Wasserkreislauf Weshalb Hochwasserschutz im Wald anfängt

Steinklamm
Im komplexen Wasserkreislauf spielt Wald eine entscheidende Rolle: Sein besonderer Boden vermag riesige Mengen Feuchtigkeit zu speichern und kann so vor Fluten schützen
© Sven Herdt / mauritius images
Wo Wald wächst, bildet sich eine einzigartige Form von Erdreich: ein Labyrinth aus feinsten Gängen und Poren, das unzähligen Lebewesen eine Heimstatt gibt. Dieser Boden vermag wie ein Schwamm Wasser zu speichern und kann so helfen, Hochwasser zu verhindern

Wir treten ihn buchstäblich mit Füßen und schenken ihm meist wenig Beachtung. Erst wenn auf ihm das Wasser steht oder sich in Fluten durch die Täler wälzt, fragen wir uns, warum das Nass nicht rechtzeitig in ihm versickert: im Boden. Während in Städten offensichtlich ist, wie großflächig wir den Untergrund im Laufe der Urbanisierung versiegelt haben, wie wenig Chance wir dem Niederschlag geben, in den Boden einzudringen, mag dies im ländlichen Raum weniger ins Auge fallen. 

Doch auch hier wurde in der Vergangenheit vielfach gegen das Wasser gearbeitet, wurden wichtige Rückhaltebecken beseitigt. 95 Prozent der hiesigen Moore: trockengelegt. Fast alle Fließgewässer: ausgebaut, eingedeicht. Und allzu viele Böden: verdichtet und damit nicht mehr imstande, rasch genug Wasser aufzunehmen. 

Nicht zufällig ist der Waldboden zum Boden des Jahres 2024 gekürt worden

Wie wichtig das Erdreich ist – auch weit über seine Fähigkeit hinaus, Feuchtigkeit zu halten –, zeigt sich besonders an jenem Untergrund, auf dem Baum neben Baum gedeiht und der nicht zufällig zum Boden des Jahres 2024 gekürt wurde: dem Waldboden. Schließlich gehen fast alle Böden in Deutschland auf ihn zurück: Einst überzogen dichte Buchenurwälder großflächig unsere Breiten. Und ohne menschliches Zutun würden mehr als 80 Prozent der Landesfläche von Bäumen durchwurzelt. Doch heute beschatten Fichten, Buchen und Co. nur rund ein Drittel der deutschen Böden. 

Überall dort, wo gesunder Wald wächst, offenbart sich seine Eigenschaft als Wasserspeicher: Das fängt schon in den Wipfeln an, wo Blätter und Nadeln einen Teil des Regens auffangen. Ohne je zum Boden zu gelangen, verdunstet dieser Niederschlag wieder. Und jene Tropfen, die wiederum ihren Weg bis zum Waldboden finden, treffen im wahrsten Wortsinn auf einen Schwamm. Denn unter dem Laub und all den abgefallenen Ästen findet sich eine lockere, humusreiche Schicht aus zersetztem organischem Material und mineralischen Bestandteilen. Zahllose Gänge und endlos viele Poren durchlöchern diese dunkle, nährstoffreiche Erde. 

Bergwälder bieten nicht nur Schutz vor Steinschlägen und Lawinen. Sie halten immense Mengen an Regenwasser zurück und reduzieren so das Risiko für Hochwasser  
Bergwälder bieten nicht nur Schutz vor Steinschlägen und Lawinen. Sie halten immense Mengen an Regenwasser zurück und reduzieren so das Risiko für Hochwasser  
© Andreas Föll / mauritius images

Es ist das Werk all der Wurzeln, die sich da unten vieltausendfach verzweigen, sowie eines wahren Untertagezoos: Scharen von Regen- und Fadenwürmern wühlen sich durch die Finsternis, Maden und Larven krabbeln umher, Asseln, Milben, Springschwänze – um nur einige zu nennen. Allein diese Kleinstlebewesen wuchten pro Hektar so viel wie 20 Kühe auf die Waage. 

Und das komplexe Labyrinth aus Hohlräumen ist imstande, erstaunliche Mengen an Wasser aufzusaugen. So zeigen Messungen, dass ein Hektar Waldboden bis zu drei Millionen Liter Feuchtigkeit zu speichern vermag – das sind anderthalb Badewannen pro Quadratmeter. Eine gigantische Schwammwirkung, die Unmengen an Regenwasser davon abhält, sich allzu rasch auf den Weg in Richtung Niederungen zu machen. Nicht umsonst heißt es in der Nationalen Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt des BMUV (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz), ein gesunder Boden schütze vor Hochwasser. Die Betonung hierbei liegt jedoch auf "gesund". Und dieses Attribut trifft leider auf immer weniger Böden zu, auch auf immer weniger Waldböden. 

Die Verdichtung der Böden mindert deren Fähigkeit, Wasser aufzunehmen

Allein in den vergangenen Jahren haben Dürre und Borkenkäfer mehr als 400.000 Hektar Fichtenwald dahingerafft. Gefällt und abtransportiert werden die Millionen Baumleichen – ebenso wie das Gros der gesunden Bäume, die zu Holz verarbeitet werden sollen – überwiegend durch tonnenschweres Gerät: Harvester und andere Großmaschinen, die den natürlichen Schwamm unter ihnen zusammenpressen. 

Bloß: Einmal verdichtet, dehnt sich der Waldboden nicht wieder aus wie ein Badeschwamm. Er bleibt kompakt und das empfindliche Porengefüge zerquetscht – die Spuren der massiven Eingriffe sind oft noch Jahrzehnte später zu sehen. Der teils katastrophale Effekt ist hinlänglich bekannt und doch werden die monströs schweren Forstfahrzeuge nach wie vor in großem Stil eingesetzt. Dabei gibt es längst schonendere, naturnähere Konzepte der Waldbewirtschaftung. 

Hinzukommt: Vielerorts geschaffene Abflussrinnen weisen dem Wasser den Weg aus dem Wald. Die Feuchtigkeit fehlt nicht nur den Bäumen, die sie im Sommer so dringend brauchen. Bei kräftigem Regen reißt das Nass zudem wertvollen Boden mit sich in die Bäche, das Erdreich erodiert. Ein Teufelskreis.

Der Waldboden hat weitere Vorzüge: Er ist ein Wasserreiniger

Dabei hat ein fluffiger Schwamm am Fuße der Bäume noch einen weiteren Vorteil: Er reinigt Niederschlag von allen möglichen Verunreinigungen – mechanisch, chemisch und biologisch. Mit seiner riesigen Oberfläche filtert der Humus grobe Abfälle heraus, auch Schwermetalle binden sich dort vielfach. Baumwurzeln, Pilze und die unzähligen Organismen nehmen obendrein Nährstoffe und Düngerrückstände wie Nitrat auf, die das Grundwasser belasten. Zudem reagiert der einsickernde Regen chemisch mit Humus und Bodenmineralen: Hierdurch spalten sich bestimmte organische Schadstoffe auf. Das Grundwasser unter einem Wald ist daher besonders sauber. Nicht zufällig werden rund 70 Prozent des deutschen Trinkwassers in Wäldern gewonnen. Eine Leistung, die dem Boden zufällt.

Dieses dunkle Reich aus Humus und Poren, das so vielen von uns unbekannt ist: Es schützt vor Fluten. Es reinigt unser Wasser. Und es ist ein erstaunlicher Lebensraum. Das wird klar, wenn wir einmal eine Handvoll Waldboden aufnehmen. Darin leben mehr Organismen als Menschen auf der Erde. Es ist an der Zeit, dass wir pfleglicher mit diesem Wunderwerk umgehen.