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Naturschutz "Unser Wald ist nicht in guten Händen" - Peter Wohlleben im GEO-Interview

Peter Wohlleben
Schon in seiner Kindheit malt sich Peter Wohlleben aus, Naturschützer zu werden. Er studiert Forstwirtschaft und übernimmt im Jahr 1991 sein erstes Revier: Hümmel in der Eifel. Seitdem arbeitet er daran, den dortigen Gemeindewald in einen Urwald zurückzuverwandeln. Seit 2007 schreibt er über Natur- und Waldschutz. Seine Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Allein sein Buch „Das geheime Leben der Bäume“ verkaufte sich mehr als 1 Million mal. Peter Wohlleben ist 55 Jahre alt.
© Benne Ochs / GEO
Als Autor erreicht Peter Wohlleben ein Millionenpublikum, als Förster eckt er an. Kein Wunder: Er geht mit den deutschen Forstverwaltungen hart ins Gericht. Im GEO-Interview plädiert er für einen schonenden Umgang mit unserer Natur – und für Waldspaziergänge abseits planierter Pfade

Interview: Betram Weiss

GEO: Sie fordern: „Gebt uns unseren Wald zurück!“ Das klingt rebellisch. Aber wer soll ihn uns geben?

Peter Wohlleben: Etwa die Hälfte der Wälder in Deutschland sind in privater Hand, die andere Hälfte gehört uns allen. Sie sind öffentliches Eigentum. Aber jene, die die Wälder für uns verwalten, die Forstbehörden, benehmen sich zusammen mit Jägern oft, als gehörten sie ihnen selbst. Sie ignorieren die Erwartungen der Bevölkerung und versuchen sogar manchmal, uns Bürger aus den Wäldern fernzuhalten.

Dabei ist es in Deutschland jedem erlaubt, jeden Wald zu betreten ...

Genau! Wir dürfen zu jeder Tages- und Nachtzeit kreuz und quer darin herumlaufen! Ausgenommen davon sind nur einige Schutzgebiete. Das sollte jeder wissen und nutzen. In den USA etwa gibt es ein solches Betretungsrecht nicht. Leider versuchen manche Jäger, Spaziergänger so zu verunsichern, dass sie eben doch nicht hineingehen, geschweige denn auch mal abseits der Wege zwischen den Bäumen stapfen.

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Auf welche Weise geschieht das?

Etwa durch Schilder, auf denen steht: „Achtung, Tollwut!“ Dabei ist diese Krankheit in Deutschland ausgerottet. Oder: „Achtung, in diesem Gebiet jagt der Wolf!“ Das sind Versuche, Menschen fernzuhalten.

Aber ist es nicht klug, einen Wald zu meiden, durch den Wölfe streifen?

Es gibt in Deutschland Tausende von Beißattacken pro Jahr, auch mehrere tödliche – durch Hunde. Aber nicht durch Wölfe. Jeder Fall, in den angeblich ein Wolf verwickelt war, hat sich als Falschmeldung herausgestellt. Wölfe sind scheu, weichen aus, sie kommen nicht einfach an Spaziergänger heran. Dennoch haben Schilder einen an sich guten Zweck: Immerhin stört doch jeder, der quer durch den Wald stapft, die Natur. Einzelne Fußgänger können im Wald weitaus weniger Schaden anrichten, als viele denken. Ein paar Fußabdrücke im Boden stören nicht, ebenso wenig der Klang von Stimmen. Denn diese Geräusche erfüllen nicht den ganzen Wald. Sie sind immer aus einer Richtung zu hören, sodass die Wildtiere ausweichen können. Wir sollten sogar eher laut sein als leise. Denn so signalisieren wir: Diese Zweibeiner sind nicht auf der Jagd.

Warum sollen wir denn daran gehindert werden, die Wälder zu betreten?

Weil Spaziergänger den Forst- und Jagdbetrieb stören. Das Grundverständnis der Forstverwaltungen in Deutschland kann man schon an deren Begriffen erkennen: Es werden nicht „Bäume“ gepflanzt oder gepflegt, sondern „Laubholz“ und „Nadelholz“. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon 1990 festgestellt, dass im öffentlichen Wald die Holzerzeugung nachrangig ist.

Was hat demnach Vorrang?

Die Natur an sich hat einen Wert, auch für uns Menschen. Naturschutz und Erholung, so die aktuelle Gesetzeslage, haben deshalb Vorrang vor der Holzwirtschaft. Die Forstverwaltung ist verpflichtet, in mehr als der Hälfte der Wälder diesen Zielen Priorität zu geben. Aber davon sind wir weit entfernt. Das erkennt man schon daran, dass mehr als 50 Prozent der Wälder aus Nadelbäumen bestehen, vor allem Fichten und Kiefern. Es sind keine Wälder, sondern Plantagen. Erschaffen, um Holz zu produzieren.

Aber es gibt etliche Naturschutzgebiete, in denen Wälder bewahrt werden und Menschen sich erholen können.

Diese Flächen werden aktiv beworben, sodass man den Eindruck gewinnt: Hey, es gibt so viel geschützte Natur! Tatsächlich machen streng geschützte Flächen gerade einmal zwei Prozent des Waldes aus. Es freut mich, dass die Bundesregierung anstrebt, diesen Prozentsatz zu erhöhen. Aber leider geht das langsam voran. Und was viele nicht wissen: Auch in Nationalparks wird abgeholzt. Dort gibt es sogar die größten Kahlschläge, weitaus größer, als es gesetzlich erlaubt wäre in einem normalen Wirtschaftswald. Auf dem Papier heißen diese Flächen dann „Entwicklungszonen“. Das bedeutet: Sie werden erst in Jahrzehnten tatsächlich unberührt sein. Bis dahin sollen Förster sie verändern, und zwar so, dass auch die umliegende Holzwirtschaft weiter davon profitiert.

Stehen Sie mit diesem Vorwurf nicht allein?

Naturschützer und Umweltverbände weisen ebenfalls darauf hin. Von denen ist man das ja so gewohnt, dass man kaum noch richtig hinhört. Aber auch die Forstverwaltung von Lübeck hat schon seit Jahrzehnten erkannt, dass etwas gewaltig schief läuft in den öffentlichen Wäldern, und deshalb auf naturnahe Bewirtschaftung umgestellt. Daran orientieren sich mittlerweile auch andere Städte, etwa Göttingen oder die kleine Eifelgemeinde Wershofen.

Was bedeutet „naturnah“?

Ziel ist es, Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten. Nicht der Profit hat Priorität, sondern die Gesundheit der Natur – und damit auch die Gesundheit der Menschen. Konkret heißt das zum Beispiel: Es gibt keine Kahlschläge mehr. Auch verzichten die Förster weitgehend auf Anpflanzungen. Sie überlassen es der Natur, zu entscheiden, wo ein Baum wächst.

Wie kann ein Waldspaziergänger erkennen, ob die Natur im Vordergrund steht?

Jetzt, im Frühjahr, ist das recht einfach: Wenn Sie durch einen Wald gehen, werden sie wahrscheinlich irgendwo das Röhren von Motorsägen oder großen Holzerntemaschinen, sogenannten Harvestern, hören. Das ist nicht nur der Erholung hinderlich, sondern stört auch die Vögel. Gerade jetzt beginnen die, ihre Nester zu bauen, Eier zu bebrüten, Junge aufzuziehen. Zumindest in den Wäldern, die uns allen gehören, sollte allein deshalb schon der Holzeinschlag im Februar enden und frühestens im September beginnen.

Und warum wird das nicht so gemacht?

Die Forstbehörden holen Holz, wenn es gebraucht wird. Es gibt bei Sägewerken so gut wie keine großen Holzlager mehr, nur noch Just-in-time-Produktion. Deshalb wird rund ums Jahr geschlagen, ohne Rücksicht auf die Natur.

Wer verdient an dieser intensiven Holzwirtschaft?

Man könnte denken: Wenn die Forstverwaltungen den Holzertrag so wichtig nehmen, dann spült das immerhin Geld in die öffentlichen Kassen. Doch erstens sind das gar keine großen Beträge, und zweitens scheinen sich die Verwaltungen selbst dafür zu schämen. Schauen Sie doch mal in die Prospekte und auf die Homepages – da wird so getan, als ob die Freizeitgestaltung für uns Bürger das Alltagsgeschäft der Förster wäre.

Sie fordern weniger intensiven Einschlag, andererseits mehr Gewinn – wie soll das gehen?

Wer billigem Holzeinschlag den Vorrang gibt, geht nicht ökonomisch mit der Ressource Wald um. Ein Harvester mag in kurzer Zeit viel Holz schlagen. Aber zugleich verdichten die riesigen Räder den empfindlichen Waldboden, der danach bis in zwei Meter Tiefe kaum noch Wasser speichern kann. An dieser Stelle gedeihen Bäume nur noch sehr langsam. Im Bereich von Fahrspuren, so zeigen Studien, geht das Holzwachstum zurück.

Und was wäre die Alternative?

Naturnahes Wirtschaften heißt, weitgehend auf Harvester zu verzichten und stattdessen Bäume auf traditionelle Weise zu bewegen, mithilfe von Rückepferden. So wie ich es seit Längerem in meinem Revier in der Eifel mache. Ganz ohne Maschinen geht es nicht, doch die sammeln nur das von den Pferden vorgezogene Holz ein. Das Beispiel Harvester ist nur eines von vielen dafür, dass Waldwirtschaft heute meist nur auf den kurzfristigen Ertrag achtet – nicht auf den langfristigen.

Aber im Forst wird doch eine Generation in die Zukunft gedacht: Wer eine Fichte pflanzt, kann sie zu Lebzeiten nicht mehr ernten.

Viele, die im Waldbau beschäftigt sind, behaupten das. Aber leider entspricht es nicht der Realität. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die „Umtriebszeit“, also die Dauer, nach der ein Stamm als „reif“ gilt, immer weiter verkürzt. Wartete man zu Beginn meiner Studienzeit noch bis zu 120 Jahre, so lässt man vielen Bäumen heute manchmal nur noch 60 Jahre Zeit. Ganz gleich, ob es wirklich optimal ist, zum Beispiel für den Bau von Möbeln oder von Häusern. Das ist so, als wenn man sagen würde: Lass uns doch grüne Erdbeeren essen. An den Geschmack muss man sich gewöhnen, aber so können wir Zeit auf dem Feld sparen.

Sie verschweigen: Die Nachfrage nach Holz ist gestiegen. Deutschland muss Holz importieren, es drohen sogar Versorgungsengpässe.

Ja, diese „Holzlücke“ gibt es. Aber wir werden sie nicht schließen, indem wir einfach immer mehr Holz aus den Wäldern holen. Letztlich muss es heißen: Wir müssen weniger Holz verbrauchen, um den Wäldern Luft zum Atmen zu lassen. Das werden wir nur dann bewältigen, wenn wir den Wald ökologisch und damit langfristig sinnvoll bewirtschaften.

Peter Wohlleben
Die Eberesche zeigt Spuren eines trockenen Sommers. Vom Weg abweichen und genau hinschauen: So stellt sich Wohlleben den idealen Waldspaziergang vor
© Benne Ochs / GEO

Sie schreiben am Ende eines Ihrer Bücher: „Es sind Ihre Wälder, die Hilfe brauchen. Jetzt.“ Ist das ein Aufruf dazu, Wälder zu besetzen?

Nein. Was aber jeder von uns tun kann: genau hinschauen. Beobachten Sie beim nächsten Waldspaziergang: Wo und wie wird da gearbeitet? Welche Schilder gibt es? Welche Absperrungen? Aber auch: Wie sieht die Natur aus? Wie fühlt sie sich an? Üblicherweise ist ein Waldspaziergang ja eher ein Marsch: Man kommt an einem Parkplatz an, definiert ein Ziel, etwa ein Gasthaus, und hastet dorthin. Die Natur selbst rauscht dabei rechts und links an einem vorbei, ist eine Art Kulisse für Gespräche oder eigene Gedanken.

Mit Hinschauen allein ist es kaum getan.

Ja. Sprechen Sie Ihren örtlichen Förster doch mal an. Stellen Sie Fragen. Das wäre der erste Schritt. Und wenn Sie keine Antworten bekommen, dann suchen Sie Gleichgesinnte: Gründen Sie eine lokale Bürgerinitiative. In Deutschland sind wir frei, so etwas zu tun, und an zahlreichen Orten geschieht das bereits. Viele dieser Gruppen versammeln sich in der „Bundesbürgerinitiative Waldschutz“ und fordern eine nachhaltige Waldwirtschaft, in der die Gesundheit der Natur mehr gilt als der Profit.

Was könnte die Zielsetzung einer solchen Initiative sein?

Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland bald ähnlich selbstverständlich von „Waldschutz“ sprechen wie von „Tierschutz“. Wir sind es gewohnt, genau hinzuschauen, wie Zoodirektoren oder Landwirte mit Tieren umgehen. Wir misstrauen ihnen und achten darauf, wie Hühner, Schweine und Rinder gehalten werden. Den Verwaltern der Wälder aber vertrauen wir nahezu blind. Wir glauben, unser Wald sei bei ihnen in guten Händen. Aber da sage ich: Nein, das ist er nicht.

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