Unglück vor 65 Jahren Gletscher gibt Überreste eines verschollenen Antarktisforschers frei

Schwarz-Weißfoto von drei Männern, die mit Schlittenhunden auf dem Schoß posieren.
Der britische Meteorologe Dennis Bell (ganz links) auf der Forschungsstation in der Antarktis, Winter 1959
© British Antarctic Survey / PA Wire URN:81236115 / picture alliance
1959 starb der Brite Dennis Bell in einer Gletscherspalte, obwohl seine Schlittenhunde ihn fast schon befreit hatten. Jetzt hat eine polnische Expedition seine Knochen entdeckt

Es war ein Telegrafenjunge, der die schreckliche Nachricht im Juli 1959 überbrachte. David Bell lebte mit seinen Eltern in London. Sein Bruder Dennis war ein Jahr zuvor in die Antarktis aufgebrochen, um als Meteorologe auf einer britischen Forschungsstation zu arbeiten. Er würde nicht zurückkommen.

Vom Gletscher verschluckt

Jahrzehntelang wartete David Bell vergeblich darauf, seinen Bruder bestatten zu können. Dieser war, so stand in dem Telegramm, in eine Gletscherspalte gestürzt, 13.500 Kilometer von seiner Heimat entfernt auf der antarktischen Insel King George Island. Das Eis hatte ihn verschluckt. 

Erst 65 Jahre später, im Januar 2025, stieß die Besatzung einer polnischen Forschungsstation auf Knochenfragmente, Skistöcke, eine Taschenlampe und weitere persönliche Gegenstände, die über das Eis eines nahen Gletschers verteilt lagen. Ein DNA-Abgleich hat nun bestätigt: Es handelt sich um die sterblichen Überreste von Dennis Bell.

Schwarz-Weißfoto der Oberfläche des Ecology Gletscher mit Schnee und Geröll
Der Ecology Glacier auf King George Island. Zwischen den losen Felsen fanden die polnischen Forscher im Januar 2025 die Knochenfragmente und Habseligkeiten von Dennis Bell.
© Henryk Arctowski Polish Antarctic Station / PA Wire URN:81236117 / picture alliance

Der damals 25-jährige Brite hatte, so erzählt sein Bruder es heute dem Sender BBC, immer von der Antarktis geträumt. Nach seinem Studium ließ sich Dennis Bell für zwei Jahre auf die britische Forschungsstation auf King George Island versetzen. Bilder aus dem Archiv des "British Antarctic Survey", der die Station damals betrieb, zeigen ihn stets lachend, mit zotteligem Bart und oft mit einem Schlittenhund im Arm. Um die Tiere kümmerte er sich den Stationsaufzeichnungen zufolge liebevoll, wenn er keine Wetterballons steigen ließ.

Schwarz-Weiß Foto einer Gruppe von fünf Männern mit einem Akkordeon, die gemeinsam feiern.
David Bell feiert Weihnachten 1958 mit seinen Kollegen auf der Forschungsstation.
© British Antarctic Survey / PA Wire URN: 81236118 / picture alliance

Am 26. Juli 1959, im tiefsten antarktischen Winter, machte sich Dennis Bell mit einem Kameraden und einem Schlittengespann auf den Weg, den nahegelegenen Gletscher zu erkunden. Welch fatale Wendung diese Expedition nahm, beschreibt der damalige Leiter des British Antarctic Survey, Sir Vivian Fuchs, in seinem Buch "Of Ice and Men": Bell sei durch den tiefen Schnee vorausgestapft, um die müde gewordenen Hunde im steilen Anstieg zu motivieren. Sein Kamerad Jeff Stokes habe nur noch gesehen, wie Bell plötzlich verschwand: Er war durch die Schneedecke gebrochen und in eine Gletscherspalte gestürzt. 

Beinahe wäre er gerettet worden

"Stokes spähte in die Tiefe, rief wiederholt und war sehr erleichtert, als er eine Antwort erhielt", schreibt Fuchs. "Er ließ ein fast 30 Meter langes Seil hinunter und forderte Bell auf, sich daran festzubinden. Da er dessen Gewicht nicht alleine heben konnte, befestigte er sein Ende des Seils am Gespann. Die Hunde begannen zu ziehen."

Fast wäre es gelungen. Seine Schlittenhunde hatten Bell bereits bis zum Rand der Spalte gezogen. Doch der junge Brite hatte das Seil nicht um seinen Körper geschlungen, sondern an seinem Gürtel befestigt. Kurz, bevor er aus der Spalte klettern konnte, riss dieser – und Bell stürzte wieder in die Tiefe. Als Stokes ihn erneut rief, erhielt er keine Antwort.

Inzwischen war ein Schneesturm aufgezogen. Obwohl Stokes die Stelle markiert und Peilungen an die umliegenden Berggipfel vorgenommen hatte, gelang es einem Rettungstrupp erst zwölf Stunden später, die Stelle des Unglücks wiederzufinden. "Es bestand keine Chance, dass er das überlebt haben könnte", erinnert sich einer der Männer.

Farbfoto der gelben polnischen Henryk Arctowski Antarktik Station vor teils mit Schnee bedeckten Bergen.
Die polnische Antarktis-Forschungsstation Henryk Arctowski. In unmittelbarer Nähe fanden Forscher die sterblichen Überreste Bells.
© Michael Runkel / robertharding / picture alliance

Dass der Gletscher nun die sterblichen Überreste von Dennis Bell freigab, ist der rapiden Erwärmung des Klimas zuzuschreiben. Während der 65 Jahre taute das Eis nicht nur stark ab – es bewegte sich offenbar auch über eine weite Strecke. Die Knochenfragmente wurden weit entfernt von der ursprünglichen Stelle des Unglücks gefunden. "Ein Gletscher ist wie ein großer Wäschetrockner, die Dinge sind ständig in Bewegung", sagte ein Mitarbeiter des British Antarctic Survey dem "New Scientist". "Die Tatsache, dass wir über Knochenfragmente sprechen, ist ein Hinweis auf die Kräfte, die hier wirken."

Bells Überreste und Habseligkeiten wurden nach Großbritannien verschifft, wo sein Bruder und seine Schwester, beide weit über 80 Jahre alt, ihn nun bald bestatten wollen. "Es ist wunderbar; ich werde meinen Bruder treffen", sagt David Bell der BBC. "Man könnte meinen, wir sollten nicht so begeistert sein, aber wir sind es. Er ist jetzt nach Hause gekommen."