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Alnatura-Gründer Götz Rehn "Ich hätte erwartet, dass wir schon viel weiter sind"

Mit 126 Filialen gehört der Bio-Händler Alnatura zu den ganz Großen im Geschäft. Im Interview mit GEO.de erklärt der Firmengründer und Geschäftsführer Götz Rehn, weshalb ihn die Entwicklung des Bio-Marktes nicht zufriedenstellt, was die Auslistung bei dm für sein Unternehmen bedeutet – und warum er über Bleistifte nachdenkt

Herr Rehn, Sie befassen sich täglich mit der Lehre Rudolf Steiners, der Anthroposophie. Was hat Sie heute beschäftigt?

Das kommt erst heute Abend. Wahrscheinlich werde ich mich mit der Frage beschäftigen, wie man sein Denken verbessern, die Wirklichkeit besser erkennen kann. Das Interessante ist ja, dass wir meist nur das denken, wozu wir durch das Umfeld Anstöße erhalten. Darum ist es wichtig, zu üben, über selbst gewählte Gegenstände nachzudenken. Vielleicht nehme ich mir heute Abend vor, fünf Minuten lang nur über einen Bleistift nachzudenken. Was macht man damit? Aus was besteht er? Wo könnte das Material herkommen?

Alnatura-Gründer Götz Rehn
Götz Rehn ist Alnatura-Gründer und - zusammen mit Rüdiger Kasch - Geschäftsführer
© Thomas Fedra

Bevor Sie 1984 Alnatura gründeten, haben Sie einige Jahre lang für Nestlé gearbeitet. Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, mit Bio-Produkten zu handeln?

Ich wollte zunächst Mediziner werden wie mein Vater und mein Großvater. Ich hatte schon einen Studienplatz für Medizin in Freiburg. Dann habe ich den Unternehmer Alfred Rexroth kennengelernt. Seine Art und Weise, mit Mitarbeitern umzugehen, hat mich so angeregt, dass ich mich entschieden habe, im Wirtschaftsleben etwas Sinnvolles aufzubauen. Parallel bin ich durch gewisse Kernfragen – Warum lebe ich? Was ist der Sinn meines Daseins? – zur Anthroposophie gekommen. Und nachdem ich fünf Jahre bei Nestle gewesen war, ergab sich ein Ansatzpunkt, einen Alnatura Super Natur Markt zu entwickeln. Zumal sich gezeigt hatte, dass es am Markt ein großes Interesse an biologischen Lebensmitteln gab.

Hätten Sie damals gedacht, dass Sie einmal zu den Marktführern gehören würden?

Ich hätte erwartet, dass wir schon viel weiter sind. Natürlich kann man auf das, was wir bis heute erreicht haben, mit Freude und großer Dankbarkeit schauen. Aber von Zufriedenheit keine Rede. Denn was den Markt für biologische Produkte anbelangt, sind wir weit entfernt von allen politischen, aber auch von meinen persönlichen Zielen. Es ist schon enttäuschend, dass wir im Bio-Markt nach 33 Jahren intensiver Arbeit nicht mehr erreicht haben als fünf Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes von knapp 180 Milliarden Euro im Jahr.

Ein Alnatura-Supermarkt
Bis zu 6000 Bio-Produkte: ein Alnatura Super Natur Markt
© Alnatura

Trotzdem: Sie haben ein rasantes Wachstum hingelegt. Ihr Unternehmen erwirtschaftet heute, unter anderem in 126 Filialen, einen Umsatz von 762 Millionen Euro. Wo wollen Sie noch hin?

Ich muss Ihnen leider widersprechen, wir stagnieren seit drei Jahren – wegen der Auslistung bei dm. Diese Umsatzeinbußen konnten wir in den vergangenen Jahren allerdings mit neuen Partnern kompensieren. Die Grenze unseres Wachstums ist da, wo die Kunden uns signalisieren, dass wir nicht weiter wachsen können – indem sie weniger einkaufen oder sich von uns abwenden.

Marjo/Colourbox

Vor drei Jahren sind sie auch in den Online-Handel eingestiegen. Haben Sie keine Angst, den sympathischen Bioladen nebenan kaputtzumachen?

Natürlich liegt es uns fern, irgendjemanden kaputtzumachen. Aber wir leben – gottseidank – in einer Marktwirtschaft, die es ermöglicht, im Rahmen der Gesetze seine Leistung weiterzuentwickeln. Und das ist notwendig. Nur die permanente Innovation hält einen am Leben. Da unterscheiden wir uns von keinem anderen Unternehmen. Wegnehmen wollen wir niemandem etwas, sondern mit unserem Online-Shop eine Ergänzung bieten.

Die Bio-Anbaufläche in Deutschland wächst kaum noch, aber der Bedarf an Bio-Lebensmitteln steigt rasant. Ein großer Teil Ihres Sortiments kommt aus dem Ausland. Was tun Sie, um die Regionalität zu fördern?

Grundsätzlich ist es unser Anliegen, dass die Rohstoffe, die hier in Deutschland wachsen, auch in Deutschland verarbeitet werden. Und um nur ein Beispiel zu nennen: Wir haben vor drei Jahren die Alnatura-Bio-Bauerninitiative gegründet, um konventionell wirtschaftenden Höfen dabei zu helfen, auf bio umstellen. Und haben zusammen mit dem Nabu, der das Ganze durchführt, immerhin erreicht, dass bis Ende des nächsten Jahres 35 Höfe mit knapp 10.000 Hektar in Umstellung auf bio sind.

Ihre Supermärkte bieten mittlerweile mit über 6000 Produkten eine Vielfalt, die den konventionellen fast nicht nachsteht. Hält der entfesselte Konsum nun auch in der Biobranche Einzug? Und ist das noch bio?

Da würde ich mit Ihnen gern mal durch den Laden gehen und das Sortiment anschauen. Wir haben ein Sortiment mit maximal 6000 Bio-Produkten. Wenn Sie das mit normalen Supermärkten vergleichen, dann sehen Sie, wie wenig das eigentlich ist. Wenn wir auf der Welt etwas bewegen wollen, geht es nicht so sehr darum, aus der eigenen Ideologie heraus zu bestimmen, sondern um die Frage: Wie kann ich mich so verhalten, dass ich verändern kann? Verändern kann ich nur, wenn die Kunden uns wertschätzen. Also muss ich Verhältnisse schaffen, die den Erwartungen unserer Kunden entsprechen. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt.

Sie schreiben in Ihrer Arbeitsgemeinschaft, wie Sie Alnatura auch nennen, Personalentwicklung groß und pflegen das Image, nicht nur gute Produkte anzubieten, sondern auch ein fairer Arbeitgeber für Ihre fast 3000 Mitarbeiter zu sein. Warum wehren Sie sich gerichtlich gegen die Bildung eines Betriebsrats in einer Filiale in Bremen?

Ich stemme mich gegen gar nichts. In Bremen ging es darum, dass die Rechte unserer Kolleginnen und Kollegen respektiert werden, die sich mehrheitlich gegen einen Betriebsrat ausgesprochen hatten. Es sollte ein Wahlvorstand gewählt werden, aber im ersten Wahlgang kamen nicht die erforderlichen Stimmen zusammen. Es hätte ein zweiter Wahlgang stattfinden müssen, der von den Initiatoren aber nicht durchgeführt wurde. Dann wurde der Fall vor Gericht gebracht, ist aber noch nicht abgeschlossen. Für mich persönlich ist wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft lernen, unterschiedliche Formen auch im sozialen Miteinander zu üben. Man spricht gern von Innovation, und meint meist Technisches oder Wirtschaftliches. Aber ich glaube, dass auch und gerade im Sozialen, in der Art, wie wir zusammenarbeiten, neue Schritte zu gehen sind. Ich bin also nicht gegen irgendwas, sondern für neue Formen der Zusammenarbeit.

Betriebliche Mitbestimmung gehört nicht dazu?

Wir haben eine Filiale, die ganz ohne Filialleiter arbeitet. Da geht es nicht um Mitbestimmung, sondern um Mitgestaltung, um das Arbeiten in einer Arbeitsgemeinschaft, die netzwerkartig ihren Laden völlig eigenständig gestaltet. Da reden wir gar nicht rein. Und das ist eine ganz andere Realitätsnähe als die Unterscheidung zwischen einem sogenannten Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer. Ich sehe mich nicht als Arbeitgeber, ich koordinere, ich helfe mit. Unsere wirklichen Arbeitgeber sind die Kunden.

Sie sind jetzt 67. Können Sie sich ein Leben nach Alnatura vorstellen?

Wir haben die Herausforderung, vor die uns die Auslistung bei dm gestellt hat, noch nicht ganz überstanden. Der Umgestaltungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Ich sehe meine Aufgabe darin, mit den Kolleginnen und Kollegen in den nächsten zwei, drei Jahren das Unternehmen in einem wirklich gesunden Zustand an die nächste Generation weiterzugeben. Und ja, ich kann mir sehr gut vorstellen, etwas anderes zu machen. (Lacht)

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