Sie sehen aus wie aus einer anderen Welt: Eine Gestalt, die einem zerknautschten Staubsaugerbeutel ähnelt. Krallen wie ein Adler. Und Eier, wie von einem Designer mit Hang zu Kugelkitsch entworfen. Den etwas neckischen Namen Bärtierchen verdanken die kleinen Wesen einem Quedlinburger Pfarrer namens Goeze, der statt in die Bibel in ein „Vergrößerungsglas des Leipziger Optikus Hoffmann“ schaute, ein achtbeiniges Krabbelwesen entdeckte und es anno 1773 „Kleiner Wasserbär“ taufte.
Inzwischen sind mehr als 960 Arten bekannt. In Noahs Arche hätten sie leicht Platz gefunden, die kleinsten winzig wie ein feines Sandkorn, die größten gerade so groß wie ein Stecknadelkopf. Kein Herz, keine Lunge. Durchsichtiges „Blut“ schwappt frei durch den Leib; zur Atmung genügt Gasaustausch über die Haut. Dieses Sparprogramm hat genügt, um die ganze Welt zu besiedeln. Bärtierchen , zoologisch Tardigrada, Langsamschreiter, genannt, reisen mit dem Wind, auf Vogelfedern, mit Wasserströmungen, auf Algen. So haben sie Biotope erobert, vor denen es anderen Lebewesen zu Recht schaudert: 6000 Meter hohe Himalaya-Berge, den Boden der Ozeane in 4500 Meter Tiefe, heiße Quellen in Japan, Gletscher in Grönland. Besonders aber lieben sie Moos. Krallen finden dort guten Halt; und es gibt Pflanzenzellen und Kleinsttiere im Überfluss, die sich bequem aus- oder aufsaugen lassen.
Sterben als Überlebensstrategie
Krabbeln, fressen und verdauen können Tardigrada allerdings nur, solange ein dünner Wasserfilm sie umhüllt. Was, wenn das Moos austrocknet? Statt auf Flucht setzen die Bärtierchen auf Harakiri – sie lassen es zu, ebenfalls auszutrocknen. Alle Körperflüssigkeit schwindet, übrig bleiben faltige Klumpen, sogenannte Tönnchen.
Ein bitteres Ende? Keineswegs. Mit ihrer Verwandlungsstrategie lehren Bärtierchen Gläubige wie Ungläubige Demut. Sie beherrschen einen Zaubertrick: die regelmäßige Auferstehung von den Toten. Irgendetwas, Goeze hätte es vielleicht Seele genannt, erlaubt ihnen, nicht nur Tage, sondern Monate oder Jahre im Zustand der „Anhydrobiose“ zu verharren und auf Nahrung und ihr Lebenselixier Wasser zu verzichten. Bis ein paar Tropfen von besserer Zukunft künden – und ein paar Minuten später das nächste Leben beginnt.
Unverwüstlich, auch im All
Wie kann Leben bei vielzelligen Tieren ohne jeglichen Stoffwechsel fortdauern? Forscher sind fasziniert von diesem Geheimnis. Sie setzen die zähen Wunderwesen immer neuen Martyrien aus. Und siehe – die robustesten trotzen Temperaturen von 100 Grad Celsius und Radioaktivität. Auch der kosmischen Strahlung und dem Vakuum im All? 2008 umkreisten Bärtierchen in einer geöffneten Kapsel zehn Tage den Planeten Terra. Kehrten zurück, zunächst als leblose Säcke. nach der Wasserkur dann als Helden – erstmalig hatten Tiere schadlos einen "Weltraumspaziergang“ überlebt.