein verstörendes Bild in den sozialen Medien. Es zeigte einen lebenden Albatros, dem ein Teil seines Schnabels fehlte. Unwahrscheinlich, dass es sich um einen Unfall handelte. Aber wer macht so was? Das Team begann das Internet und andere Quellen nach Bildern und dokumentierten Funden von lebenden und toten, verstümmelten Albatrossen zu durchforsten.
Am Ende fanden die Forscher über eine Zeitspanne von zwanzig Jahren 46 so genannte Röhrennasen: große Seevögel, zu denen auch die Albatrosse gehören. 29 von ihnen waren lebend dokumentiert worden, 17 waren tot. Die Tiere gehörten acht verschiedenen Arten an, von denen vier in ihrem Bestand bedroht sind. Allen waren entweder der Ober- oder der Unterschnabel abgetrennt worden. Oder gleich der ganze Schnabel.
Die Funde beschränkten sich auf den südwestlichen Atlantik: Gewässer weitab der Küsten von Brasilien, Uruguay und Argentinien.
Nach der Auswertung sind sich die Forscher sicher: Die Tiere wurden von Fischern auf hoher See verstümmelt – als Kollateralschäden der Langleinenfischerei.
Beifang der besonders grausamen Art
Bei dieser Art der Fischerei werden an einer langen, stabilen Schnur in gleichmäßigen Abständen Haken mit Fleischködern befestigt, um Thun- oder Schwertfische zu fangen. Beim Auslegen stürzen sich Meeresvögel auf die in die Tiefe gleitenden Leckerbissen – und geraten selbst an den Haken.
„Es ist klar“, sagt der an der Studie beteiligte Biologe Alex Bond, „dass manche Arbeiter einfach ein Messer nehmen und den Schnabel abschneiden, um den Vogel unaufwändig vom Haken zu bekommen. Und ihn dann über Bord werfen.“
Wie lange Tiere mit solchen Verstümmelungen überleben, ist nicht bekannt. Früher oder später verhungern sie jedoch, weil sie ihre Beute nicht mehr richtig packen können.
Forscher rechnen mit großer Dunkelziffer
Das Problem, so Alex Bond, ist offenbar größer, als die Funde vermuten lassen. Denn wenn die Tiere auf hoher See getötet werden oder verenden, brauchen die Kadaver selbst im Idealfall noch Wochen, um an die nächste Küste angeschwemmt zu werden. Dort müssen sie noch gefunden und die Fundumstände dokumentiert werden.
Das Problem des Vogel-Beifangs ist seit langem bekannt – ebenso wie die Maßnahmen, die die unbeabsichtigten Verletzungen und Tötungen verhindern können. So konnte die Albatross Task Force in Zusammenarbeit mit lokalen Fischereien und Behörden den Albatross-Beifang in südafrikanischen Gewässern seit dem Jahr 2006 um 99 Prozent reduzieren.
Die Forscher hoffen nun, dass auch im südwestlichen Atlantik durch Information und behördliche Kontrollen die Opferzahlen verringert werden können.
Albatrosse können mehr als 60 Jahre alt werden und sind wahre Globetrotter der Meere. 15 der 22 Arten gelten heute als vom Aussterben bedroht.