+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++
Sehnen wir uns nicht alle nach ein bisschen Normalität? In Extremen zu leben, sozial, klimatisch, ernährungstechnisch, ist mühsam. Expeditionen zum Nordpol lassen wir gerne andere machen. Mit Hartz IV leben, auch. Und auf was Veganer alles achten müssen! Anstrengend!
Normalität, Mainstream, Maß und Mitte: Das verspricht dagegen ein reibungsarmes Fortkommen. Ein business as usual in einer Gesellschaft, in der wir es uns herrlich bequem eingerichtet haben. Normalität – das meint heute, dass sich fast jeder ein eigenes Auto leisten kann. Und es dann auch fährt. Dass viele von uns in den Sommerferien um die halbe Welt jetten. Auch der Traum vom Eigenheim im Grünen ist mittlerweile kein soziales Aufstiegsszenario mehr, sondern Normalität. „Sichere“ Nahrungsmittel stehen nicht nur für alle bereit – sondern auch so günstig wie nie. Sechzig Kilo Fleisch leistet sich jede/r Deutsche im Jahr, Veganer, Greise und Säuglinge eingerechnet. All das ist vollkommen normal. Denken wir.
Doch genau das ist das Problem. Denn die Kollateralschäden dieses Lebensstils, nach denen wir nicht fragen, sind extrem. Das unausgesprochene Einverständnis ist: Wir tun es, weil wir können. Die anderen machen es ja auch. Außerdem hält unser Konsum die Wirtschaft am Laufen. Und ohne Wirtschaft ist alles nichts.
Damit blenden wir grundlegende Fragen systematisch aus. Etwa, ob wir für die katastrophalen Folgen des Klimawandels mitverantwortlich sein wollen oder nicht. Welches Maß der Naturnutzung oder gar -zerstörung zu rechtfertigen ist. Wo und wie wir in 50 Jahren Landwirtschaft betreiben wollen, wenn Böden verbaut, versiegelt, ausgelaugt oder vergiftet sind. Wenn es kaum noch bestäubende Insekten gibt.

Extremismus der Normalität
Bernd Ulrich von der ZEIT schrieb neulich pointiert von einem "Extremismus der Normalität". Die Magie der Mitte, so Ulrich, beruhe auf einem unhinterfragten Dogma, das sich immer öfter als falsch erweise: "dass nämlich die gelebte Normalität dieser Gesellschaft vor Extremen schützt und nicht selbst extrem sein kann." Ein Dogma, dem sich auch die Medien unterworfen hätten.
Was dazu führt, dass nicht mehr die richtigen Fragen gestellt werden. Fragen, die über das Kleinklein der Tagespolitik und das Gerangel zwischen Politik, (Land-)Wirtschaft, Lobbygruppen und Handel um einige Quadratzentimeter mehr für Legehennen, um Übergangsfristen für das betäubungslose Kastrieren oder über die Inhalte eines staatlichen "Tierwohl"-Labels hinausgehen.
Da hatte der ZEIT-Ressortchef auch mich erwischt. Denn die Fragen an die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die Bernd Ulrich anregte, habe ich mir zwar schon oft selbst gestellt. Aber nie der Ministerin. Jener Politikerin, die aus Verantwortung für kommende Generationen Zukunft gestalten soll. Ich holte das also nach und wollte per E-Mail von Julia Klöckner wissen:
1. Mit welchem Recht töten wir sogenannte Nutztiere?
(Das Tierschutzgesetz verbietet das Töten "ohne vernünftigen Grund". Außerdem haben sich Tierrechtler und Philosophen mit der Frage beschäftigt, und einige von ihnen kamen zu dem Ergebnis: Wir dürfen es nicht.)
2. Warum müssen es so viele sein?
(Im Jahr 2017 wurden in Deutschland allein 58 Millionen Schweine und 600 Millionen Hühner geschlachtet.)
3. Warum züchten und töten wir sie auf eine überwiegend qualvolle Weise?
(Man denke nur an die Berichte über Turbo-Mast, Schlachthof-Transporte, Fehlbetäubungen, Schlachtungen von schwangeren Kühen etc.)
Die Antwort aus der Presseabteilung der Ministerin kam eine Woche später: "Besten Dank für Ihre Anfrage, der Frau Bundesministerin leider nicht nachkommen kann."