Es ist einer dieser Tage, an denen Frank Schweikert in Eile ist. Er kommt mit dem ICE aus Berlin, zieht sich in seiner Wohnung am Hamburger Fischmarkt noch schnell um, um dann mit dem Auto weiter nach Bremen zu fahren. Dort steigt er in den Zug nach Bremerhaven, wo ihn ein Taxi zum Hafen bringt. Und nun geht es schnellen Schrittes am Deutschen Schifffahrtsmuseum vorbei, weiter die Promenade hinunter, bis auf Höhe des vor drei Jahren eröffneten Klimahauses, das wie ein sehr großer gestrandeter Wal daliegt. Das neue Wahrzeichen der sonst eher grauen Stadt am Meer ist allerdings nicht das Ziel des 48-Jährigen. Frank Schweikert läuft weiter, es zieht ihn zum Wasser, runter zum Ufer der Weser. Dort stellt er sich auf einen schmalen Ponton und wartet. Eine leuchtend gelbe Yacht nähert sich.
Die Aldebaran ist auf dem Weg nach Bremen, wo ein neuer Tauchkompressor eingebaut werden soll. Die zweitägige Fahrt des 14 Meter langen Segelschiffes führt von Glückstadt, wo es den Winter verbracht hat, die Elbe hinunter, wenige Seemeilen durch die Nordsee und weiter die Weser hinauf. Doch die Segel sind eingeholt. Es herrscht Flaute. Der Dieselmotor brummt. Die Aldebaran ist ein Medien- und Forschungsschiff, ein schwimmender Ü-Wagen. "TV-Schnittplatz, Tonstudio, Unterwasserkameras, wissenschaftliches Labor, modernste Kommunikationstechnologie" - Frank Schweikerts Augen leuchten, als er auf dem Rundgang unter Deck die technischen Finessen erklärt und zeigt, wie viel auf wenig Fläche möglich ist.
Eine Segelyacht, vollgestopft mit Elektronik
Allein um die Technik zu betreiben, bräuchte man 19 Personen an Bord. Es bleibt aber gerade Platz für acht Crewmitglieder. So muss jeder mindestens in doppelter Funktion arbeiten. Das Ziel: eine nachhaltige Umweltberichterstattung auf höchstem Niveau. Das Motto: Vom Meer in die Medien. "Wir sind kein Umweltverband", betont Schweikert, "wir sind eine Organisation, die das Meer in unsere Köpfe bringt und hilft, wichtige Nachrichten über das Meer zu verbreiten und auf seine Gefährdung hinzuweisen."
Es gibt die Aldebaran, das Schiff, und es gibt Aldebaran, die Organisation. Beides wird nun 20 Jahre alt. Am 5. Juni 1992, dem internationalen Tag der Umwelt, wurde das Projekt in Kiel vor dem Institut für Meereskunde vorgestellt. Die Jungfernfahrt führte in die Flensburger Förde, wo Wissenschaftler wieder Heringe entdeckt hatten. In Kooperation mit der ARD übertrug man erstmals live von Bord. Einen Sommer später segelte man zum ersten Auslandsprojekt nach Litauen. Bis heute hat die hochseetaugliche Aluminiumyacht auf der Elbe, der Nord- und Ostsee, sowie im Mittelmeer, auf dem Atlantik und in der Karibik tausende Seemeilen zurückgelegt.
Die Aldebaran ist auch für seichte Gewässer geeignet
Mit dem kanarischen Umweltministerium führte die Crew Walforschungen durch. Vor der Küste von Belize untersuchte sie das Sterben von Korallenriffen. Der Vorteil der schwimmenden Sendeplattform gegenüber großer Forschungsschiffe ist ihr geringer Tiefgang von - holt man das Schwert ein - gerade mal 80 Zentimetern. So kann die Yacht im Watt auch trocken fallen und vor allem in küstennahen, flachen Gewässern eingesetzt werden, wo Biologen die Algenbildung oder die Laichgewohnheiten von Fischen studieren können. Frank Schweikert: "Wir sind in der Lage, auf allen Weltmeeren zu fahren. Es gibt kein vergleichbares Projekt in Europa oder sogar weltweit."
Der Mann mit den schwarzen, kurzen Haaren, den braunen Augen und dem seit Tagen nicht rasierten Bart ist im Sternzeichen Stier geboren. Der hellste Stern im Sternbild ist das "Rote Auge", auch Aldebaran genannt. Er sagt: "Auf dem Schiff sein zu können, bedeutet für mich grenzenlose Freiheit. Ich bin viel zu selten hier, kaum 14 Tage im Jahr." Es ist paradox, aber ausgerechnet Schweikert, der das Meer liebt, wie er sagt, verbringt die meiste Zeit an Land - im Büro, in ICEs, auf Vorträgen oder in Meetings. Frank Schweikert hält das Ruder in der Hand. Er muss das Geld beschaffen und neue Projekte an Land ziehen. Minimum zehn Stunden Arbeit am Tag. Sieben Tage die Woche. Eine Lebensaufgabe. Und das Meer ist sein Antrieb.
Ein großes Netzwerk, viele Sympathisanten, ehrenamtliche Helfer, private Sponsoren, Stiftungen, öffentliche Mittel und eine große Portion Idealismus - nur so konnte seine Idee zwei Jahrzehnte überleben. Sechs Leute sind zurzeit dauerhaft bei Aldebaran beschäftigt. Täglich kommen zwei Bewerbungen für Volontariate, feste Stellen oder Praktika. Frank Schweikert sagt: "Wenn mehr Geld da wäre, könnte das Schiff intensiver genutzt werden." Die Hälfte der Zeit geht für die Akquise von Geld drauf. Ein Tag auf dem Wasser benötigt fünf Tage Planung an Land.
Seine tiefe Verbundenheit mit dem Meer hatte sich früh als Ausbildungsskipper an der Adria entwickelt. Das Wasser faszinierte ihn. Er liebte die Dokumentarfilme von Jacques Cousteau, dem französischen Meeresforscher. Und schon als Jugendlicher arbeitete er als Segellehrer in Österreich. Es folgten erste Hochseetörns. Sein wissenschaftliches Interesse aber kam erst später - es fing an mit einem Wassertropfen: Frank Schweikert studierte Biologie in Stuttgart. Sein damaliger Professor schrieb ein Buch über das Leben im Wassertropfen, mit großer Hingabe zum Detail und vielen mikroskopischen Zeichnungen. "Er hat mich angesteckt", blickt Schweikert zurück, "von da an gab es für mich kein Törns ohne Mikroskop."
Der erste Gedanke nach dem Studium: Wie kann man das unendliche Wissen über das Meer greifbar und für die Masse attraktiv machen? Hurrikan "Hugo" kam zur Hilfe. Im Herbst 1989 wütete der tropische Wirbelsturm in der Karibik und zerstörte auch die Yacht eines französischen Arztes. Das Schiff wurde nach Wilhelmshaven verfrachtet, wo es in einer Werft repariert werden sollte. Frank Schweikert aber entdeckte es vorher. Er verschuldete sich mit einem horrenden Kredit, kaufte das Wrack für 200.000 Mark und transportierte es nach Süddeutschland auf das Grundstück seiner Eltern. Er war gerade 27 geworden. Und er war fasziniert von einer Idee: Er wollte Brücken zwischen dem Meer, der Wissenschaft, den Medien und der Öffentlichkeit bauen.
Drei Kilometer Kabel und ein Schuldenberg
In fast zweijähriger Arbeit wurde die sturmgeschädigte Yacht nach genauen Vorstellungen zum Forschungs- und Medienschiff umgerüstet. Drei Kilometer Kabel wurden verlegt. Zeitweise arbeiteten 15 Leute gleichzeitig an dem Schiff. Tag und Nacht. In den ersten Jahren aber wuchs der Schuldenberg schnell auf das Doppelte und Dreifache. Alleine 50.000 Mark an Zinsen pro Jahr. "Eine schwierige Zeit", blickt Schweikert zurück, "doch so viele schwierige Momente, wie es gab, gab es immer auch Freunde, die mich unterstützt und mir zur Seite gestanden haben."
Es ist schnell herauszuhören, dass Frank Schweikert viele Jahre als Radiojournalist gearbeitet hat. Seine Sätze haben eine gute Sendelänge. Er hat auch schon viele Interviews gegeben. Er sagt: "Das Meer ist faszinierend und mystisch zugleich. Es machen sich aber noch immer viel zu wenig Menschen Gedanken darüber. Die Menschen begreifen immer noch nicht, dass das Meer der wichtigste Lebensraum ist." Jetzt hält er einen kleinen Vortrag über die Artenvielfalt der Meere und die Unwissenheit des Menschen: "Man schätzt, dass es 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten im Meer gibt, man kennt aber bloß 140.000. Das sind gerade mal neun Prozent. Der größte Teil der großen Fische ist aber schon abgefischt.
Die Meere versauern
Und der Einfluss des CO2 auf das Meer ist verheerend. Man schätzt, dass es im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten um 30 Prozent saurer geworden ist. Doch niemand kann sich vorstellen, was das bedeutet. Die Erwärmung und die Versauerung der Meere kamen viel schneller als erwartet. Es gibt auch viel zu wenig Forschung darüber. Ich mache mir weniger Sorgen um das Meer, sondern mehr um den Menschen. Das Meer wird uns überleben, wir Menschen aber werden Probleme bekommen, wenn wir nicht schnell etwas ändern. Das Meer hat den allergrößten Einfluss auf das Klima. Es ist die weltgrößte Ressource für Nahrungsmittel und Transport. Wenn wir es zerstören, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Konsequenzen zu tragen - was das heißt, kann sich heute keiner ausmalen."
Frank Schweikert ist zurück in Hamburg. Er sitzt an seinem Schreibtisch und blickt auf den Nikolaifleet, auf dem die Touristenbarkassen zwischen Alster und Elbe an seinem Fenster vorbeischippern. Es verwundert kaum, dass sein Büro unmittelbar am Wasser liegt. Vor eineinhalb Jahren hat Aldebaran in der Altstadt ein neues Hauptquartier in einem denkmalgeschützten Kaufmannshaus bezogen. An der Wand hängen gelbe DIN-A5-Blätter mit Stichworten der geplanten Projekte. Beinahe 30 sind es.
Wattenmeer, Lebensraum Elbe und Meereswettbewerb steht auf den Zetteln: Schüler ab der neunten Klasse bewerben sich mit Projekten - eine Jury entscheidet. Der Preis: Eine Woche Forschen an Bord der Aldebaran. GEO-Tag der Artenvielfalt 16. Juni und 4. Hamburger Klimawoche September hat er auf weitere Zettel geschrieben. Daneben: Indien, wo die biologische Vielfalt der Unterwasserwelt der Lakkadiven, der Inselgruppe 400 Kilometer vor der Westküste, untersucht werden soll. Viele Projekte wollen mit wenig Geld realisiert werden. "So arbeiten wir schon immer", sagt Frank Schweikert, "alles muss individuell finanziert werden." Er weiß, dass nicht alle Ideen verwirklicht werden können. Doch er bleibt gelassen. Denn er weiß auch, dass die Themen, die das Meer bietet, nie ausgehen werden.