Anzeige
Anzeige

Interview Die Psychologie der Klimakrise: Warum wir nicht tun, was wir für richtig halten

Klimawandel
Wir haben die Wahl - zwischen einem gesunden und einem erschöpften Planeten
© Artisticco / shutterstock
Die Fakten liegen auf dem Tisch, doch das entschlossene Handeln bleibt aus: Die Klimakrise, das wird immer deutlicher, ist auch ein psychologisches Problem. Wir sprachen darüber mit Lea Dohm und Felix Peter von Psychologists for Future

GEO.de: Im Zusammenhang mit der Klimakrise geht es meist um CO2-Emissionen und ihre Reduktion. Warum melden sich jetzt Psychologen und Psychologinnen zu Wort?

Lea Dohm: Es liegt auf der Hand: Die Klimakrise ist menschengemacht, und die Psychologie ist nun mal die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten und Erleben. Unser Verhalten hat uns in diese Krise geführt und kann uns hoffentlich auch wieder herausführen. Wir als Psycholog*innen haben Wissen, das wir dafür nutzbar machen können.

Felix Peter: Wir haben auf der einen Seite das physikalische Wissen, dass die Treibhausgase zunehmen und was das mit der Atmosphäre macht, welche Auswirkungen diese Zunahme auf das Klima und Wettererscheinungen hat und so weiter. Viele Menschen fühlen sich davon bedroht, verhalten sich aber nicht entsprechend. Diese Lücke zwischen unserem Wissen und unserem Verhalten kann die Psychologie erklären helfen.

Warum tun wir denn nicht, was wir für richtig halten?

LD: Es fängt schon an mit der Gefahrenwahrnehmung. Selbst wenn wir das Faktenwissen begriffen haben, erreicht es uns nicht immer in einer Tiefe, die nötig wäre, um wirklich ins Handeln zu kommen. Zudem sind Ursachen und Wirkungen komplex, das macht es für uns schwierig, die Krise in ihrer Gesamtheit zu begreifen. Eine besondere Herausforderung ist auch der Single Action Bias. Das bedeutet: Selbst wenn wir uns unwohl fühlen wegen der Klimakrise, reicht unter Umständen eine einzelne Handlung, damit wir uns besser fühlen. Wenn ich heute wegen meiner Sorgen um das Klima kein Fleisch esse, fühle ich mich unmittelbar besser – und denke dann drei Tage lang nicht mehr über mein Verhalten nach. Dieses Problem führt dazu, dass Klimaschutz verschleppt wird.

FP: Das eine ist, die Bedrohung zu erkennen. Das andere ist, entsprechend zu handeln. Wir können mit Blick auf Umfragen davon ausgehen, dass weltweit mehr als die Hälfte aller Menschen sich der Bedrohung bewusst sind und sich sorgen. Das gilt selbst für Umfragen, die während der Covid-19-Pandemie durchgeführt wurden. Die psychischen Mechanismen, die zu der Lücke zwischen Wissen und Handeln führen, sind seit Jahrzehnten gut untersucht. Neben dem Single Action Bias gibt es zum Beispiel die Verantwortungsdiffusion: Es können ja so viele Menschen etwas tun – also warum sollte ich jetzt dran sein? Dazu kommen die begrenzten Kapazitäten, sich überhaupt über etwas Sorgen zu machen. Themen, die emotional näher an uns dran sind, erscheinen uns hierbei erst einmal wichtiger. Also etwa die Frage, ob mein Kind in der Pandemie zur Schule gehen kann oder die Schule morgen wieder dichtgemacht wird. Je nach Persönlichkeit gibt es auch das Bedürfnis nach Einfachheit und klaren Antworten, oder anders gesagt: eine gewisse Intoleranz gegenüber Komplexität. Und der Klimawandel ist nun mal etwas sehr Komplexes. Wir neigen außerdem dazu, uns Informationen zu suchen, die unser Weltbild bestätigen. All das ist im Zusammenhang mit psychischen Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Relativierung oder sogar Leugnung zu sehen.

Könnte das Leugnen auch damit zu tun haben, dass die Klimakrise unseren Lebensstil bedroht?

FP: Ja, es geht auch um eine materielle Bedrohung durch Klimaschutzmaßnahmen. Wir haben einen großen Bevölkerungsanteil, der sich Sorgen um seinen gesellschaftlichen Status macht. Und es gibt Statussymbole, die durch eine wirksame Klimapolitik bedroht wären, etwa das Auto.

LD: Es gibt aber auch gezielte Desinformation. Exxon zum Beispiel hat eingeräumt, dass sie schon seit Anfang der 80er-Jahre wussten, wie sich die Emissionen entwickeln würden. Gleichzeitig gab es von Seiten der Politik und der Wirtschaft große Kampagnen, das zu vertuschen. Das machte es leichter, in die Verdrängung oder die Verleugnung zu rutschen.

FP: Diese Art von Desinformation ist ein Anker, den man gerne annimmt. Sie reduziert Komplexität und zeigt eine Lösung, die ganz einfach ist: Man muss nichts tun – weil das Problem nicht zu existieren scheint.

Wird diese psychologische Dimension des Problems ausreichend gewürdigt, zum Beispiel in den Medien?

LD: Das Problem fängt einen Schritt früher an: Ich glaube, dass die Klimakrise an sich von den Medien noch völlig unzureichend wahrgenommen wird. Wenn das der Fall wäre, würde man automatisch bei der psychologischen Dimension landen. Als Psychologists for Future haben wir allerdings viele Presse-Anfragen, ...

FP: ... bei denen es leider oft um die pathologische Seite des Problems geht. Viele Anfragen drehen sich um das Thema Klimaängste. Und damit sind dann nicht einfach die Sorgen der Bevölkerung gemeint, sondern Ängste im klinischen Sinn. Dabei sind es derzeit, zumindest hierzulande, nur sehr wenige Menschen, die sich von solchen klimabezogenen Ängsten gelähmt fühlen und eine psychische Erkrankung entwickeln.

Nutzt die Politik Ihre Erkenntnisse eigentlich? Zum Beispiel das Umweltministerium oder das Umweltbundesamt? Sind die mal auf Sie zugekommen?

LD: Nein. Aber sie sind herzlich eingeladen, es zu tun.

FP: Wir haben in der Corona-Pandemie gemerkt, dass die Psychologie anfangs gar nicht so eine große Rolle gespielt hat. Da ging es eher um Epidemiologie und Virologie. Die psychologische und soziale Seite wurde erst einmal vernachlässigt. Dann wurde nachgesteuert, die Nationale Akademie der Wissenschaften etwa hat in ihre Corona-Arbeitsgruppe Sozialwissenschaftler*innen und Psycholog*innen aufgenommen. So etwas brauchen wir jetzt auch für die Klimakrise.

Manche Psychologen, darunter der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann, halten das Klimaproblem gerade wegen seiner psychologischen Dimension für kaum lösbar ...

LD: Aus meiner Sicht ist das Problem zwar sehr komplex. Es fällt sicher in die Kategorie der wicked problems, also der bösartigen Probleme. Gleichzeitig sagt das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, dass es lösbar sei, wenn auch das Zeitfenster immer kleiner wird. Dass ambitioniertes politisches Handeln möglich ist, haben wir ja während der Corona-Pandemie gesehen. Es kann mitunter ziemlich schnell gehen, dass politische Entscheidungen gefällt und umgesetzt werden, dass ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wird und Menschen sich in kürzester Zeit an diese Veränderungen anpassen. Das macht mir Hoffnung.

FP: Die Psychologie beschäftigt sich nicht nur mit psychischen Mechanismen und der Frage, warum wir nicht ins Handeln kommen, sondern auch damit, wie man ins Handeln kommen könnte. Allein das Bewusstmachen von psychischen Prozessen kann dazu führen, dass wir solchen Mechanismen nicht auf den Leim gehen. Zu sagen, das Problem sei nicht lösbar, kann ja auch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

LD: Die Einstellung, dass das Problem ohnehin nicht lösbar ist, kann sogar zum Nichthandeln führen, und kann, noch schlimmer, dazu verleiten, sich klimaschädlich zu verhalten. Wenn es eh nichts zu retten gibt, kann ich mir ja noch schnell einen dicken SUV kaufen und nach Mauritius fliegen.

Fridays for Future (FFF) fordert mutiges Handeln von der Bundesregierung - mit überschaubarem Ergebnis, und das 1,5-Grad-Ziel ist so gut wie außer Reichweite. Ist die Frustration ein Risiko?

LD: Ich bin hier vor Ort in Kontakt mit den FFF. Und ja, es gibt Frustration, gleichzeitig gibt es aber auch eine Professionalisierung. Ich habe den Eindruck, dass viele die Corona-Zwangspause genutzt haben, um sich weiterzubilden.

FP: Frustration muss ja nicht unbedingt in den Rückzug führen, sondern kann auch motivieren, andere Strategien auszuprobieren. Was FFF erreicht hat, ist nach wie vor ein Riesenerfolg. Auch wenn man sich mehr politische Maßnahmen erhofft hätte - es gab immerhin welche. Jahrzehntelang hatten wir Stillstand.

LD: Ich empfinde die Frustration ein Stück weit als gesund und normal. Wenn man sich die Emissionen anguckt – da möchte ich jemanden sehen, der begeistert ist. Das kann auch Angst auslösen, nicht nur bei FFF, sondern bei allen, die das Problem verstanden haben. Und das ist gut so, denn diese Gefühle können uns letztlich zum Handeln bewegen.

FP: Jedes Zehntelgrad zählt. Wenn wir jetzt weiter das 1,5-Grad-Ziel fokussieren und dann wenigstens bei 2 Grad Celsius rauskommen und nicht bei 2,5 oder 3 Grad, dann ist das aus heutiger Sicht immer noch ein Riesenerfolg. Das macht hinsichtlich der Bewohnbarkeit der Erde einen großen Unterschied.

Die Klimakrise geht alle an. Was würden Sie unseren Leser*innen raten?

LD: Ich würde empfehlen, dass wir nicht aufhören, uns von diesem Thema berühren und ansprechen zu lassen und nicht den vermeintlich leichteren Weg der Verdrängung gehen. Und wir müssen weg vom individuellen hin zum politischen Handeln gehen. Das fängt damit an, dass wir mit unserem Umfeld darüber im Gespräch bleiben. Wir können uns auch einer Klimagruppe anschließen und uns aktiv einbringen, oder mal einen Leser*innenbrief schreiben. Wir leben in einer Demokratie, da geht es um Mehrheiten und darum, Menschen dafür zu gewinnen, mitzumachen.

FP: Als Psychologe könnte man auch mit einem Augenzwinkern sagen: Die Klimakrise ist nicht in erster Linie eine psychologische, sondern eine politische Krise. Niemand kann das Problem allein lösen, das geht nur in der Gruppe, also über politisches Handeln. So ein Engagement erhöht auch die Selbstwirksamkeit, das Gefühl, dass man etwas erreichen kann. Und das tut uns sehr gut.

Lea Dohm ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Mitinitiatorin der Psychologists for Future.

Felix Peter ist Diplom-Psychologe und aktiv im Presse-Team von Psychologists for Future.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel