Diese Statue der trauernden Muttergottes soll seinen Ruhm begründen. "Es wird die schönste Arbeit aus Marmor werden, die Rom je gesehen hat", sichert ein Vertrag dem Auftraggeber Michelangelo Buonarrotis zu. Ein verwegenes Versprechen für einen gerade einmal 23-jährigen Bildhauer - in einer Stadt, die für ihren Reichtum an Skulpturen bekannt ist.
Wer war Michelangelo?
Michelangelo Buonarroti, 1475 als Sohn eines verarmten Patriziers aus Florenz geboren, will nie etwas anderes sein als Künstler. Selbst Prügel des Vaters halten den Jungen nicht vom Zeichnen ab: Er ertrotzt sich mit 13 Jahren die Erlaubnis für die wenig standesgemäße Malerausbildung.
Schon rund zwei Jahre später wird er Stipendiat in der Skulpturensammlung der Bankiersfamilie Medici, lernt nun auch Bildhauerei. Seine Vorbilder sind die Meister der Antike und die Natur selbst, dafür seziert er, obwohl verboten, Leichen im Krankenhaus.
Bald ist er über Florenz hinaus bekannt als Schöpfer lebensnaher Statuen von höchster handwerklicher Perfektion. Und so lässt ihn der französische Botschafter im Vatikan 1497 für St. Peter eine Marmorskulptur der trauernden Maria mit dem Leichnam Jesu anfertigen.
Michelangelos Können übertrifft sogar das seiner antiken Vorbilder
Nach rund zwei Jahren hat Michelangelo die "Pietà" vollendet: Da hält eine sehr junge Muttergottes den toten Sohn auf dem Schoß, und nur der wilde Faltenwurf ihres Gewandes drückt den Sturm ihrer Gefühle aus. Und mit einem weisend ausgestreckten Zeigefinger deutet Maria an, dass die Geschichte Jesu in diesem Moment nicht endet, sondern beginnt.
Es ist Michelangelos erstes Meisterwerk. Die Statue wirkt bis in die hauchzarten Falten des Umhangs hinein natürlich bewegt und verbindet im Urteil der Zeitgenossen Schönheit und Frömmigkeit auf nie gesehene Weise. Zum ersten Mal übertrifft Michelangelo mit seiner technischen Brillanz sogar die Vorbilder aus der Antike.
Die Erschaffung des David
Zurück in seiner Heimatstadt, übernimmt er einen Auftrag der Dombauhütte, an dem zuvor schon zwei Bildhauer gescheitert sind. Für die Kathedrale von Florenz soll Michelangelo eine monumentale Figur erschaffen: David, den Sieger über den Riesen Goliath aus dem Alten Testament.
Michelangelo zeigt den Hirtenjungen kurz vor dem Angriff. Stein und Schleuder hält er fast verborgen. Doch mental hat David den Sieg bereits errungen. Diese kraftvolle, vom Willen durchdrungene Physis wird typisch sein für viele künftige Werke Michelangelos.
Zu grandios ist die rund fünf Meter hohe Statue, um sie in der Kirche zu verstecken. Ein Komitee beschließt 1504, sie als Symbol für die Republik vor dem Florentiner Regierungspalast aufzustellen: die erste frei stehende Kolossalfigur seit den Tagen des antiken Rom.
Nun weiß die Kunstwelt, wozu Michelangelo fähig ist. Auch dem Papst fällt der Mann aus Florenz auf. Das Grabmal, das Julius II. bei Michelangelo für sich bestellt, soll mit 40 lebensgroßen Figuren geschmückt werden.
Die Sixtinische Kapelle
Doch dann verliert Julius das Interesse, weigert sich, weiter zu bezahlen. Erst als der Papst dem Künstler den lukrativen Auftrag gibt, die Decke der Sixtinischen Kapelle im Herzen des Vatikan zu dekorieren, legen die beiden ihren Disput bei.
Vier Jahre lang, von 1508 bis 1512, arbeitet Michelangelo Buonarroti auf den Gerüsten in der feuchtkalten Kapelle. Stets fürchtet er, dass ihn Mitbewerber im Kampf um die päpstliche Gunst ausstechen, seine Ideen kopieren oder ihn gar aus fast 20 Meter Höhe in die Tiefe stürzen könnten.
Auch als Zeichner überragt Michelangelo die Künstler seiner Zeit. Seine Figuren sind anatomisch so präzise, dass Konkurrenten 1529 in sein Atelier einbrechen und etliche seiner Zeichnungen stehlen (Skizze für ein Schlachtengemälde, um 1504)
Dann endlich sind die 1000 Quadratmeter der Decke mit farbenprächtigen biblischen und mythologischen Szenen gefüllt. Hunderte Gestalten tummeln sich dort, Figuren voller Sinnlichkeit. Wut und Wonne, Triumph und Trauer - jeder Muskel der gemalten Körper drückt die Wucht menschlicher Gefühle aus.
Die Wirkung des Gesamtwerkes ist überwältigend: So kühn, frei und bewegt hat noch keiner gemalt. 1534 ernennt der Papst Michelangelo zum obersten Architekten, Bildhauer und Maler des Vatikan. Der Künstler erschafft das „Jüngste Gericht“ an der Altarwand der Sixtina, entwirft die Basilika Santa Maria degli Angeli, übernimmt die Bauleitung am Petersdom.
Auch als Architekt strebt Michelangelo nach Ruhm. Zu seinen ersten Aufträgen zählt die Neugestaltung der Klosterkirche im Marktviertel von Florenz, für die er um 1517 eine prachtvoll geschmückte Fassade ersinnt
Er steht auf dem Gipfel des Erfolgs - und lebt doch weiter spartanisch, nimmt nur das Nötigste zu sich, bewohnt ein schäbiges, spärlich möbliertes Haus. Zur Hand geht ihm ein einziger Diener, Freunde hat Italiens zu dieser Zeit wohl berühmtester Künstler kaum.
Als Michelangelo Buonarroti am 18. Februar 1564 im Alter von 89 Jahren stirbt, hochgelobt, von vielen verehrt und doch einsam, findet man unter seinem Bett eine Kiste mit 30 Kilogramm Gold.