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New York Crash in der 79. Etage: Als ein B-25-Bomber in das Empire State Building raste

Empire State Building, 1945
Nach dem Aufprall der B-25 ergießen sich rund 3000 Liter Flugbenzin in die Flure und Fahrstuhlschächte des Empire State Building und setzen mehrere Stockwerke des damals größten Gebäudes der Welt in Flammen. 14 Menschen sterben, 25 werden verletzt
© Bettmann/Getty Images
Am 28. Juli 1945 kracht ein zweimotoriges Kriegsflugzeug in das höchste Gebäude der Welt: Im Nebel verirrt, steuert ein Militärpilot seine Maschine quer durch Manhattans Hochhaus-Stalakmitenfeld und prallt mit über 300 km/h gegen das Empire State Building. Historiker Cay Rademacher hat die Katastrophe rekonstruiert: die Ursachen, den Ablauf, die Folgen. Eine aufregende und lehrreiche Geschichte - noch heute

1994 schickte der damals 29-jährige Cay Rademacher unverlangt ein Manuskript bei der GEO-Redaktion ein: das minutiös recherchierte Protokoll einer Flugzeugkatastrophe, die sich am 28. Juli 1945 in New York zugetragen hatte. Der Text wurde auf dem Titel der Augustausgabe von GEO als "Extra" angekündigt und auf Sonderpapier gedruckt. Fünf Jahre und viele GEO-Artikel später siedelte der Historiker und Journalist Rademacher von Köln nach Hamburg über und produzierte gemeinsam mit Michael Schaper die erste Ausgabe von GEOEPOCHE.

Die historische Rekonstruktion ist mittlerweile ein Markenzeichen von GEOEPOCHE geworden. 2019 feiert das Magazin nicht nur seinen 20. Geburtstag, sondern auch die Veröffentlichung der 100. Ausgabe. Daher möchten wir Ihnen zu diesem doppelten Jubiläum nicht vorenthalten, mit welcher Geschichte einstmals (fast) alles begann:

Bedford Army Air Base. Massachusetts, 8.55 Uhr. Der Morgen des 28. Juli 1945 ist ungemütlich und kalt. Eine geschlossene Wolkendecke lässt die Sonne nicht durchkommen, gelegentlich nieselt es. Der Krieg in Europa ist seit über zwei Monaten beendet und auch der Fall Japans scheint nur noch eine Frage von Tagen - obwohl hier auf der Army Base niemand etwas von der Atombombe ahnt. Die Zeit der großen Katastrophen ist, so hoffen die Offiziere, vorbei.

Vor Lieutenant Colonel William E Smith Jr. liegt die letzte Etappe auf einem Routineflug. Seine zweimotorige B-25 Mitchell gehört zur 457. Bombergruppe, stationiert in South Dakota. Smith fliegt sie in mehreren Stationen quer durch die USA. Bedford ist der letzte Halt vor dem Endziel Newark in New Jersey.

Smith, ein erfahrener und hochdekorierter Pilot, kommt aus Alabama und hat 1942 die Elite-Militärakademie in West Point abgeschlossen. Danach flog er rund 100 Kampfeinsätze über Deutschland, davon 34 als Pilot einer "Fliegenden Festung". Nach 18 Monaten in Europa ist der 27-Jährige, der so aussieht, wie sich Hollywood einen wagemutigen Kampfpiloten vorstellt, im Juni 1945 in die USA zurückgekehrt.

Neben dem Piloten besteigen an diesem nebligen Morgen zwei weitere Männer die B-25: Sergeant Christopher S. Domitrovich, auch er ein hochdekorierter Flieger, und Albert G. Perna, Flugzeugmechaniker bei der Navy in Bedford. Perna ist als Passagier an Bord, weil er über Newark nach New York City reisen will. Er muss seinen Eltern beistehen, die den Tod seines Bruders betrauern, der vor Okinawa auf dem Zerstörer "Luce" gefallen ist.

Es ist genau fünf Minuten vor neun, als die B-25 zu ihrer letzten Etappe abhebt. Der Wetterdienst hat für die gesamte Ostküste anhaltenden Nebel und eine tiefhängende Wolkendecke vorhergesagt.

Empire State Building, 1945
Der Einschlag des Bombers ist so mächtig, dass einer der riesigen Stahlträger im 79. Stockwerk um fast einen halben Meter eingedrückt wird. Dem Aufprall folgt eine Explosion. Rund 3.000 Liter Flugzeugbenzin ergießen sich danach brennend in die Büros
© imago stock&people

Empire State Building. Manhattan, New York City, 9.40 Uhr. Dieser Büroturm ist eine Stadt für sich, eine Stadt in der Vertikalen. 102 Stockwerke, 381 Meter hoch, mit einer Nutzfläche von gut 200 000 Quadratmetern. Allein die Stahlträger wiegen 55 000 Tonnen - damit hätte man auch zwei Schienenstränge von New York nach Baltimore legen können. Der Wolkenkratzer wurde am 1. Mai 1931 eröffnet und ist 1945 noch immer das höchste Gebäude der Welt.
In seinen ersten Jahren erhielt es von den New Yorkern den Spitznamen "Empty State Building", weil die teuren Büroflächen in den Zeiten der großen Depression kaum zu vermieten gewesen waren. Erst während des Zweiten Weltkriegs hat sich daran etwas geändert. NBC Radio sitzt hier mit seiner Zentrale, die meisten Büroflächen sind vermietet, unter anderem an Organisationen, die erst durch die Kriegsanstrengungen Amerikas geschaffen wurden.
Doch am Morgen des 28. Juli macht das Haus seinem alten Spitznamen noch einmal alle Ehre. Samstags wird in New York auch im Krieg - gegen Japan wird noch gekämpft - gar nicht oder nur mit verminderter Belegschaft gearbeitet. Und die Aussichtsplattformen im 86. und 102. Stockwerk, auf denen sich an guten Wochenenden bis zu 10 000 Menschen täglich drängen, sind jetzt kaum besucht.
Der obere Teil des Wolkenkratzers ragt in die tiefhängende Nebel- und Wolkendecke hinein. An der Spitze hat man bei klarem Wetter einen Ausblick bis zu 130 Kilometern, doch heute ist die Sicht auf wenige Meter geschrumpft. Halten sich an einem normalen Werktag durchschnittlich bis zu 15 000 Menschen gleichzeitig im Empire State Building auf, so sind es am Morgen des 28. Juli höchstens 1500 Personen.

"Wir können von hier aus nicht mehr die Spitze des Empire State Buildings sehen."

Flughafen La Guardia, Queens, New York City, 9.45 Uhr. An diesem Morgen hat Victor Barden Dienst als Chief Operator im Tower des Flughafens. Plötzlich meldet sich Colonel William F. Smith bei ihm: Er befinde sich 15 Meilen südlich und erbitte Hinweise über die Wetterbedingungen am Flughafen in Newark. Barden ist überrascht, denn Newark liegt knapp 15 Meilen südwestlich von La Guardia. Smith hätte mit seiner Maschine schon ungefähr am Zielort sein müssen.

Die Crew im Tower rät dem Piloten, sich direkt an Newark zu wenden. Doch kaum zwei Minuten später sehen die Männer im Kontrollturm von La Guardia die B-25 südöstlich am Himmel auftauchen. Barden vermutet, dass Smith landen will und gibt ihm die üblichen Angaben durch: Runway, Windstärke, Windrichtung. Doch der Pilot funkt zurück, er wolle unbedingt nach Newark.

Die Fluglotsen wenden sich daraufhin an ihre Kollegen von der übergeordneten Airways Traffic Control. Denen ist der Flug gar nicht gemeldet worden, denn die B-25 fliegt nach Sichtflugregeln: unterhalb der überwachten Luftstraßen. Airways Traffic Control gibt durch, dass die Wolkenhöhe in Newark zur Zeit bei nur 180 Metern liege und rät Smith dringend, in La Guardia zu landen.

Weil die B-25 eine Militärmaschine ist, muss die Flugleitung auf dem zivilen Flughafen erst lnstruktionen von der Army Advisory Flight Control einholen, um eine offizielle Landefreigabe zu erlangen. Die B-25 muss so lange südöstlich New Yorks Warteschleifen fliegen. Zu Bardens Überraschung erklärt die Army Advisory Flight Control, die Wetterangaben ihrer zivilen Kollegen seien fehlerhaft: In Newark herrsche kein so schlechtes Wetter, die Wolkendecke liege bei 1000 Fuß, gut 300 Metern, die Sicht betrage zweieinviertel Meilen, über drei Kilometer. Der Tower meldet sich daraufhin wieder bei Smith und gibt ihm die Angaben der Army Advisory Flight Control weiter. Der Pilot möge wegen der unterschiedlichen Wetterberichte selber entscheiden, ob er landen oder lieber nach Newark weiterfliegen wolle. Smith besteht auf Weiterflug.

La Guardia liegt direkt am East River im Stadtbezirk Queens. Fliegt Smith jetzt eine kleine Schleife Richtung Osten, kann er über Brooklyn und Staten Island nach Newark kommen – die meiste Zeit über Wasser. Er kann aber auch einige Flugsekunden einsparen, wenn er die direkte Route nach Newark nimmt. Dafür müsste er quer über Manhattan fliegen.

Barden erteilt der B-25 schließlich zögernd die Freigabe für Newark, aber nicht ohne Smith vorher anzuweisen, bei schlechter Sicht umzukehren und doch in La Guardia zu landen. Der Tower gibt dem Piloten eine letzte Nebelwarnung mit: „Wir können von hier aus nicht mehr die Spitze des Empire State Buildings sehen.“

Empire State Building
Das Empire State Building, 1931 fertiggestellt, hält etliche Rekorde jener Zeit: 381 Meter Höhe, 102 Stockwerke, 200.000 Quadratmeter Nutzfläche. Längst ist der anfangs umstrittene Bau eine Attraktion der Stadt - Symbol des himmelwärts strebenden New York und zugleich auch der USA, die 1945 nach dem Sieg in Europa im Zenit ihrer Popularität stehen
© Library of Congress

Manhattan, New York City, 9.48 Uhr. Stanley Lomax ist Sportreporter der Radiostation WOR. Er sitzt in seinem Wagen, als er plötzlich direkt über sich Motorenlärm hört. Dann sieht er eine B-25 im Tiefflug über die Häuserschluchten rauschen. „Steig, du Narr, steig!“ schreit er dem Piloten zu. Wie er reagieren Hunderte von Menschen auf den Bomber, der da plötzlich aus dem Nebel auftaucht und sich offensichtlich zwischen den Wolkenkratzern verirrt hat.

Eigentlich geben die Civil Air Regulations klare Regeln für das Überfliegen geschlossener Ortschaften vor. Eine Mindesthöhe von 1000 Fuß muss eingehalten werden. Zusätzlich aber gilt die Vorschrift, über einer Stadt so hoch zu fliegen, dass Piloten auch bei plötzlichem Motorausfall noch im Gleitflug über freies Land oder Wasser kommen können. Für Manhattan Island ist deshalb eine Mindestflughöhe von 2000 Fuß festgesetzt worden. Diese Regeln haben allerdings einen Haken: Sie gelten offiziell für Zivilmaschinen. Militärpiloten wird nur „empfohlen“, sich daran zu halten.

Später wird es Hunderte von Zeugenaussagen geben, die einander teilweise deutlich widersprechen. Dennoch lassen sich die letzten Sekunden des Fluges der B-25 zumindest grob rekonstruieren. Die meisten Zeugen sehen das Flugzeug erstmals, als es, vom East River kommend, nördlich der 42. Straße aus dem Nebel auftaucht. Smith fliegt schon da unter 1000 Fuß und in einer 15-Grad-Kurve in die Stadt hinein. Der Bomber ist im Nebel zwischen den Wolkenkratzerschluchten Manhattans wie eine Fliege in einer steinernen Falle gefangen. Smith, der seine Kampfeinsätze in Europa bravourös bestanden hat, scheint ausgerechnet hier, mitten in New York, verloren zu sein.

Die Maschine fliegt Südwestkurs mit einer Geschwindigkeit von 200 bis 250 Meilen in der Stunde. Nur durch ein Manöver im letzten Augenblick kann Smith eine Kollision mit dem Grand Central Office Building verhindern. Die B-25 irrt weiter und zerschellt beinahe an einem Wolkenkratzer an der Fifth Avenue.
In seinen letzten Flugsekunden zieht der Bomber eine Schneise des Schreckens durch die Stadt. Überall in den Büros, in den Geschäften, in den Läden, auf den Straßen schauen die Menschen wie erstarrt nach oben. Manche reißen reflexartig die Arme über den Kopf, um sich zu schützen. Jemand, der alles ganz genau verfolgen kann, ist Eddie Greenberg. Er arbeitet im 17. Stockwerk eines Hauses der 39. Straße. Er sieht den Bomber, vielleicht 60 Meter über sich. Dann hört er eine mächtige Explosion und schreit: „Oh my God, he hit the Empire State!“

Rund 3.000 Liter Flugbenzin ergießen sich brennend in die Büros

Empire State Building, 9.49 Uhr. Ob William F. Smith noch die Zeit hat zu erkennen, was da plötzlich direkt vor ihm aus dem dichten Nebel auftaucht, lässt sich nie mehr feststellen. Um genau elf Minuten vor zehn prallt seine rund elf Tonnen schwere B-25 mit mindestens 200 Meilen Geschwindigkeit zwischen dem 78. und 79. Stockwerk auf das Empire State Building. Die Maschine kracht in die nördliche Fassade, in Höhe der Aufzugschächte, 280 Meter oberhalb der 34. Straße, und reißt dort ein etwa fünfeinhalb mal sechs Meter großes Loch. Die beiden Tragflächen werden bei dem Aufprall zerfetzt und schlagen wie Bomben in der Nachbarschaft des Wolkenkratzers ein.

Der Rumpf – besser gesagt: der Teil, der nach dem Aufprall davon übrig ist – fegt wie ein großes Geschoss 25 Meter quer durch die Etage und durchschlägt auch noch die gegenüberliegende südliche Fassade. Trümmer, Glas und einer der beiden Motoren stürzen auf die 33. Straße hinunter. Der Einschlag des Bombers ist so mächtig, dass einer der riesigen Stahlträger im 79. Stockwerk um fast einen halben Meter eingedrückt wird.

Dem Aufprall folgt eine Explosion. Rund 3.000 Liter Flugzeugbenzin ergießen sich danach brennend in die Büros der 79. Etage und hoch über die Nordfassade des Wolkenkratzers bis hinauf zur Aussichtsplattform im 86. Stockwerk. Die gigantische Konstruktion schwankt durch den Aufprall zweimal hin und her. Ihre Spitze leuchtet wie eine gigantische Fackel mit roter Lohe durch den Nebel, dann verschwindet das obere Drittel des Wolkenkratzers in Nebel und dichtem, schwarzem Rauch. Das brennende Flugbenzin rast wie eine Höllenflut weiter durch den 78. Stock, dann die Treppenhäuser hinunter bis in die 75. Etage. Alles Brennbare in seinem Weg steht sofort in Flammen.

William F. Smith, sein Kopilot Christopher S. Domitrovich und Albert G. Perna haben keine Chance. Wenn sie nicht direkt durch den Aufprall getötet worden sind, dann starben sie im Flammeninferno. Zwei von ihnen – wahrscheinlich Smith und Domitrovich – werden durch den Aufprall der B-25 aus dem Flugzeug hinausgeschleudert. Ihre Leichen finden Rettungsteams später im 79. Stock.

In dieser Etage sitzen an diesem Samstag Mitarbeiter der National Catholic Welfare Conference (NCWC), einer von der katholischen Kirche getragenen Organisation, die humanitäre Hilfe für die vom Weltkrieg verwüsteten Länder Europas organisiert. Anders als viele Hundert Menschen in Manhattan haben die Männer und Frauen von dem Bomber nichts bemerkt. Bis er wie eine Ausgeburt der Hölle von draußen hereinbricht. Ihre Räume stehen sofort in Flammen; sie werden dort oder auf der Flucht zu den Treppenhäusern vom Feuer eingeholt. Drei Frauen entkommen in ein unzerstörtes kleines Büro auf der Südseite des Empire State Building. Dort schlagen sie in ihrer Not die Fensterscheiben ein, um mehr Luft zu bekommen – dann erreicht der Brand auch diesen Ort.

Paul Dearing ereilt ein anderer Tod. Die zerschmetterte Leiche des NCWC-Publicity Directors wird später auf einem schmalen Gesims in Höhe des 72. Stockwerks gefunden. Bis zu dieser Etage ist das Empire State Building breiter als im oberen Drittel. Dieser Gebäudevorsprung bewahrt Dearing zwar vor einem 300 Meter tiefen Fall, doch schon die sieben Stockwerke seines Sturzes sind tödlich. Ist er von der Explosion aus dem Fenster geschleudert worden? Oder, von den Flammen eingeschlossen, in Panik hinausgesprungen? Kein Spezialist wird später diese Fragen beantworten können. Dieser Tod aber bewahrt Dearings Körper davor, bis zur Unkenntlichkeit zu verbrennen. Er wird das erste Opfer sein, das die Polizei eindeutig identifizieren kann.

Manche Menschen im Gebäude glauben an ein Erdbeben, andere an japanische Kamikaze-Flieger

Als sich die 37 Jahre alte Catherine O’Connor von dem Schock des Einschlags erholt hat, ist bereits der größte Teil ihres NCWC-Büros in Flammen aufgegangen. Sie sieht sich um und entdeckt einen Kollegen: Joseph Fountain. Die Kleidung des 47-Jährigen brennt lichterloh, doch er hält sich noch auf den Beinen. „Come on, Joe, come on, Joe!“ schreit sie ihm zu. Joseph Fountain kämpft sich aus den Flammen und erreicht mit Catherine O’Connor und zwei weiteren Frauen ein kleines Büro an der Südseite. Der dichte Qualm macht ein weiteres Fortkommen unmöglich, vor allem für den schwerverletzten Mann. Die vier beten.

Auch alle anderen Menschen, die sich um 9.49 Uhr zwischen dem 75. und 102. Stockwerk aufhalten, befinden sich in Lebensgefahr. Doch sie haben mehr Zeit als die Männer und Frauen vom NCWC, auf die Katastrophe zu reagieren – auch wenn viele nicht einmal wissen, was geschehen ist. Ein Mann, der mehr als 25 Jahre in China verbracht hat, glaubt an ein verheerendes Erdbeben, wie er es schon im Fernen Osten erlebte. Andere denken an japanische Kamikaze-Flieger oder an einen Zusammenbruch des gigantischen Wolkenkratzers.

Dramatische Szenen spielen sich auch an den Fahrstühlen ab. Der zweite Motor der B-25 und Teile des Fahrwerks knallen in den Aufzugschacht Nr. 7, reißen die unbesetzte Kabine aus ihrer Aufhängung und stürzen mit dem Lift den 300 Meter tiefen Schacht bis in das unterste Kellergeschoss hinunter. Das 20-jährige Liftgirl Betty Lou Oliver hat seinen Lift auf der Südseite des Empire State Building gerade auf dem 75. Stockwerk angehalten und die Tür geöffnet, als brennendes Flugbenzin von oben durch die Aufzugschächte in die Kabine schwappt. Zugleich schleudert die Wucht der Explosion die junge Frau aus der Kabine hinaus auf den Flur.
Dort wird sie – verbrannt, blutend, hysterisch und kaum ansprechbar – von Barbara Brown und Penny Skepko gefunden, zwei Angestellten der Air Cargo Transport Corporation. Die beiden Frauen bringen die Verletzte in ihr Büro und leisten erste Hilfe. Dann machen sie sich auf, Betty Lou Oliver hinunterzubringen, um die Verletzte ins Krankenhaus zu fahren.

Sie gehen zu dem ebenfalls schwer beschädigten Aufzug Nr. 6, in dem eine andere junge Frau Dienst hat, die zwar durchgeschüttelt worden, aber sonst unverletzt geblieben ist. Barbara Brown und Penny Skepko wollen gerade in den Lift einsteigen, als sie ihren Chef Roy Penzell kommen sehen. Der weist sie an, nicht mit hinunterzufahren und die verletzte Betty Lou Oliver in der Obhut ihrer Kollegin zu belassen.

Die beiden Frauen gehorchen und gehen zurück in ihre Büros. Penzell bleibt auf dem Flur und sieht, wie sich die Tür in der Aufzugskabine schließt. Plötzlich hört er einen lauten Knall – und der Lift stürzt in die Tiefe. Die beschädigten Seile von Aufzug 6 sind gerissen, die beiden jungen Frauen fallen 275 Meter tief ins unterste Kellergeschoss. Der massige Gummipuffer, am Ende jedes Schachtes angebracht, durchschlägt den Boden der Kabine. Herabstürzende Metallseile zerschmettern das Dach.

Penzell und seine beiden Angestellten retten sich später über eine Treppe nach unten.

Während des Infernos tönt langsamer Walzer aus den Lautsprechern

Um 9.49 Uhr sind fünf Aufzugskabinen zwischen dem 66. und dem 102. Stockwerk unterwegs, fast alle ohne Passagiere. Die Kabinen, die nicht in die Tiefe stürzen, bleiben in den langen Schächten stecken; auf manche regnet brennendes Flugbenzin herab. Abe Gluck, ein 36 Jahre alter Liftboy, steht während des Crashs mit dem Ticketkontrolleur Sam Watkinson vor seiner Kabine im 80. Stockwerk. Die beiden Männer hören die Explosion. Gluck glaubt an einen Blitzeinschlag oder eine Explosion im Maschinenraum. Zum weiteren Nachdenken bleibt ihnen keine Zeit. Eine Flammenwalze rast auf die beiden zu, und die Männer fliehen den Flur hinunter.

Der 69-jährige Watkinson ist langsamer als Gluck, bleibt zurück und wird von den Flammen eingeholt. Gluck hört ihn schreien, kehrt um und zieht den alten Mann aus dem Feuer. Die beiden schleppen sich in ein leeres Büro. Hier bricht Watkinson zusammen. Sein Freund zieht ihn zu einem Fenster, doch dichte Rauchschwaden füllen bald den Raum. Gluck irrt hinaus in den Qualm, bis er den Eingang zu einem Treppenhaus findet. Er eilt zurück und trägt den bewusstlosen Watkinson einige Stockwerke tiefer zu einer Etage, in der noch Aufzüge funktionieren. Er nimmt den Lift ins 5. Stockwerk, wo sie von Ärzten gefunden werden. Erst jetzt bemerkt er „etwas Feuchtes an meinen Beinen“ – sein eigenes Blut.

Auf der schmalen Aussichtsplattform im 102. Stockwerk steht vor dem Unglück Lieutenant Allein Aiman. Er starrt in die graue Nebelwand, als er plötzlich unter sich die B-25 auf das Gebäude zurasen sieht. Er ist viel zu verblüfft, um erschrocken sein zu können. Doch einen Augenblick später überzeugen ihn die Explosion und das Zittern, das durch das gigantische Bauwerk läuft, dass er sich nicht getäuscht hat. Er bringt sich gemeinsam mit seiner Frau unbehelligt in Sicherheit.

Im verglasten Teil der Aussichtsplattform im 86. Stock kommt es zu einer absurden Situation. Brennendes Flugbenzin ist bis hierher hochgespritzt. Und Metallteile der B-25 sind aus dem 79. Stockwerk bis auf die offene Galerie der Plattform geschleudert worden. Schnell dringen Qualm, Flammen und eine große Staubwolke aus den Aufzugschächten ins Innere der Etage. Um Luft hereinzulassen, müssen die drei Wärter die Zugänge zur Galerie draußen aufbrechen, die wegen des schlechten Wetters verschlossen sind. In der Aufregung kann niemand die Schlüssel finden.

Dennoch kommt es zu keiner Panik – wohl auch, weil aus den Lautsprechern noch immer sanfte Musik dringt. Als der Manager Frank W. Powell die Besucher zusammenruft und über Treppen hinunter in Sicherheit führt, tut er das zu den Klängen eines langsamen Walzers.

Angestellte schlagen Löcher in die Wände, um den Flammen zu entkommen

In den Büros der Caterpillar Tractor Company im 80. Stock läuft keine Musik. Arthur E. Palmer und D. J. Norden sind bei der Arbeit, als die Katastrophe über sie hereinbricht. Palmer sitzt an seinem Schreibtisch, als das Flugzeug, das er weder gesehen noch gehört hat, nur wenige Meter unter ihm im Wolkenkratzer einschlägt. Er wird mit seinem Tisch ein Stück hochgeschleudert, dann sieht er Flammen außen am Fenster.

„Das ist eine Bombe der Japaner“, denkt er, doch dann riecht er Flugbenzin und glaubt an einen Absturz. Er rennt zum Fenster und sieht hinaus, kann aber wegen der Flammen und des Rauches nichts erkennen. In diesem Augenblick stürzt eines der Liftgirls in sein Büro. Das Mädchen hat Verbrennungen an Armen und Beinen und will sich in panischer Angst aus dem Fenster stürzen. Die beiden Männer können es aufhalten und beruhigen.

Dann geht Palmer auf den Flur, doch dichter Qualm dringt aus den Aufzugschächten und treibt ihn zurück. Die drei sitzen in einer Falle. Um sich Luft zu verschaffen, öffnen sie ein Fenster. Sie finden einen kleinen Hammer und durchbrechen die Wand zur benachbarten Bürosuite. Als das Loch groß genug ist, kriecht zuerst Norden hindurch, dann schieben die beiden Männer das verletzte Mädchen durch die Öffnung, zuletzt folgt Palmer. Aus diesen Büros erreichen sie ein noch nicht blockiertes Treppenbaus. Sie schleppen sich rund 30 Stockwerke hinab, bis sie auf ein erstes Rettungsteam stoßen.

Ein Mitarbeiter des La Guardia Airport hält den Notruf für einen makaberen Scherz

Empire State Building, 9.52 Uhr. Hunderte Menschen sind Zeugen der Katastrophe, und so dauert es nur Sekunden, bis die Telefonleitungen zu Polizei und Feuerwehr heißlaufen. Der erste Feueralarm wird um 9.52 Uhr gegeben – von einem Feuerwehrmann. Fire Lieutenant William Murphy sieht zwar den Bomber nicht, als er durch die Straßen schlendert, aber er hört die Explosion und bemerkt den Qualm. Er eilt zum Feuermelder an der Ecke Fifth Avenue und 30. Straße. Wenige Sekunden später trifft ein weiterer Feueralarm in der Zentrale ein – aus dem Empire State Building selbst. William Sharp ist Bauarbeiter und hat gerade im 73. Stockwerk zu tun, als die B-25 in den Wolkenkratzer kracht. Die Wucht von Aufprall und Explosion schleudert ihn gegen eine Wand. Sharp rappelt sich langsam wieder hoch, greift sich eine Schaufel und schlägt den Feuermelder an der Wand ein.

Ein Assistant Manager der Raytheon Manufacturing Company im 53. Stock des Lincoln Building hat dagegen Probleme, seinen Alarm an den Mann zu bringen. Während seine Kollegen noch aus dem Fenster starren, rennt er zum Telefon und informiert die Flugsicherheit vom La Guardia Airport. Der Mann in der Telefonzentrale hält die Mitteilung, soeben sei ein Flugzeug auf das Empire State Building geprallt, für einen makabren Scherz. Erst nach mehrmaliger Beteuerung schenkt er der Nachricht Glauben. Der Raytheon-Manager informiert auch den Tower vom Mitchell-Field-Flughafen und das militärische Hauptquartier der Eastern Sea Frontier. In allen Fällen ist er der Erste, der diese Stellen vom Unglück informiert.

41 Wagen von 23 Feuerwachen rasen zum Empire State Building, wo sie gegen zehn Uhr eintreffen. Fire Commissioner Patrick Walsh und seine Männer haben das höchste Feuer zu löschen, das jemals in einem Gebäude ausgebrochen war. Den bisherigen, nun um mehr als 40 Stockwerke überbotenen Rekord, hielt das Sherry-Netherlands-Hotel in Manhattan, dessen obere Stockwerke 1927 in Brand gerieten.

Die meisten seiner Leute schickt Walsh zu den Flammen hinauf, die in 280 Meter Höhe die Etagen verwüsten. Andere weist er an, ins unterste Kellergeschoss zu gehen. Dort liegen die Trümmer der Aufzugskabinen 6 und 7 und Flugzeugteile. An manchen Stellen lodern kleine, von verspritztem Flugbenzin genährte Brände.

Geistliche spenden das Sterbesakrament - das Rote Kreuz sorgt für Donuts und Kaffee

Die Arbeit der Feuerwehr ist einfacher als zunächst befürchtet. Bis zum 60. Stock fahren die Männer mit dem Aufzug hoch. Dann sind es noch 18 Etagen, die sich die Feuerwehrleute, beladen mit schwerer Lösch- und Atemschutzausrüstung, durch die verqualmten Treppenhäuser hochkämpfen müssen, um zum Feuer zu gelangen. Aber selbst in diesen arg ramponierten Stockwerken funktioniert die Hauptwasserleitung noch; kein wichtiges Rohr des 100 Kilometer langen Leitungssystems im Empire State Building ist zerstört worden. Die Männer können ihr großes Löschgerät anschließen und den Brand von Anfang an massiv bekämpfen. Schlimmer als die Flammen ist der dichte Qualm. Einige Männer brechen trotz ihrer Atemschutzanzüge mit Rauchvergiftungen zusammen und müssen versorgt werden.

Ärzte und Sanitäter des Bellevue Hospitals kümmern sich um die Verletzten. Auch Geistliche beteiligen sich an den Rettungsarbeiten. Einige eilen aus Kirchen herbei, andere gehören zu den Überlebenden des NCWC, die nach ihrer Flucht nun mit Feuerwehr und Sanitätern zurückkehren. Sie spenden das Sterbesakrament den verkohlten Menschen, mit denen sie noch vor wenigen Momenten gesprochen haben.

Auf ihrem gefährlichen Weg zur Einschlagstelle stoßen die Rettungsteams nach und nach auf die Opfer der Katastrophe. Es sind verkohlte Leichen, die einige der Männer an die Opfer des gerade beendeten Krieges in Europa erinnern. Doch manchmal kommt es auch zum Happy End. Der 26-jährige Harold J. Smith sitzt zum Zeitpunkt des Unglücks in seinem Büro im 62. Stock. Er rennt zum Fenster, sieht nach oben und entdeckt über sich drei Frauen, die sich weit aus dem Fenster lehnen und verzweifelt winken, weil sie von Rauch und Flammen eingeschlossen sind. Er stürzt ins Treppenhaus, wo er auf einen Feuerwehrtrupp trifft. Er führt die Männer in das Stockwerk, in dem er die Frauen vermutet. Er hat sich nicht verrechnet: Die Feuerwehr kann drei Frauen und einen Mann vor dem Ersticken retten. Es sind Catherine O’Connor, zwei Kolleginnen und der schwer verletzte Joseph Fountain von der NCWC.

Während sich die Rettungsteams durch die Trümmer kämpfen, versorgen auf den unteren Etagen und auf den Straßen 25 Ärzte und 24 Schwestern, 13 Sanitäter und 15 Rotkreuzhelfer die Menschen, die aus dem Wolkenkratzer strömen. 15 Ambulanzwagen sind zur Unglücksstelle gerast und pendeln danach zwischen dem Büroturm und den Krankenhäusern der Stadt. Über 400 Polizisten sind im Einsatz.

In einer Lobby des Wolkenkratzers haben die Helfer ein Nothospital eingerichtet. Einige der Opfer leiden unter Rauchvergiftungen und Verbrennungen, andere unter Brüchen, Schnittwunden oder anderen Verletzungen. Viele müssen wegen Schocks behandelt werden. Oder sie sind völlig ausgepumpt, weil sie sich oder andere aus höchster Gefahr gerettet haben, oder weil sie 70, 80 oder noch mehr Stockwerke hinuntergelaufen sind. Genau 1860 Treppenstufen sind es vom 102. Stockwerk bis zur Straße, mehr als dreimal so viel wie vom Turm des Kölner Doms herab.

Viele Mitglieder der Rettungsteams und auch manche ins Freie taumelnde Opfer sind für eine andere Hilfe dankbar, die das New Yorker Rote Kreuz in staunenswerter Schnelligkeit erbringt. Nur wenige Minuten nach dem ersten Alarm erreichen zwei Küchenwagen aus der nahe liegenden New Yorker Zentrale den Wolkenkratzer, mit 230 Litern frisch aufgebrühten Kaffees und unzähligen Donuts.

Die Stunde des Unglücks ist auch die Geburtsstunde des Helden Donald Malony

New Yorks Bürgermeister Fiorello La Guardia ist gerade vor dem Rathaus angelangt, als er in seinem Wagen über Funk von dem Feuerwehralarm erfährt. Er lässt alle Termine platzen und weist den Fahrer an, ihn sofort zur Unglücksstelle zu bringen. Kurz darauf kann man den Bürgermeister sehen, wie er vom 60. Stock an die Treppen hochsteigt, über die Kaskaden schmutzigen Löschwassers in die Tiefe rauschen.

Er kommt so früh im 79. Stock an, dass er die Löscharbeiten mitverfolgen kann. Obwohl es dort oben „heiß wie in einem Backofen“ ist, wie er sich später erinnert, bleibt er 90 Minuten. Als der Bürgermeister die ersten Details erfährt, schüttelt er wütend die Faust. „lch habe ihnen immer wieder gesagt, nicht über die Stadt zu fliegen!“, ruft La Guardia so laut, dass sich die Feuerwehrleute nach ihm umdrehen. Für ihn ist klar, dass die Verantwortung für dieses Unglück bei dem Militärpiloten liegt.

Von der erstaunlichsten Rettungsaktion dieses Tages aber erfährt der Bürgermeister erst später – woraufhin er den Helden auszeichnet und sich stolz mit ihm zusammen von der Presse fotografieren lässt. Donald Malony ist erst 17 Jahre alt. Er kommt aus Detroit und dient seit neun Monaten bei der Coast Guard in Connecticut als Sanitäter. Er hat frei an diesem Samstag und steht direkt vor dem Empire State Building, als das Unglück geschieht. Malony springt in das nächstgelegene Gebäude, um sich vor den herabfallenden Trümmern zu schützen. Dann rennt er in den Drugstore im Parterre des Empire State Building. „Gib mir Morphium, Spritzen, Nadeln und Erste-Hilfe-Sets!“, ruft er dem Verkäufer zu. Er trägt an diesem Tag die Uniform der Coast Guard, ein aufgenähtes Rotes Kreuz weist ihn als Sanitäter aus. Deshalb gibt ihm der Angestellte sofort den größten Erste-Hilfe-Satz, den er finden kann.

Und deshalb nehmen ihn die Feuerwehrmänner mit, die gerade hereinstürzen, um sich im Keller an die brennenden, abgestürzten Aufzugskabinen heranzuwagen. Sie schlagen ein Loch in die Aufzugskabine 6, die aus der 75. Etage hinuntergeknallt ist. Malony kriecht als Erster hindurch, weil er den schmächtigsten Körper hat. Betty Lou Oliver und ihre Kollegin leben noch, schwer verletzt zwar, doch sie sind bei Bewusstsein. Techniker vermuten später, dass die automatischen Sicherheitsvorkehrungen im Schacht den Fall der Kabine so weit verlangsamt haben, dass die beiden jungen Frauen durch den Aufprall nicht zerschmettert wurden. Malony leistet Erste Hilfe, danach eilt er nach oben, findet drei Verletzte im 70. Stock und trägt sie nacheinander zu anderen Rettungsteams in Stockwerken darunter. Anschließend hilft er bei den Rettungsaktionen in der 79. Etage.

Am berühmtesten aber wird sein erster Einsatz. Denn als er in den Fahrstuhl kriecht, ruft Betty Lou Oliver aus: „Thank God, the Navy’s here! I’ll be okay now.“

Nach 40 Minuten kann der Fire Commissioner die meisten seiner Männer nach Hause schicken. Die Brände sind niedergekämpft, langsam verzieht sich der Rauch aus den mit Löschwasser überfluteten Etagen. Einige der Feuerwehrleute müssen noch die Gefangenen in den stecken gebliebenen Aufzügen befreien, was eine weitere halbe Stunde dauert.

Noch herrscht Unklarheit, wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt des Unglücks im 78. und 79. Stock befunden haben, wie viele entkommen konnten – und wie viele nicht. Manche Opfer sind so verstümmelt, dass sich nicht einmal mehr das Geschlecht erkennen lässt. Ein Mann findet Reste eines Propellers, die sich in eine Wand hineingebohrt haben, und ein Stück Stoff mit der Aufschrift: „Do not remove from plane No. 0588“.

Die New York Times lässt 25 Reporter berichten

Times Building, New York City, 10.00 Uhr. David H. Joseph ist City Editor der „New York Times“. Er ist für die gesamte New Yorker Berichterstattung des Weltblattes verantwortlich und sitzt bereits an der Arbeit, als die ungeheure Explosion Manhattan erschüttert. Er muss nicht lange warten, um herauszufinden, was geschehen ist. Die Mitarbeiter der Telefonzentrale im 11. Stock auf der Südseite des Times Building haben den besten Blick auf das Empire State. Sie rennen hinunter und informieren Joseph. Der wirft sofort die Struktur der Zeitung um. Die Sonntagsausgabe soll zwar von der japanischen Front berichten und von der Ratifizierung der UN-Charta durch den US-Senat, doch diesem Unglück in Manhattan gibt Joseph den größten Raum.

Frank S. Adams ist einer der besten Reporter – und hat seinen freien Tag. Joseph ruft ihn zu Hause in Queens an und beauftragt ihn, die „lead-all story“ zu schreiben, den längsten Artikel über die Katastrophe. Auch Adams’ Kollegen bekommen zu tun. Ein Reporter soll Menschen interviewen, die zum Zeitpunkt des Unglücks im Empire State Building waren; ein anderer Augenzeugen in Manhattan befragen, die von den letzten Sekunden des Fluges erzählen können. Wieder andere Mitarbeiter – insgesamt setzt die Zeitung 25 Reporter ein – eilen zu den Zentralen von Feuerwehr und Polizei, in die Krankenhäuser und zum Roten Kreuz, zum Rathaus und zum La-Guardia-Flughafen.

Die „New York Times“ druckt Storys über die ersten Radiomeldungen ebenso wie Porträts des Piloten Smith und seiner zwei Mitflieger. Kleinere Artikel widmen sich spektakulären Einzelschicksalen, etwa Betty Lou Olivers Sturz und deren Rettung durch Malony. Der Funkverkehr von Lieutenant Colonel Smith mit dem La-Guardia-Flughafen und die fatale Flugfreigabe ist eine Story wert, dazu kommt ein Hintergrundbericht über die Sicherheitsregeln für Flugzeuge. Ein Reporter befragt Erzbischof Francis J. Spellman, dessen Gebet für die Opfer im Wortlaut abgedruckt wird. Schließlich folgt eine Liste aller Verletzten und der Toten, die bis in die Nacht auf Sonntag identifiziert werden können.

Neben den Texten sollen vor allem Fotos dem Leser einen drastischen Eindruck von der Katastrophe geben. Ernie Sisto vergisst sein schmerzendes Magengeschwür und schleppt seine schwere Speed Graphic Kamera in den 81. Stock. Er blickt von dieser etwas erhöhten Position auf das Loch des Einschlags, dann schraubt er ein Weitwinkelobjektiv vor die Kamera. Es gelingt ihm, einige Feuerwehrleute zu einem waghalsigen Manöver zu überreden: Er setzt sich auf eine Fensterbank, die Feuerwehrmänner halten ihn an den Fußknöcheln fest, und Sisto lehnt sich weit hinaus in die Tiefe. Aus dieser spektakulären Position heraus macht er etliche Aufnahmen. Eines der Fotos ziert am nächsten Tag dreispaltig die Titelseite unterhalb der Schlagzeile.

Wer ein Radio eingeschaltet hat, muss nicht bis zur Sonntagsausgabe der Zeitungen warten, um sich über den Crash zu informieren. Manche Stationen sind beinahe live dabei. Edwin P. Kenny, ein Techniker des Senders WOR, steht gerade auf dem Dach des 25 Stockwerke hohen Gebäudes, um Wettermessgeräte abzulesen, als er die B-25 am Empire State Building zerschellen sieht. Er rast hinunter in die Aufnahmestudios und berichtet dem Ansager von dem Unglück. Der unterbricht sofort das Programm und bringt die erste Meldung fast zeitgleich mit den ersten Telefonanrufen um 9.49 Uhr.

Ein Jahr später steht das Empire State Building, als wäre nie etwas geschehen

Manhattan, am Tag danach. Die New Yorker starren auf das schwarz verkohlte Loch in der Nordfassade des höchsten Gebäudes der Welt. Viele staunen, dass der ungeheure Aufprall keine bedeutenden Schäden in der Statik des Wolkenkratzers angerichtet hat. Sie staunen auch, dass der Brand recht leicht bekämpft werden konnte und dass relativ wenige Opfer zu beklagen sind. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Smith an einem Montag gestartet wäre. Dennoch bleibt das Unglück entsetzlich genug: 14 Tote, 25 Verletzte und Sachschaden in Höhe von einer Million Dollar – eine hohe Summe im Vergleich zu den Baukosten von 25 Millionen Dollar im Jahre 1931. Die Army übernimmt alle Kosten.

Viele Verletzte können nach kurzer Behandlung wieder entlassen werden, die meisten sind schon am Samstagnachmittag wieder zu Hause. Betty Lou Oliver aber liegt mit schweren Verbrennungen und mehreren Knochenbrüchen 18 Wochen im Bellevue Hospital.

Feuerwehrleute, Reporter, Techniker. Ingenieure, Vertreter von Stadt und Army haben schon am Samstagmittag begonnen, die am schwersten beschädigten Teile des Wolkenkratzers zu untersuchen. Noch Stunden später stürzten Glasstücke auf die abgesperrten Straßen. Doch schon bald kann Hugh A. Drum, Präsident der Eigentümer- und Betreibergesellschaft des Empire State Building, vor der Presse feststellen, dass der Bau keine ernsten strukturellen Schäden erlitten habe.

Erzbischof Francis J. Spellman liest am Sonntag in der St. Patrick’s Cathedral vor 1000 Gläubigen die erste Totenmesse. Bereits in der Nacht hat er zu dem Unglück gesagt: „Die klaffende Wunde in dem Gebäude ist ein karges Symbol für die Ruinen in den Herzen derer, die ihrer Liebsten beraubt wurden und die in vielen Fällen nicht einmal in der Lage sind, ihre geliebten Angehörigen zu identifizieren.“

An diesem Sonntag sind alle Aufzüge bis zum 67. Stock wieder in Betrieb. Zwischen der 67. und der 80. Etage fahren immerhin fünf Kabinen. Die Aussichtsplattformen im 86. und 102. Stockwerk bleiben vorerst geschlossen. Die Löcher in der Nord- und Südfassade des Bauwerks werden provisorisch mit Planen und Brettern verkleidet. Die Reparaturen dauern zwölf Monate, dann steht das Empire State Building wieder so da, als wäre nie etwas geschehen.

Aus dem Ort der Katastrophe wird eine Attraktion für Schaulustige

Nie wird endgültig geklärt, wie es zu dem Unglück gekommen ist. „Wenn der Pilot dort geblieben wäre, wo er hingehörte, dann hätten wir keine Probleme“, erklärt Bürgermeister La Guardia am 29. Juli vor der Presse. Die Army setzt eine Kommission ein, die keine eindeutigen Ergebnisse vorlegt – aber der Tower-Besatzung von La Guardia vorwirft, der B-25 die Freigabe nicht verweigert zu haben.

Erwiesen ist, dass Smith von Anfang an nicht auf der Mindesthöhe von 2000 Fuß flog, als er Manhattan erreichte. Aber wieso tauchte er dort plötzlich im Tiefflug aus dem Nebel auf? War es der Leichtsinn eines im Kriege übermütig gewordenen Piloten, der seinen beiden Mitfliegern am Ende eines langen Überlandflugs etwas bieten wollte? Der ihnen vielleicht „einmal New York zeigen“ wollte und in den Steinschluchten in eine unentrinnbare Falle geriet? Hatte er Probleme mit den Instrumenten? Glaubte er sich auf der vorgeschriebenen Höhe und erkannte seinen Irrtum erst, als plötzlich die ersten Wolkenkratzer vor ihm lagen?

Andere Augenzeugen glauben, die B-25 habe Motorprobleme gehabt. Dagegen spricht, dass der Bomber mit mindestens 200 Meilen pro Stunde Geschwindigkeit ins Building gerast ist. Ein Zeuge sagt gar aus, dass er die Maschine mit ausgefahrenem Fahrwerk gesehen habe, „als wollte der Pilot so die Geschwindigkeit abbremsen“. Wieder andere meinen, Smith habe Probleme mit Steuer- und Höhenruder gehabt.

Das könnte durchaus die Ursache für den Crash gewesen sein. Doch alle Zeugen haben die B-25 nur wenige Sekunden lang unter schlechten Wetterverhältnissen gesehen. Niemand hatte Zeit, den Todesflug eingehend zu beobachten.

New York wäre nicht New York, würden nicht auch bei diesem Unglück sofort einige Leute ein Geschäft wittern. Edward Blod und zwei weitere Hobby-Astronomen richten normalerweise nachts ihre Teleskope vom Dach eines Hochhauses an der 42. Straße auf den Sternenhimmel. Am Morgen des 29. Juli aber bauen sie ihre Geräte mit dem ersten Sonnenlicht um. Gegen Geld kann jeder Neugierige durchs Teleskop einen Blick auf die zerschmetterte Fassade hoch oben am Empire State Building werfen.

Die Schaulustigen stehen in langen Schlangen vor der neuen Attraktion.

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